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[Gellert, Christian Fürchtegott]: Das Leben der Schwedischen Gräfinn von G**. Bd. 2. Leipzig, 1748.

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Leben der Schwedischen
doch war ich sorgfältig genug gewesen, eine gu-
te Wahl in meinem Anzuge zu treffen. Bey
dieser Mahlzeit wollte ich, so zu reden, hinter
mein eigen Herz kommen, und erfahren, ob mei-
ne Empfindungen mehr als Freundschaft wären.
Mein Gast kam, und seine Mine war weit heit-
rer, als die gestrige, und wie mich dünkte, weit
gefälliger. Er war besser, ob gleich noch Rus-
sisch gekleidet, als gestern. Dankbarkeit und
Ehrerbietung redten aus ihm. Jch that, als ob
meine Vorsorge für ihn eine Verordnung des
Hofs wäre, und setzte mich ganz allein mit ihm
zu Tische. Wir brachten über unsrer kleinen
Mahlzeit wohl drey Stunden zu, und es schien
mir, daß sie ihm eben so kurz ward, als mir.
Er konnte sich noch nicht recht in das Ceremoniell,
mit einer Dame, und vornehm zu speisen, finden,
und ich hatte das Vergnügen, ihn alle Augen-
blicke durch eine kleine Höflichkeit zu erschrecken;
ja, ich erfreute mich, daß ich ihn in der Wohl-
anständigkeit übertraf, weil ich merkte, daß er
mir am Geiste überlegen war. Er mußte mir
seine Begebenheiten noch einmal erzählen, und
sie rührten mich, als ob ich sie noch nicht gehört
hätte. Wir sprachen von dem Grafen, und er
bezeigte ein so grosses Verlangen, ihn wieder zu
sehn, daß ich lieber eifersüchtig geworden wäre.
Mit einem Worte, mein Gast gefiel mir nach
wenig Stunden so sehr, daß ich mir alle Gewalt
anthun mußte, mich zu verstellen. Jch wünsch-
te in denen Augenblicken, da uns unser Bedien-
ter verließ, daß er mir etwas verbindliches sagen

möch-

Leben der Schwediſchen
doch war ich ſorgfaͤltig genug geweſen, eine gu-
te Wahl in meinem Anzuge zu treffen. Bey
dieſer Mahlzeit wollte ich, ſo zu reden, hinter
mein eigen Herz kommen, und erfahren, ob mei-
ne Empfindungen mehr als Freundſchaft waͤren.
Mein Gaſt kam, und ſeine Mine war weit heit-
rer, als die geſtrige, und wie mich duͤnkte, weit
gefaͤlliger. Er war beſſer, ob gleich noch Ruſ-
ſiſch gekleidet, als geſtern. Dankbarkeit und
Ehrerbietung redten aus ihm. Jch that, als ob
meine Vorſorge fuͤr ihn eine Verordnung des
Hofs waͤre, und ſetzte mich ganz allein mit ihm
zu Tiſche. Wir brachten uͤber unſrer kleinen
Mahlzeit wohl drey Stunden zu, und es ſchien
mir, daß ſie ihm eben ſo kurz ward, als mir.
Er konnte ſich noch nicht recht in das Ceremoniell,
mit einer Dame, und vornehm zu ſpeiſen, finden,
und ich hatte das Vergnuͤgen, ihn alle Augen-
blicke durch eine kleine Hoͤflichkeit zu erſchrecken;
ja, ich erfreute mich, daß ich ihn in der Wohl-
anſtaͤndigkeit uͤbertraf, weil ich merkte, daß er
mir am Geiſte uͤberlegen war. Er mußte mir
ſeine Begebenheiten noch einmal erzaͤhlen, und
ſie ruͤhrten mich, als ob ich ſie noch nicht gehoͤrt
haͤtte. Wir ſprachen von dem Grafen, und er
bezeigte ein ſo groſſes Verlangen, ihn wieder zu
ſehn, daß ich lieber eiferſuͤchtig geworden waͤre.
Mit einem Worte, mein Gaſt gefiel mir nach
wenig Stunden ſo ſehr, daß ich mir alle Gewalt
anthun mußte, mich zu verſtellen. Jch wuͤnſch-
te in denen Augenblicken, da uns unſer Bedien-
ter verließ, daß er mir etwas verbindliches ſagen

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[102/0102] Leben der Schwediſchen doch war ich ſorgfaͤltig genug geweſen, eine gu- te Wahl in meinem Anzuge zu treffen. Bey dieſer Mahlzeit wollte ich, ſo zu reden, hinter mein eigen Herz kommen, und erfahren, ob mei- ne Empfindungen mehr als Freundſchaft waͤren. Mein Gaſt kam, und ſeine Mine war weit heit- rer, als die geſtrige, und wie mich duͤnkte, weit gefaͤlliger. Er war beſſer, ob gleich noch Ruſ- ſiſch gekleidet, als geſtern. Dankbarkeit und Ehrerbietung redten aus ihm. Jch that, als ob meine Vorſorge fuͤr ihn eine Verordnung des Hofs waͤre, und ſetzte mich ganz allein mit ihm zu Tiſche. Wir brachten uͤber unſrer kleinen Mahlzeit wohl drey Stunden zu, und es ſchien mir, daß ſie ihm eben ſo kurz ward, als mir. Er konnte ſich noch nicht recht in das Ceremoniell, mit einer Dame, und vornehm zu ſpeiſen, finden, und ich hatte das Vergnuͤgen, ihn alle Augen- blicke durch eine kleine Hoͤflichkeit zu erſchrecken; ja, ich erfreute mich, daß ich ihn in der Wohl- anſtaͤndigkeit uͤbertraf, weil ich merkte, daß er mir am Geiſte uͤberlegen war. Er mußte mir ſeine Begebenheiten noch einmal erzaͤhlen, und ſie ruͤhrten mich, als ob ich ſie noch nicht gehoͤrt haͤtte. Wir ſprachen von dem Grafen, und er bezeigte ein ſo groſſes Verlangen, ihn wieder zu ſehn, daß ich lieber eiferſuͤchtig geworden waͤre. Mit einem Worte, mein Gaſt gefiel mir nach wenig Stunden ſo ſehr, daß ich mir alle Gewalt anthun mußte, mich zu verſtellen. Jch wuͤnſch- te in denen Augenblicken, da uns unſer Bedien- ter verließ, daß er mir etwas verbindliches ſagen moͤch-

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Zitationshilfe: [Gellert, Christian Fürchtegott]: Das Leben der Schwedischen Gräfinn von G**. Bd. 2. Leipzig, 1748, S. 102. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/gellert_leben02_1748/102>, abgerufen am 17.05.2024.