[Gellert, Christian Fürchtegott]: Das Leben der Schwedischen Gräfinn von G.***. Bd. 1. Leipzig, 1747.Leben der Schwedischen ein Glas Wein reichen. Gütiger Gott,fieng er an, es schmeckt mir bey meinem Ende noch so gut, als es mir vor funfzig Jahren geschmeckt hat. Hätte ich nicht mäßig gelebt: so würden meine Gefäße zu dieser Erqvickung nicht mehr geschickt seyn. Nun, fuhr er fort, will ich mich zu meinem Aufbruche aus der Welt noch durch einige Stunden Schlaf erholen. Er schlief drey Stunden. Alsdann rief er mich, und bat, ich sollte ihm aus sei- nem Schreibetische ein gewisses Manu- script hohlen. Dieses war ein Ver- zeichniß seines Lebens seit vierzig Jahren. Und dieses mußte ich ihm bis zu anbre- chendem Tage vorlesen. Als wir fertig waren, so that er das brünstigste Gebet zu Gott, und dankte ihm für die Güte und Liebe, welche er ihm in der Welt hatte genießen lassen, auf eine ganz ent- zückende Weise, und bat, daß er ihn in der künftigen Welt die Wahrheit und Tugend, der er hier unvollkommen nach- gestrebt,
Leben der Schwediſchen ein Glas Wein reichen. Gütiger Gott,fieng er an, es ſchmeckt mir bey meinem Ende noch ſo gut, als es mir vor funfzig Jahren geſchmeckt hat. Hätte ich nicht mäßig gelebt: ſo würden meine Gefäße zu dieſer Erqvickung nicht mehr geſchickt ſeyn. Nun, fuhr er fort, will ich mich zu meinem Aufbruche aus der Welt noch durch einige Stunden Schlaf erholen. Er ſchlief drey Stunden. Alsdann rief er mich, und bat, ich ſollte ihm aus ſei- nem Schreibetiſche ein gewiſſes Manu- ſcript hohlen. Dieſes war ein Ver- zeichniß ſeines Lebens ſeit vierzig Jahren. Und dieſes mußte ich ihm bis zu anbre- chendem Tage vorleſen. Als wir fertig waren, ſo that er das brünſtigſte Gebet zu Gott, und dankte ihm für die Güte und Liebe, welche er ihm in der Welt hatte genießen laſſen, auf eine ganz ent- zückende Weiſe, und bat, daß er ihn in der künftigen Welt die Wahrheit und Tugend, der er hier unvollkommen nach- geſtrebt,
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Leben der Schwediſchen
ein Glas Wein reichen. Gütiger Gott,
fieng er an, es ſchmeckt mir bey meinem
Ende noch ſo gut, als es mir vor funfzig
Jahren geſchmeckt hat. Hätte ich nicht
mäßig gelebt: ſo würden meine Gefäße
zu dieſer Erqvickung nicht mehr geſchickt
ſeyn. Nun, fuhr er fort, will ich mich
zu meinem Aufbruche aus der Welt noch
durch einige Stunden Schlaf erholen.
Er ſchlief drey Stunden. Alsdann rief
er mich, und bat, ich ſollte ihm aus ſei-
nem Schreibetiſche ein gewiſſes Manu-
ſcript hohlen. Dieſes war ein Ver-
zeichniß ſeines Lebens ſeit vierzig Jahren.
Und dieſes mußte ich ihm bis zu anbre-
chendem Tage vorleſen. Als wir fertig
waren, ſo that er das brünſtigſte Gebet
zu Gott, und dankte ihm für die Güte
und Liebe, welche er ihm in der Welt
hatte genießen laſſen, auf eine ganz ent-
zückende Weiſe, und bat, daß er ihn in
der künftigen Welt die Wahrheit und
Tugend, der er hier unvollkommen nach-
geſtrebt,
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