[Gellert, Christian Fürchtegott]: Das Leben der Schwedischen Gräfinn von G.***. Bd. 1. Leipzig, 1747.Leben der Schwedischen Bette seiner Mariane, und mit ihm Weh-muth, Furcht, Schaam, Reue und ge- kränkte Zärtlichkeit. Es war erbärmlich anzusehen, wie sich diese beyden Leute ge- gen einander bezeigten. Die Religion hieß sie die Liebe der Ehe in Schwester- und Bruderliebe verwandeln, und ihr Herz verlangte das Gegentheil. Sie hat- ten einander unbeschreiblich geliebt. Sie waren noch in dem Frühlinge ihrer Ehe, und sie sollten dieses Band itzt ohne An- stand zerreissen. Sie hatten einander in ihrem Leben nicht gesehen, und also kam ihnen die Vertraulichkeit nicht zu Hülfe, die sonst die Liebe unter Blutsverwandten auszulöschen pflegt. Jhre Natur selbst that den Ausspruch zu ihrem Besten. Wie konnten sie etwas in sich fühlen, das ihre Liebe verdammte, da sie den Zug der Blutsfreundschaft nie gefühlt hatten. Ach, mein Bruder, rief Mariane einmal über das andere aus, verlaßt mich, verlaßt mich! Unglückseliger Gemahl fangt mich an
Leben der Schwediſchen Bette ſeiner Mariane, und mit ihm Weh-muth, Furcht, Schaam, Reue und ge- kränkte Zärtlichkeit. Es war erbärmlich anzuſehen, wie ſich dieſe beyden Leute ge- gen einander bezeigten. Die Religion hieß ſie die Liebe der Ehe in Schweſter- und Bruderliebe verwandeln, und ihr Herz verlangte das Gegentheil. Sie hat- ten einander unbeſchreiblich geliebt. Sie waren noch in dem Frühlinge ihrer Ehe, und ſie ſollten dieſes Band itzt ohne An- ſtand zerreiſſen. Sie hatten einander in ihrem Leben nicht geſehen, und alſo kam ihnen die Vertraulichkeit nicht zu Hülfe, die ſonſt die Liebe unter Blutsverwandten auszulöſchen pflegt. Jhre Natur ſelbſt that den Ausſpruch zu ihrem Beſten. Wie konnten ſie etwas in ſich fühlen, das ihre Liebe verdammte, da ſie den Zug der Blutsfreundſchaft nie gefühlt hatten. Ach, mein Bruder, rief Mariane einmal über das andere aus, verlaßt mich, verlaßt mich! Unglückſeliger Gemahl fangt mich an
<TEI> <text> <body> <div n="1"> <p><pb facs="#f0098" n="98"/><fw place="top" type="header"><hi rendition="#b">Leben der Schwediſchen</hi></fw><lb/> Bette ſeiner Mariane, und mit ihm Weh-<lb/> muth, Furcht, Schaam, Reue und ge-<lb/> kränkte Zärtlichkeit. Es war erbärmlich<lb/> anzuſehen, wie ſich dieſe beyden Leute ge-<lb/> gen einander bezeigten. Die Religion<lb/> hieß ſie die Liebe der Ehe in Schweſter-<lb/> und Bruderliebe verwandeln, und ihr<lb/> Herz verlangte das Gegentheil. Sie hat-<lb/> ten einander unbeſchreiblich geliebt. Sie<lb/> waren noch in dem Frühlinge ihrer Ehe,<lb/> und ſie ſollten dieſes Band itzt ohne An-<lb/> ſtand zerreiſſen. Sie hatten einander in<lb/> ihrem Leben nicht geſehen, und alſo kam<lb/> ihnen die Vertraulichkeit nicht zu Hülfe,<lb/> die ſonſt die Liebe unter Blutsverwandten<lb/> auszulöſchen pflegt. Jhre Natur ſelbſt<lb/> that den Ausſpruch zu ihrem Beſten. Wie<lb/> konnten ſie etwas in ſich fühlen, das ihre<lb/> Liebe verdammte, da ſie den Zug der<lb/> Blutsfreundſchaft nie gefühlt hatten. Ach,<lb/> mein Bruder, rief Mariane einmal über<lb/> das andere aus, verlaßt mich, verlaßt<lb/> mich! Unglückſeliger Gemahl fangt mich<lb/> <fw place="bottom" type="catch">an</fw><lb/></p> </div> </body> </text> </TEI> [98/0098]
Leben der Schwediſchen
Bette ſeiner Mariane, und mit ihm Weh-
muth, Furcht, Schaam, Reue und ge-
kränkte Zärtlichkeit. Es war erbärmlich
anzuſehen, wie ſich dieſe beyden Leute ge-
gen einander bezeigten. Die Religion
hieß ſie die Liebe der Ehe in Schweſter-
und Bruderliebe verwandeln, und ihr
Herz verlangte das Gegentheil. Sie hat-
ten einander unbeſchreiblich geliebt. Sie
waren noch in dem Frühlinge ihrer Ehe,
und ſie ſollten dieſes Band itzt ohne An-
ſtand zerreiſſen. Sie hatten einander in
ihrem Leben nicht geſehen, und alſo kam
ihnen die Vertraulichkeit nicht zu Hülfe,
die ſonſt die Liebe unter Blutsverwandten
auszulöſchen pflegt. Jhre Natur ſelbſt
that den Ausſpruch zu ihrem Beſten. Wie
konnten ſie etwas in ſich fühlen, das ihre
Liebe verdammte, da ſie den Zug der
Blutsfreundſchaft nie gefühlt hatten. Ach,
mein Bruder, rief Mariane einmal über
das andere aus, verlaßt mich, verlaßt
mich! Unglückſeliger Gemahl fangt mich
an
Suche im WerkInformationen zum Werk
Download dieses Werks
XML (TEI P5) ·
HTML ·
Text Metadaten zum WerkTEI-Header · CMDI · Dublin Core Ansichten dieser Seite
Voyant Tools ?Language Resource Switchboard?FeedbackSie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden. Kommentar zur DTA-AusgabeDieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.
|
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden. Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des § 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
2007–2024 Deutsches Textarchiv, Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften.
Kontakt: redaktion(at)deutschestextarchiv.de. |