Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

[Gellert, Christian Fürchtegott]: Das Leben der Schwedischen Gräfinn von G**. Bd. 2. Leipzig, 1748.

Bild:
<< vorherige Seite

Leben der Schwedischen
ner Betäubung lag, und wenigstens itzt glück-
licher war als ich, weil er sich seiner nicht mehr
bewußt zu seyn schien. An Statt, daß der
Aufseher mir einen Trost hätte zusprechen sol-
len: so foderte er für die grausame Nachricht,
und für seine Dienste überhaupt, noch eine
Belohnung. Jch griff in Steeleys Taschen,
um sür ihn etwas zu suchen; allein die Wa-
che hatte ihm alles genommen. Da der Auf-
seher kein Geld mehr sah: so schien der Schat-
ten von seinem Mitleiden zu verschwinden.
Er gieng mißvergnügt fort und ließ mich in
einem Zustande liegen, den ich euch nicht be-
schreiben kann. Jch versank in Schwermuth
und Traurigkeit. Von Gott und Menschen
in meinen Gedanken verlassen, und feindselig im
Herzen wider beide, schlief ich schrecklicher
Mensch ein, indem ich mir den Tod tausend-
mal wünschte. Es war viele Nächte kein
Schlaf in meine Augen gekommen, und mei-
ne zerstörten und ermatteten Geister hatten
eine lange Ruhe nöthig, wenn sie wieder zu sich
selbst kommen sollten. Jch glaube, daß ich
länger als vier und zwanzig Stunden in ei-
nem Stücke geschlafen habe. Jch erwachte
und sah meinen Freund mit aufgeschlagnen
Augen neben mir liegen. Er fragte mich, wo
Sidne wäre, denn er war weggeschafft wor-

den,

Leben der Schwediſchen
ner Betaͤubung lag, und wenigſtens itzt gluͤck-
licher war als ich, weil er ſich ſeiner nicht mehr
bewußt zu ſeyn ſchien. An Statt, daß der
Aufſeher mir einen Troſt haͤtte zuſprechen ſol-
len: ſo foderte er fuͤr die grauſame Nachricht,
und fuͤr ſeine Dienſte uͤberhaupt, noch eine
Belohnung. Jch griff in Steeleys Taſchen,
um ſuͤr ihn etwas zu ſuchen; allein die Wa-
che hatte ihm alles genommen. Da der Auf-
ſeher kein Geld mehr ſah: ſo ſchien der Schat-
ten von ſeinem Mitleiden zu verſchwinden.
Er gieng mißvergnuͤgt fort und ließ mich in
einem Zuſtande liegen, den ich euch nicht be-
ſchreiben kann. Jch verſank in Schwermuth
und Traurigkeit. Von Gott und Menſchen
in meinen Gedanken verlaſſen, und feindſelig im
Herzen wider beide, ſchlief ich ſchrecklicher
Menſch ein, indem ich mir den Tod tauſend-
mal wuͤnſchte. Es war viele Naͤchte kein
Schlaf in meine Augen gekommen, und mei-
ne zerſtoͤrten und ermatteten Geiſter hatten
eine lange Ruhe noͤthig, wenn ſie wieder zu ſich
ſelbſt kommen ſollten. Jch glaube, daß ich
laͤnger als vier und zwanzig Stunden in ei-
nem Stuͤcke geſchlafen habe. Jch erwachte
und ſah meinen Freund mit aufgeſchlagnen
Augen neben mir liegen. Er fragte mich, wo
Sidne waͤre, denn er war weggeſchafft wor-

