[Gellert, Christian Fürchtegott]: Das Leben der Schwedischen Gräfinn von G**. Bd. 2. Leipzig, 1748.Gräfinn von G** auf das harte Lager und umarmte ihn mit dereinen Hand; denn mit der andern war ich noch geschlossen. Er sprach die ganze Nacht kein Wort und lag in einem fühllosen Schlum- mer. Der Morgen brach an. Jch redte auf meinen Freund und er schlug endlich zu mei- ner Freude die Augen auf und reichte mir die Hand. Unser Aufseher kam und erkundigte sich, ob Steeley noch lebte. Er ließ mir die Banden abnehmen und schien uns beide zu be- dauern. Jch versicherte ihn bey allem, was heilig ist, daß mein Freund so unschuldig wä- re, als ich. Das hilft euch nichts, sprach er. Das Zeugniß des Popen, als eines Geistlichen, gilt, und ihr seyd beide verurtheilt, nach Si- berien geschickt zu werden. Gott helfe euch! ich kann euch nicht helfen, sonst muß ich alles von dem Popen befürchten. Seyd zufrieden, wenn euch die Zunge nicht aus dem Halse ge- schnitten wird, ehe ihr nach Siberien verwie- sen werdet; denn dieses widerfährt denen, die wider den Staat, oder die Kirche gesprochen haben. Warum seyd ihr so unvorsichtig ge- wesen und habt den Popen beleidigt? Jn ein Paar Tagen wird man euch nebst andern Ge- fangnen nach Siberien schicken. Jch werde euch wohl nicht wieder sehn. Jch warf mich neben Stecleyn nieder, der immer noch in sei- ner
Graͤfinn von G** auf das harte Lager und umarmte ihn mit dereinen Hand; denn mit der andern war ich noch geſchloſſen. Er ſprach die ganze Nacht kein Wort und lag in einem fuͤhlloſen Schlum- mer. Der Morgen brach an. Jch redte auf meinen Freund und er ſchlug endlich zu mei- ner Freude die Augen auf und reichte mir die Hand. Unſer Aufſeher kam und erkundigte ſich, ob Steeley noch lebte. Er ließ mir die Banden abnehmen und ſchien uns beide zu be- dauern. Jch verſicherte ihn bey allem, was heilig iſt, daß mein Freund ſo unſchuldig waͤ- re, als ich. Das hilft euch nichts, ſprach er. Das Zeugniß des Popen, als eines Geiſtlichen, gilt, und ihr ſeyd beide verurtheilt, nach Si- berien geſchickt zu werden. Gott helfe euch! ich kann euch nicht helfen, ſonſt muß ich alles von dem Popen befuͤrchten. Seyd zufrieden, wenn euch die Zunge nicht aus dem Halſe ge- ſchnitten wird, ehe ihr nach Siberien verwie- ſen werdet; denn dieſes widerfaͤhrt denen, die wider den Staat, oder die Kirche geſprochen haben. Warum ſeyd ihr ſo unvorſichtig ge- weſen und habt den Popen beleidigt? Jn ein Paar Tagen wird man euch nebſt andern Ge- fangnen nach Siberien ſchicken. Jch werde euch wohl nicht wieder ſehn. Jch warf mich neben Stecleyn nieder, der immer noch in ſei- ner
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Graͤfinn von G**
auf das harte Lager und umarmte ihn mit der
einen Hand; denn mit der andern war ich
noch geſchloſſen. Er ſprach die ganze Nacht
kein Wort und lag in einem fuͤhlloſen Schlum-
mer. Der Morgen brach an. Jch redte auf
meinen Freund und er ſchlug endlich zu mei-
ner Freude die Augen auf und reichte mir die
Hand. Unſer Aufſeher kam und erkundigte
ſich, ob Steeley noch lebte. Er ließ mir die
Banden abnehmen und ſchien uns beide zu be-
dauern. Jch verſicherte ihn bey allem, was
heilig iſt, daß mein Freund ſo unſchuldig waͤ-
re, als ich. Das hilft euch nichts, ſprach er.
Das Zeugniß des Popen, als eines Geiſtlichen,
gilt, und ihr ſeyd beide verurtheilt, nach Si-
berien geſchickt zu werden. Gott helfe euch!
ich kann euch nicht helfen, ſonſt muß ich alles
von dem Popen befuͤrchten. Seyd zufrieden,
wenn euch die Zunge nicht aus dem Halſe ge-
ſchnitten wird, ehe ihr nach Siberien verwie-
ſen werdet; denn dieſes widerfaͤhrt denen, die
wider den Staat, oder die Kirche geſprochen
haben. Warum ſeyd ihr ſo unvorſichtig ge-
weſen und habt den Popen beleidigt? Jn ein
Paar Tagen wird man euch nebſt andern Ge-
fangnen nach Siberien ſchicken. Jch werde
euch wohl nicht wieder ſehn. Jch warf mich
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