[Gellert, Christian Fürchtegott]: Das Leben der Schwedischen Gräfinn von G.***. Bd. 1. Leipzig, 1747.Gräfinn von G ** Freygeister. Einem geringen Manne dien-te er mit größern Freuden, als einem vornehmen. Und wenn man ihn um die Ursache fragte, so sagte er: Jch fürchte, der vornehme möchte mich bezahlen, und durch eine reiche Belohnung mich zu ei- nem Lastträger seiner Meynungen, und zu einem Beförderer seiner Affecten er- kaufen wollen. Er hatte einen geschick- ten Bedienten, der ihm aber des Tages nicht mehr, als etliche Stunden, aufwar- ten durfte. Als er seinen Herrn in un- serer Gegenwart einmal fragte, ob er nichts zu thun hätte; so sagte er: Denkt ihr denn, daß ihr bloß meinetwegen und meiner Kleider und Wäsche wegen in der Welt seyd? Wollt ihr denn so unwissend sterben, als ihr gebohren seyd? Wenn ihr nichts zu thun habt, so setzt euch hin, und überlegt, was ein Mensch ist; so wer- den euch Beschäftigungen genug einfallen. Er gab ihm verschiedene Bücher zu lesen. Und wenn er ihn auskleidete: so mußte er ihm
Gräfinn von G ** Freygeiſter. Einem geringen Manne dien-te er mit größern Freuden, als einem vornehmen. Und wenn man ihn um die Urſache fragte, ſo ſagte er: Jch fürchte, der vornehme möchte mich bezahlen, und durch eine reiche Belohnung mich zu ei- nem Laſtträger ſeiner Meynungen, und zu einem Beförderer ſeiner Affecten er- kaufen wollen. Er hatte einen geſchick- ten Bedienten, der ihm aber des Tages nicht mehr, als etliche Stunden, aufwar- ten durfte. Als er ſeinen Herrn in un- ſerer Gegenwart einmal fragte, ob er nichts zu thun hätte; ſo ſagte er: Denkt ihr denn, daß ihr bloß meinetwegen und meiner Kleider und Wäſche wegen in der Welt ſeyd? Wollt ihr denn ſo unwiſſend ſterben, als ihr gebohren ſeyd? Wenn ihr nichts zu thun habt, ſo ſetzt euch hin, und überlegt, was ein Menſch iſt; ſo wer- den euch Beſchäftigungen genug einfallen. Er gab ihm verſchiedene Bücher zu leſen. Und wenn er ihn auskleidete: ſo mußte er ihm
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Gräfinn von G **
Freygeiſter. Einem geringen Manne dien-
te er mit größern Freuden, als einem
vornehmen. Und wenn man ihn um die
Urſache fragte, ſo ſagte er: Jch fürchte,
der vornehme möchte mich bezahlen, und
durch eine reiche Belohnung mich zu ei-
nem Laſtträger ſeiner Meynungen, und
zu einem Beförderer ſeiner Affecten er-
kaufen wollen. Er hatte einen geſchick-
ten Bedienten, der ihm aber des Tages
nicht mehr, als etliche Stunden, aufwar-
ten durfte. Als er ſeinen Herrn in un-
ſerer Gegenwart einmal fragte, ob er
nichts zu thun hätte; ſo ſagte er: Denkt
ihr denn, daß ihr bloß meinetwegen und
meiner Kleider und Wäſche wegen in der
Welt ſeyd? Wollt ihr denn ſo unwiſſend
ſterben, als ihr gebohren ſeyd? Wenn
ihr nichts zu thun habt, ſo ſetzt euch hin,
und überlegt, was ein Menſch iſt; ſo wer-
den euch Beſchäftigungen genug einfallen.
Er gab ihm verſchiedene Bücher zu leſen.
Und wenn er ihn auskleidete: ſo mußte er
ihm
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