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[Gellert, Christian Fürchtegott]: Das Leben der Schwedischen Gräfinn von G**. Bd. 2. Leipzig, 1748.

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Gräfinn von G**
möchte, nur um zu wissen, ob ich ihm gefiele.
Allein er blieb bey der Sprache der Ehrerbietung,
und seine Augen redten eben die Sprache. Er
nahm aus einer unglücklichen Höflichkeit, als wir
vom Tische aufstunden, Abschied, und ich hatte
das Herz nicht, ihn zu bitten, daß er länger bleiben
sollte, weil ich mich zu verrathen glaubte. Jch
ließ ihn also wieder in sein Quartier bringen.
Und nun wußte ichs, ob ich ihm gewogen war.
Jch war beleidigt, daß er mich schon verlassen
hatte. Jch war unruhiger, als zuvor, und ich
ward es nur mehr, ie weniger ichs seyn wollte.
Jch stellte mir vor, daß ich ihm nicht gefiele, und
kränkte mich, daß ich nicht reizend genug war,
mehr als Hochachtung von ihm zu verdienen.
Jch ward über dieser Vorstellung kleinmüthig,
und rächte mich durch Geringschätzung an mir
selber. Gleichwohl wollte ich nicht alle Hoffnung
fahren lassen, und meine Liebe zu ihm mir auch
nicht verbieten. Jch beschloß, ihn in drey Ta-
gen wieder zu mir zu bitten. O was waren das
für lange Tage für mich! Der Bediente erzähl-
te mir binnen dieser Zeit, daß sein Herr in seiner
Einsamkeit ganz tiefsinnig würde. Wie lieb war
mir diese Nachricht! Jch war schwach genug
ihn zu fragen, ob er nichts von mir gesprochen
hätte. Er lobt sie über die maßen, sprach er, und
fragt mich, so oft ich komme, wie sie sich be-
finden, und fragt nach allen Kleinigkeiten.

Nach drey Tagen war er wieder auf die vo-
rige Art mein Gast. Er kam, und die Unruhe
hatte sich in alle seine Blicke vertheilet. Er hat-

te
G 2

Graͤfinn von G**
moͤchte, nur um zu wiſſen, ob ich ihm gefiele.
Allein er blieb bey der Sprache der Ehrerbietung,
und ſeine Augen redten eben die Sprache. Er
nahm aus einer ungluͤcklichen Hoͤflichkeit, als wir
vom Tiſche aufſtunden, Abſchied, und ich hatte
das Herz nicht, ihn zu bitten, daß er laͤnger bleiben
ſollte, weil ich mich zu verrathen glaubte. Jch
ließ ihn alſo wieder in ſein Quartier bringen.
Und nun wußte ichs, ob ich ihm gewogen war.
Jch war beleidigt, daß er mich ſchon verlaſſen
hatte. Jch war unruhiger, als zuvor, und ich
ward es nur mehr, ie weniger ichs ſeyn wollte.
Jch ſtellte mir vor, daß ich ihm nicht gefiele, und
kraͤnkte mich, daß ich nicht reizend genug war,
mehr als Hochachtung von ihm zu verdienen.
Jch ward uͤber dieſer Vorſtellung kleinmuͤthig,
und raͤchte mich durch Geringſchaͤtzung an mir
ſelber. Gleichwohl wollte ich nicht alle Hoffnung
fahren laſſen, und meine Liebe zu ihm mir auch
nicht verbieten. Jch beſchloß, ihn in drey Ta-
gen wieder zu mir zu bitten. O was waren das
fuͤr lange Tage fuͤr mich! Der Bediente erzaͤhl-
te mir binnen dieſer Zeit, daß ſein Herr in ſeiner
Einſamkeit ganz tiefſinnig wuͤrde. Wie lieb war
mir dieſe Nachricht! Jch war ſchwach genug
ihn zu fragen, ob er nichts von mir geſprochen
haͤtte. Er lobt ſie uͤber die maßen, ſprach er, und
fragt mich, ſo oft ich komme, wie ſie ſich be-
finden, und fragt nach allen Kleinigkeiten.

Nach drey Tagen war er wieder auf die vo-
rige Art mein Gaſt. Er kam, und die Unruhe
hatte ſich in alle ſeine Blicke vertheilet. Er hat-

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G 2
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[103/0103] Graͤfinn von G** moͤchte, nur um zu wiſſen, ob ich ihm gefiele. Allein er blieb bey der Sprache der Ehrerbietung, und ſeine Augen redten eben die Sprache. Er nahm aus einer ungluͤcklichen Hoͤflichkeit, als wir vom Tiſche aufſtunden, Abſchied, und ich hatte das Herz nicht, ihn zu bitten, daß er laͤnger bleiben ſollte, weil ich mich zu verrathen glaubte. Jch ließ ihn alſo wieder in ſein Quartier bringen. Und nun wußte ichs, ob ich ihm gewogen war. Jch war beleidigt, daß er mich ſchon verlaſſen hatte. Jch war unruhiger, als zuvor, und ich ward es nur mehr, ie weniger ichs ſeyn wollte. Jch ſtellte mir vor, daß ich ihm nicht gefiele, und kraͤnkte mich, daß ich nicht reizend genug war, mehr als Hochachtung von ihm zu verdienen. Jch ward uͤber dieſer Vorſtellung kleinmuͤthig, und raͤchte mich durch Geringſchaͤtzung an mir ſelber. Gleichwohl wollte ich nicht alle Hoffnung fahren laſſen, und meine Liebe zu ihm mir auch nicht verbieten. Jch beſchloß, ihn in drey Ta- gen wieder zu mir zu bitten. O was waren das fuͤr lange Tage fuͤr mich! Der Bediente erzaͤhl- te mir binnen dieſer Zeit, daß ſein Herr in ſeiner Einſamkeit ganz tiefſinnig wuͤrde. Wie lieb war mir dieſe Nachricht! Jch war ſchwach genug ihn zu fragen, ob er nichts von mir geſprochen haͤtte. Er lobt ſie uͤber die maßen, ſprach er, und fragt mich, ſo oft ich komme, wie ſie ſich be- finden, und fragt nach allen Kleinigkeiten. Nach drey Tagen war er wieder auf die vo- rige Art mein Gaſt. Er kam, und die Unruhe hatte ſich in alle ſeine Blicke vertheilet. Er hat- te G 2

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Zitationshilfe: [Gellert, Christian Fürchtegott]: Das Leben der Schwedischen Gräfinn von G**. Bd. 2. Leipzig, 1748, S. 103. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/gellert_leben02_1748/103>, abgerufen am 21.11.2024.