[Gellert, Christian Fürchtegott]: Das Leben der Schwedischen Gräfinn von G**. Bd. 2. Leipzig, 1748.Leben der Schwedischen te sich durch den Juden ein Kleid nach deutscherArt machen lassen, und sah noch einmahl so jung aus. Ja, ja, dacht ich, er ist schön, er ist liebens- werth, aber nicht für dich. Jch glaubte, ich hätte alles Bange aus meinem Gesichte vertrie- ben, als er mich bey der Tafel um die Ursache frag- te, warum er mich nicht so zufrieden sähe, als das letztemal. Jch erschrack über mein verräthe- risches Gesicht, und über die Aufmerksamkeit, mit der er mich betrachtete, und schob die Schuld darauf, daß ich die Erlaubniß noch nicht vom Hofe bekommen hätte, nach Moskau zurück zu kehren. Aber, fuhr ich fort, was fehlet ihnen? die Freude über ihre Befreyung herrscht nicht mehr in ihrem Gesichte. Jst es das Verlangen nach ihrem Vaterlande, das sie beunruhiget? Ja, Madam, sprach er, mit niedergeschlagenen Augen. O wie war mir dieses Ja angenehm, das der Ton, mit dem ers aussprach, zu einem Nein machte Haben sie vielleicht, fuhr ich fort, noch eine Braut in ihrem Vaterlande, die sie erwartet? Warum entziehen sie sich und mir das Vergnügen, von ihr zu sprechen? Jch gebe ihnen mein Wort daß ich ihnen mit der Hälfte meines Vermögens dienen will, um ihre Reise zu beschleunigen und sie von meiner Freundschaft zu überzeugen. Er antwor- tete mir mit einem verschämten Blicke, und sagte weiter kein Wort. Jch wollte nunmehr mein Glück oder Unglück mit einem male wissen. Sie schweigen? Also haben sie eine Braut in London? Nein, rief er, Madam, der Himmel weis
Leben der Schwediſchen te ſich durch den Juden ein Kleid nach deutſcherArt machen laſſen, und ſah noch einmahl ſo jung aus. Ja, ja, dacht ich, er iſt ſchoͤn, er iſt liebens- werth, aber nicht fuͤr dich. Jch glaubte, ich haͤtte alles Bange aus meinem Geſichte vertrie- ben, als er mich bey der Tafel um die Urſache frag- te, warum er mich nicht ſo zufrieden ſaͤhe, als das letztemal. Jch erſchrack uͤber mein verraͤthe- riſches Geſicht, und uͤber die Aufmerkſamkeit, mit der er mich betrachtete, und ſchob die Schuld darauf, daß ich die Erlaubniß noch nicht vom Hofe bekommen haͤtte, nach Moskau zuruͤck zu kehren. Aber, fuhr ich fort, was fehlet ihnen? die Freude uͤber ihre Befreyung herrſcht nicht mehr in ihrem Geſichte. Jſt es das Verlangen nach ihrem Vaterlande, das ſie beunruhiget? Ja, Madam, ſprach er, mit niedergeſchlagenen Augen. O wie war mir dieſes Ja angenehm, das der Ton, mit dem ers ausſprach, zu einem Nein machte Haben ſie vielleicht, fuhr ich fort, noch eine Braut in ihrem Vaterlande, die ſie erwartet? Warum entziehen ſie ſich und mir das Vergnuͤgen, von ihr zu ſprechen? Jch gebe ihnen mein Wort daß ich ihnen mit der Haͤlfte meines Vermoͤgens dienen will, um ihre Reiſe zu beſchleunigen und ſie von meiner Freundſchaft zu uͤberzeugen. Er antwor- tete mir mit einem verſchaͤmten Blicke, und ſagte weiter kein Wort. Jch wollte nunmehr mein Gluͤck oder Ungluͤck mit einem male wiſſen. Sie ſchweigen? Alſo haben ſie eine Braut in London? Nein, rief er, Madam, der Himmel weis