den,
<TEI>
  <text>
    <body>
      <floatingText>
        <body>
          <div type="letter">
            <p><pb facs="#f0028" n="28"/><fw place="top" type="header"><hi rendition="#b">Leben der Schwedi&#x017F;chen</hi></fw><lb/>
ner Beta&#x0364;ubung lag, und wenig&#x017F;tens itzt glu&#x0364;ck-<lb/>
licher war als ich, weil er &#x017F;ich &#x017F;einer nicht mehr<lb/>
bewußt zu &#x017F;eyn &#x017F;chien. An Statt, daß der<lb/>
Auf&#x017F;eher mir einen Tro&#x017F;t ha&#x0364;tte zu&#x017F;prechen &#x017F;ol-<lb/>
len: &#x017F;o foderte er fu&#x0364;r die grau&#x017F;ame Nachricht,<lb/>
und fu&#x0364;r &#x017F;eine Dien&#x017F;te u&#x0364;berhaupt, noch eine<lb/>
Belohnung. Jch griff in Steeleys Ta&#x017F;chen,<lb/>
um &#x017F;u&#x0364;r ihn etwas zu &#x017F;uchen; allein die Wa-<lb/>
che hatte ihm alles genommen. Da der Auf-<lb/>
&#x017F;eher kein Geld mehr &#x017F;ah: &#x017F;o &#x017F;chien der Schat-<lb/>
ten von &#x017F;einem Mitleiden zu ver&#x017F;chwinden.<lb/>
Er gieng mißvergnu&#x0364;gt fort und ließ mich in<lb/>
einem Zu&#x017F;tande liegen, den ich euch nicht be-<lb/>
&#x017F;chreiben kann. Jch ver&#x017F;ank in Schwermuth<lb/>
und Traurigkeit. Von Gott und Men&#x017F;chen<lb/>
in meinen Gedanken verla&#x017F;&#x017F;en, und feind&#x017F;elig im<lb/>
Herzen wider beide, &#x017F;chlief ich &#x017F;chrecklicher<lb/>
Men&#x017F;ch ein, indem ich mir den Tod tau&#x017F;end-<lb/>
mal wu&#x0364;n&#x017F;chte. Es war viele Na&#x0364;chte kein<lb/>
Schlaf in meine Augen gekommen, und mei-<lb/>
ne zer&#x017F;to&#x0364;rten und ermatteten Gei&#x017F;ter hatten<lb/>
eine lange Ruhe no&#x0364;thig, wenn &#x017F;ie wieder zu &#x017F;ich<lb/>
&#x017F;elb&#x017F;t kommen &#x017F;ollten. Jch glaube, daß ich<lb/>
la&#x0364;nger als vier und zwanzig Stunden in ei-<lb/>
nem Stu&#x0364;cke ge&#x017F;chlafen habe. Jch erwachte<lb/>
und &#x017F;ah meinen Freund mit aufge&#x017F;chlagnen<lb/>
Augen neben mir liegen. Er fragte mich, wo<lb/>
Sidne wa&#x0364;re, denn er war wegge&#x017F;chafft wor-<lb/>
<fw place="bottom" type="catch">den,</fw><lb/></p>
          </div>
        </body>
      </floatingText>
    </body>
  </text>
</TEI>
[28/0028] Leben der Schwediſchen ner Betaͤubung lag, und wenigſtens itzt gluͤck- licher war als ich, weil er ſich ſeiner nicht mehr bewußt zu ſeyn ſchien. An Statt, daß der Aufſeher mir einen Troſt haͤtte zuſprechen ſol- len: ſo foderte er fuͤr die grauſame Nachricht, und fuͤr ſeine Dienſte uͤberhaupt, noch eine Belohnung. Jch griff in Steeleys Taſchen, um ſuͤr ihn etwas zu ſuchen; allein die Wa- che hatte ihm alles genommen. Da der Auf- ſeher kein Geld mehr ſah: ſo ſchien der Schat- ten von ſeinem Mitleiden zu verſchwinden. Er gieng mißvergnuͤgt fort und ließ mich in einem Zuſtande liegen, den ich euch nicht be- ſchreiben kann. Jch verſank in Schwermuth und Traurigkeit. Von Gott und Menſchen in meinen Gedanken verlaſſen, und feindſelig im Herzen wider beide, ſchlief ich ſchrecklicher Menſch ein, indem ich mir den Tod tauſend- mal wuͤnſchte. Es war viele Naͤchte kein Schlaf in meine Augen gekommen, und mei- ne zerſtoͤrten und ermatteten Geiſter hatten eine lange Ruhe noͤthig, wenn ſie wieder zu ſich ſelbſt kommen ſollten. Jch glaube, daß ich laͤnger als vier und zwanzig Stunden in ei- nem Stuͤcke geſchlafen habe. Jch erwachte und ſah meinen Freund mit aufgeſchlagnen Augen neben mir liegen. Er fragte mich, wo Sidne waͤre, denn er war weggeſchafft wor- den,

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/gellert_leben02_1748
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/gellert_leben02_1748/28
Zitationshilfe: [Gellert, Christian Fürchtegott]: Das Leben der Schwedischen Gräfinn von G**. Bd. 2. Leipzig, 1748, S. 28. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/gellert_leben02_1748/28>, abgerufen am 03.12.2024.