[Gellert, Christian Fürchtegott]: Das Leben der Schwedischen Gräfinn von G.***. Bd. 1. Leipzig, 1747.Leben der Schwedischen denheit eben so groß. Er war in der Tu-gend und Freundschaft strenge bis zum Eigensinn. So traurig seine Mine aus- sah, so gelassen und zufrieden war er doch. Er schlug keine Vergnügung aus; allein mir kam es immer vor, als ob er sich nicht so wohl an den Ergötzlichkeiten selbst, als vielmehr an dem Vergnügen belustigte, das die Ergötzlichkeiten andern machten. Sein Verlangen war, alle Menschen ver- nünftig, und alle Vernünftige glücklich zu sehen. Daher konnte er die großen Ge- sellschaften nicht leiden, weil er so viel Zwang, so viel unnatürliche Höflichkeiten und so viel Verhinderungen, frey und ver- nünftig zu handeln, darinnen antraf. Er blieb in allen seinen Handlungen uneigen- nützig, und gegen die Glücksgüter, und gegen alle Ehrenstellen fast gar zu gleich- gültig. Die Schmeichler waren seine ärgsten Feinde. Und er glaubte, daß diese Leute der Wahrheit und Tugend mehr Schaden thäten, als alle Ketzer und Frey-
Leben der Schwediſchen denheit eben ſo groß. Er war in der Tu-gend und Freundſchaft ſtrenge bis zum Eigenſinn. So traurig ſeine Mine aus- ſah, ſo gelaſſen und zufrieden war er doch. Er ſchlug keine Vergnügung aus; allein mir kam es immer vor, als ob er ſich nicht ſo wohl an den Ergötzlichkeiten ſelbſt, als vielmehr an dem Vergnügen beluſtigte, das die Ergötzlichkeiten andern machten. Sein Verlangen war, alle Menſchen ver- nünftig, und alle Vernünftige glücklich zu ſehen. Daher konnte er die großen Ge- ſellſchaften nicht leiden, weil er ſo viel Zwang, ſo viel unnatürliche Höflichkeiten und ſo viel Verhinderungen, frey und ver- nünftig zu handeln, darinnen antraf. Er blieb in allen ſeinen Handlungen uneigen- nützig, und gegen die Glücksgüter, und gegen alle Ehrenſtellen faſt gar zu gleich- gültig. Die Schmeichler waren ſeine ärgſten Feinde. Und er glaubte, daß dieſe Leute der Wahrheit und Tugend mehr Schaden thäten, als alle Ketzer und Frey-
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Leben der Schwediſchen
denheit eben ſo groß. Er war in der Tu-
gend und Freundſchaft ſtrenge bis zum
Eigenſinn. So traurig ſeine Mine aus-
ſah, ſo gelaſſen und zufrieden war er doch.
Er ſchlug keine Vergnügung aus; allein
mir kam es immer vor, als ob er ſich nicht
ſo wohl an den Ergötzlichkeiten ſelbſt, als
vielmehr an dem Vergnügen beluſtigte,
das die Ergötzlichkeiten andern machten.
Sein Verlangen war, alle Menſchen ver-
nünftig, und alle Vernünftige glücklich zu
ſehen. Daher konnte er die großen Ge-
ſellſchaften nicht leiden, weil er ſo viel
Zwang, ſo viel unnatürliche Höflichkeiten
und ſo viel Verhinderungen, frey und ver-
nünftig zu handeln, darinnen antraf. Er
blieb in allen ſeinen Handlungen uneigen-
nützig, und gegen die Glücksgüter, und
gegen alle Ehrenſtellen faſt gar zu gleich-
gültig. Die Schmeichler waren ſeine
ärgſten Feinde. Und er glaubte, daß
dieſe Leute der Wahrheit und Tugend
mehr Schaden thäten, als alle Ketzer und
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