<TEI> <text> <body> <p><pb facs="#f0104" n="104"/><fw place="top" type="header"><hi rendition="#b">Leben der Schwediſchen</hi></fw><lb/> te ſich durch den Juden ein Kleid nach deutſcher<lb/> Art machen laſſen, und ſah noch einmahl ſo jung<lb/> aus. Ja, ja, dacht ich, er iſt ſchoͤn, er iſt liebens-<lb/> werth, aber nicht fuͤr dich. Jch glaubte, ich<lb/> haͤtte alles Bange aus meinem Geſichte vertrie-<lb/> ben, als er mich bey der Tafel um die Urſache frag-<lb/> te, warum er mich nicht ſo zufrieden ſaͤhe, als<lb/> das letztemal. Jch erſchrack uͤber mein verraͤthe-<lb/> riſches Geſicht, und uͤber die Aufmerkſamkeit,<lb/> mit der er mich betrachtete, und ſchob die Schuld<lb/> darauf, daß ich die Erlaubniß noch nicht vom<lb/> Hofe bekommen haͤtte, nach Moskau zuruͤck zu<lb/> kehren. Aber, fuhr ich fort, was fehlet ihnen?<lb/> die Freude uͤber ihre Befreyung herrſcht nicht<lb/> mehr in ihrem Geſichte. Jſt es das Verlangen<lb/> nach ihrem Vaterlande, das ſie beunruhiget?<lb/> Ja, Madam, ſprach er, mit niedergeſchlagenen<lb/> Augen. O wie war mir dieſes Ja angenehm,<lb/> das der Ton, mit dem ers ausſprach, zu einem<lb/> Nein machte Haben ſie vielleicht, fuhr ich fort, noch<lb/> eine Braut in ihrem Vaterlande, die ſie erwartet?<lb/> Warum entziehen ſie ſich und mir das Vergnuͤgen,<lb/> von ihr zu ſprechen? Jch gebe ihnen mein Wort daß<lb/> ich ihnen mit der Haͤlfte meines Vermoͤgens dienen<lb/> will, um ihre Reiſe zu beſchleunigen und ſie von<lb/> meiner Freundſchaft zu uͤberzeugen. Er antwor-<lb/> tete mir mit einem verſchaͤmten Blicke, und<lb/> ſagte weiter kein Wort. Jch wollte nunmehr<lb/> mein Gluͤck oder Ungluͤck mit einem male wiſſen.<lb/> Sie ſchweigen? Alſo haben ſie eine Braut in<lb/> London? Nein, rief er, Madam, der Himmel<lb/> <fw place="bottom" type="catch">weis</fw><lb/></p> </body> </text> </TEI> [104/0104]
Leben der Schwediſchen
te ſich durch den Juden ein Kleid nach deutſcher
Art machen laſſen, und ſah noch einmahl ſo jung
aus. Ja, ja, dacht ich, er iſt ſchoͤn, er iſt liebens-
werth, aber nicht fuͤr dich. Jch glaubte, ich
haͤtte alles Bange aus meinem Geſichte vertrie-
ben, als er mich bey der Tafel um die Urſache frag-
te, warum er mich nicht ſo zufrieden ſaͤhe, als
das letztemal. Jch erſchrack uͤber mein verraͤthe-
riſches Geſicht, und uͤber die Aufmerkſamkeit,
mit der er mich betrachtete, und ſchob die Schuld
darauf, daß ich die Erlaubniß noch nicht vom
Hofe bekommen haͤtte, nach Moskau zuruͤck zu
kehren. Aber, fuhr ich fort, was fehlet ihnen?
die Freude uͤber ihre Befreyung herrſcht nicht
mehr in ihrem Geſichte. Jſt es das Verlangen
nach ihrem Vaterlande, das ſie beunruhiget?
Ja, Madam, ſprach er, mit niedergeſchlagenen
Augen. O wie war mir dieſes Ja angenehm,
das der Ton, mit dem ers ausſprach, zu einem
Nein machte Haben ſie vielleicht, fuhr ich fort, noch
eine Braut in ihrem Vaterlande, die ſie erwartet?
Warum entziehen ſie ſich und mir das Vergnuͤgen,
von ihr zu ſprechen? Jch gebe ihnen mein Wort daß
ich ihnen mit der Haͤlfte meines Vermoͤgens dienen
will, um ihre Reiſe zu beſchleunigen und ſie von
meiner Freundſchaft zu uͤberzeugen. Er antwor-
tete mir mit einem verſchaͤmten Blicke, und
ſagte weiter kein Wort. Jch wollte nunmehr
mein Gluͤck oder Ungluͤck mit einem male wiſſen.
Sie ſchweigen? Alſo haben ſie eine Braut in
London? Nein, rief er, Madam, der Himmel
weis
Suche im WerkInformationen zum Werk
Download dieses Werks
XML (TEI P5) ·
HTML ·
Text Metadaten zum WerkTEI-Header · CMDI · Dublin Core Ansichten dieser Seite
Voyant Tools ?Language Resource Switchboard?FeedbackSie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden. Kommentar zur DTA-AusgabeDieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.
|
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden. Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des § 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
2007–2024 Deutsches Textarchiv, Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften.
Kontakt: redaktion(at)deutschestextarchiv.de. |