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[Gellert, Christian Fürchtegott]: Das Leben der Schwedischen Gräfinn von G.***. Bd. 1. Leipzig, 1747.

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Gräfinn von G **
Carlsons Tochter nach dem Haag zu dem
Herrn Andreas. Unser verstorbener Wirth
hatte uns bey seinem Tode seine Tochter,
als die unsrige, anbefohlen. Diese nah-
men wir also mit uns. Jhr Vermögen
blieb in Amsterdam in guten Händen.
Dieses Frauenzimmer, welches nunmehr
etwan funfzehn Jahr alt war, sah eben
nicht schön aus; sie hatte aber sehr gute
natürliche Gaben. Sie gefiel, ohne daß
sie sich einbildete, gefallen zu haben. Die
Artigkeit vertrat bey ihr die Stelle der
Schönheit. Und wenn man die Wahl
hat, ob man ein schönes Frauenzimmer, das
nicht artig ist, oder ein artiges, das nicht
schön ist, lieben soll: so wird man sich
leicht für das letzte entschliessen. Jch kann
ohne Prahlerey sagen, daß ich dieses Kind,
welches Florentine hieß, meistens erzogen
hatte. Und wenn ich gestehe, daß sie
außerordentlich viel Geschicklichkeit besaß,
so will ich nicht sagen, daß ich sie ihr bey-
gebracht, sondern ihr nur zur Gelegen-

heit
Erster Theil. J

Gräfinn von G **
Carlſons Tochter nach dem Haag zu dem
Herrn Andreas. Unſer verſtorbener Wirth
hatte uns bey ſeinem Tode ſeine Tochter,
als die unſrige, anbefohlen. Dieſe nah-
men wir alſo mit uns. Jhr Vermögen
blieb in Amſterdam in guten Händen.
Dieſes Frauenzimmer, welches nunmehr
etwan funfzehn Jahr alt war, ſah eben
nicht ſchön aus; ſie hatte aber ſehr gute
natürliche Gaben. Sie gefiel, ohne daß
ſie ſich einbildete, gefallen zu haben. Die
Artigkeit vertrat bey ihr die Stelle der
Schönheit. Und wenn man die Wahl
hat, ob man ein ſchönes Frauenzimmer, das
nicht artig iſt, oder ein artiges, das nicht
ſchön iſt, lieben ſoll: ſo wird man ſich
leicht für das letzte entſchlieſſen. Jch kann
ohne Prahlerey ſagen, daß ich dieſes Kind,
welches Florentine hieß, meiſtens erzogen
hatte. Und wenn ich geſtehe, daß ſie
außerordentlich viel Geſchicklichkeit beſaß,
ſo will ich nicht ſagen, daß ich ſie ihr bey-
gebracht, ſondern ihr nur zur Gelegen-

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[129/0129] Gräfinn von G ** Carlſons Tochter nach dem Haag zu dem Herrn Andreas. Unſer verſtorbener Wirth hatte uns bey ſeinem Tode ſeine Tochter, als die unſrige, anbefohlen. Dieſe nah- men wir alſo mit uns. Jhr Vermögen blieb in Amſterdam in guten Händen. Dieſes Frauenzimmer, welches nunmehr etwan funfzehn Jahr alt war, ſah eben nicht ſchön aus; ſie hatte aber ſehr gute natürliche Gaben. Sie gefiel, ohne daß ſie ſich einbildete, gefallen zu haben. Die Artigkeit vertrat bey ihr die Stelle der Schönheit. Und wenn man die Wahl hat, ob man ein ſchönes Frauenzimmer, das nicht artig iſt, oder ein artiges, das nicht ſchön iſt, lieben ſoll: ſo wird man ſich leicht für das letzte entſchlieſſen. Jch kann ohne Prahlerey ſagen, daß ich dieſes Kind, welches Florentine hieß, meiſtens erzogen hatte. Und wenn ich geſtehe, daß ſie außerordentlich viel Geſchicklichkeit beſaß, ſo will ich nicht ſagen, daß ich ſie ihr bey- gebracht, ſondern ihr nur zur Gelegen- heit Erſter Theil. J

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Zitationshilfe: [Gellert, Christian Fürchtegott]: Das Leben der Schwedischen Gräfinn von G.***. Bd. 1. Leipzig, 1747, S. 129. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/gellert_leben01_1747/129>, abgerufen am 24.11.2024.