[Gellert, Christian Fürchtegott]: Das Leben der Schwedischen Gräfinn von G**. Bd. 2. Leipzig, 1748.Gräfinn von G** richt, daß ich nicht ein Wort sagen konnte, undSteeley eben so sehr. Wenn, rief er, wenn soll ich fort? Geht nur in mein Quartier, ich will gleich nachkommen. Der Jude verließ uns. Und nun gieng eine traurige Scene an. Ach Madam, fieng Steeley an, und schon liefen ihm die Thränen über die Wangen; ach Madam, ich soll schon fort? Morgen schon? Und was macht ihnen denn ihre Abreise so sauer? Er ent- setzte sich über diese Frage und gerieth in eine klei- ne Hitze. Sie fragen mich noch, was mir mei- nen Abschied sauer macht? Sie! Und auf ein- mal ward er still und suchte seine Wehmuth zu verbergen. Mit welcher Entzückung sah ich mich von ihm geliebt! Jch schwieg still, oder konnte vielmehr nicht reden. Er wollte fortgehn, und ich nahm ihn in der Angst bey der Hand. Wo wollen sie hin? Jch will mich, sprach er, für meine Verwegenheit bestrafen, die ich itzt begangen ha- be, und Abschied von ihnen nehmen und - -. Aber wenn ich sie nun ersuchte, noch nicht fortzu- reisen, wollten sie nicht bey mir bleiben? Woll- ten sie nicht ihr Vaterland, ihre Freunde, einige Zeit später sehn? Ach, Madam, rief er, ich will alles, ich will mein Vaterland ewig vergessen, für sie vergessen. Sagen sie mir nur, ob sie mich - - ob sie mich hassen? Jch liebe sie, fieng ich an, es ist nicht mehr Zeit mich zu verbergen, und wenn sie mich lieben: so bleiben sie hier, und reisen sie in meiner Gesellschaft. Nunmehr wagte er die erste Umarmung, und o Himmel! was war dieses nach einem so langen Zwange für
Graͤfinn von G** richt, daß ich nicht ein Wort ſagen konnte, undSteeley eben ſo ſehr. Wenn, rief er, wenn ſoll ich fort? Geht nur in mein Quartier, ich will gleich nachkommen. Der Jude verließ uns. Und nun gieng eine traurige Scene an. Ach Madam, fieng Steeley an, und ſchon liefen ihm die Thraͤnen uͤber die Wangen; ach Madam, ich ſoll ſchon fort? Morgen ſchon? Und was macht ihnen denn ihre Abreiſe ſo ſauer? Er ent- ſetzte ſich uͤber dieſe Frage und gerieth in eine klei- ne Hitze. Sie fragen mich noch, was mir mei- nen Abſchied ſauer macht? Sie! Und auf ein- mal ward er ſtill und ſuchte ſeine Wehmuth zu verbergen. Mit welcher Entzuͤckung ſah ich mich von ihm geliebt! Jch ſchwieg ſtill, oder konnte vielmehr nicht reden. Er wollte fortgehn, und ich nahm ihn in der Angſt bey der Hand. Wo wollen ſie hin? Jch will mich, ſprach er, fuͤr meine Verwegenheit beſtrafen, die ich itzt begangen ha- be, und Abſchied von ihnen nehmen und ‒ ‒. Aber wenn ich ſie nun erſuchte, noch nicht fortzu- reiſen, wollten ſie nicht bey mir bleiben? Woll- ten ſie nicht ihr Vaterland, ihre Freunde, einige Zeit ſpaͤter ſehn? Ach, Madam, rief er, ich will alles, ich will mein Vaterland ewig vergeſſen, fuͤr ſie vergeſſen. Sagen ſie mir nur, ob ſie mich ‒ ‒ ob ſie mich haſſen? Jch liebe ſie, fieng ich an, es iſt nicht mehr Zeit mich zu verbergen, und wenn ſie mich lieben: ſo bleiben ſie hier, und reiſen ſie in meiner Geſellſchaft. Nunmehr wagte er die erſte Umarmung, und o Himmel! was war dieſes nach einem ſo langen Zwange fuͤr
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Graͤfinn von G**
richt, daß ich nicht ein Wort ſagen konnte, und
Steeley eben ſo ſehr. Wenn, rief er, wenn ſoll
ich fort? Geht nur in mein Quartier, ich will
gleich nachkommen. Der Jude verließ uns.
Und nun gieng eine traurige Scene an. Ach
Madam, fieng Steeley an, und ſchon liefen ihm
die Thraͤnen uͤber die Wangen; ach Madam,
ich ſoll ſchon fort? Morgen ſchon? Und was
macht ihnen denn ihre Abreiſe ſo ſauer? Er ent-
ſetzte ſich uͤber dieſe Frage und gerieth in eine klei-
ne Hitze. Sie fragen mich noch, was mir mei-
nen Abſchied ſauer macht? Sie! Und auf ein-
mal ward er ſtill und ſuchte ſeine Wehmuth zu
verbergen. Mit welcher Entzuͤckung ſah ich mich
von ihm geliebt! Jch ſchwieg ſtill, oder konnte
vielmehr nicht reden. Er wollte fortgehn, und
ich nahm ihn in der Angſt bey der Hand. Wo
wollen ſie hin? Jch will mich, ſprach er, fuͤr meine
Verwegenheit beſtrafen, die ich itzt begangen ha-
be, und Abſchied von ihnen nehmen und ‒ ‒.
Aber wenn ich ſie nun erſuchte, noch nicht fortzu-
reiſen, wollten ſie nicht bey mir bleiben? Woll-
ten ſie nicht ihr Vaterland, ihre Freunde, einige
Zeit ſpaͤter ſehn? Ach, Madam, rief er, ich will
alles, ich will mein Vaterland ewig vergeſſen,
fuͤr ſie vergeſſen. Sagen ſie mir nur, ob ſie
mich ‒ ‒ ob ſie mich haſſen? Jch liebe ſie, fieng
ich an, es iſt nicht mehr Zeit mich zu verbergen,
und wenn ſie mich lieben: ſo bleiben ſie hier, und
reiſen ſie in meiner Geſellſchaft. Nunmehr
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