[Gellert, Christian Fürchtegott]: Das Leben der Schwedischen Gräfinn von G.***. Bd. 1. Leipzig, 1747.Gräfinn von G ** bis man ihn vor mich brachte. HilfHimmel! wie entsetzte ich mich, als ich in seinem Gesichte das lebendige Ebenbild meines Gemahls antraf. Jch konnte kein Wort zu dem Kinde reden. Jch küßte es, umarmte zugleich seine Mut- ter, und setzte mich den Augenblick in den Wagen. Der alte Graf merkte meine Bestürzung, und entdeckte mir mit einer liebreichen Aufrichtigkeit das ganze Geheimniß. Die Frau, sprach er, die sie gesehen haben, ist die ehemalige Geliebte ihres Gemahls. Und wenn sie dieses Ge- ständniß beleidiget, so zürnen sie nicht so wohl auf meinen Sohn, als auf mich. Jch bin an der Sache Schuld. Jch ha- be ihn von Jugend auf mit einer besondern Art erzogen, die ihnen in manchen Stücken ausschweifend vorkommen dürfte. Mein Sohn mußte in mir nicht so wohl seinen Vater, als seinen Freund lieben und ver- ehren. Er durfte mich nicht fürchten, als wenn er mir etwas verschwieg. Daher gestund B 5
Gräfinn von G ** bis man ihn vor mich brachte. HilfHimmel! wie entſetzte ich mich, als ich in ſeinem Geſichte das lebendige Ebenbild meines Gemahls antraf. Jch konnte kein Wort zu dem Kinde reden. Jch küßte es, umarmte zugleich ſeine Mut- ter, und ſetzte mich den Augenblick in den Wagen. Der alte Graf merkte meine Beſtürzung, und entdeckte mir mit einer liebreichen Aufrichtigkeit das ganze Geheimniß. Die Frau, ſprach er, die ſie geſehen haben, iſt die ehemalige Geliebte ihres Gemahls. Und wenn ſie dieſes Ge- ſtändniß beleidiget, ſo zürnen ſie nicht ſo wohl auf meinen Sohn, als auf mich. Jch bin an der Sache Schuld. Jch ha- be ihn von Jugend auf mit einer beſondern Art erzogen, die ihnen in manchen Stücken ausſchweifend vorkommen dürfte. Mein Sohn mußte in mir nicht ſo wohl ſeinen Vater, als ſeinen Freund lieben und ver- ehren. Er durfte mich nicht fürchten, als wenn er mir etwas verſchwieg. Daher geſtund B 5
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Gräfinn von G **
bis man ihn vor mich brachte. Hilf
Himmel! wie entſetzte ich mich, als ich in
ſeinem Geſichte das lebendige Ebenbild
meines Gemahls antraf. Jch konnte
kein Wort zu dem Kinde reden. Jch
küßte es, umarmte zugleich ſeine Mut-
ter, und ſetzte mich den Augenblick in
den Wagen. Der alte Graf merkte
meine Beſtürzung, und entdeckte mir mit
einer liebreichen Aufrichtigkeit das ganze
Geheimniß. Die Frau, ſprach er, die ſie
geſehen haben, iſt die ehemalige Geliebte
ihres Gemahls. Und wenn ſie dieſes Ge-
ſtändniß beleidiget, ſo zürnen ſie nicht ſo
wohl auf meinen Sohn, als auf mich.
Jch bin an der Sache Schuld. Jch ha-
be ihn von Jugend auf mit einer beſondern
Art erzogen, die ihnen in manchen Stücken
ausſchweifend vorkommen dürfte. Mein
Sohn mußte in mir nicht ſo wohl ſeinen
Vater, als ſeinen Freund lieben und ver-
ehren. Er durfte mich nicht fürchten, als
wenn er mir etwas verſchwieg. Daher
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