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[Gellert, Christian Fürchtegott]: Das Leben der Schwedischen Gräfinn von G**. Bd. 2. Leipzig, 1748.

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Gräfinn von G**
sen sah: so gab ich mich zu meiner Sicherheit
für einen Capitain aus und nannte mich Lö-
wenhoek. Unter allen denen Gefangenen,
mit welchen ich bald in diese, bald in jene Fe-
stung, und endlich nach der Stadt Moskau
geschleppt worden bin, sind nicht mehr, als
zween Officiere, die mich kennen. Sie sind
beide Engelländer von Geburt und die treu-
sten und besten Gefährten meines Elends, die
ich mir nur wünschen kann. Der eine von
ihnen, Steeley, hat vor wenig Tagen die Frey-
heit erhalten, einige von seinen Landsleuten,
die hieher handeln, zu sprechen, und durch die-
se hat er mir einen Brief nach Liefland zu be-
stellen, die sicherste Gelegenheit ausgemacht.
Wenn er doch schon in euren Händen wäre!
Wenn ich doch nur eine von den Thränen der
Freude sehen sollte, die euch die Nachricht von
meinem Leben auspressen wird. Wo habt
ihr euch denn nach meinem letzten traurigen
Briefe hingewandt? Hat euch die Rache des
ungerechten Prinzen nicht verfolgt? Jst mein
Freund R** mit euch geflüchtet? Und wo-
hin? Arme und unglückliche Gemahlinn!
Gönnt mir doch den Trost, daß ich alle mein
gegenwärtiges Unglück und das noch künftige
eurer Tugend und eurer Liebe gegen mich zu-
schreiben darf. Nichts als diese Ursache ist

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A 3

Graͤfinn von G**
ſen ſah: ſo gab ich mich zu meiner Sicherheit
fuͤr einen Capitain aus und nannte mich Loͤ-
wenhoek. Unter allen denen Gefangenen,
mit welchen ich bald in dieſe, bald in jene Fe-
ſtung, und endlich nach der Stadt Moskau
geſchleppt worden bin, ſind nicht mehr, als
zween Officiere, die mich kennen. Sie ſind
beide Engellaͤnder von Geburt und die treu-
ſten und beſten Gefaͤhrten meines Elends, die
ich mir nur wuͤnſchen kann. Der eine von
ihnen, Steeley, hat vor wenig Tagen die Frey-
heit erhalten, einige von ſeinen Landsleuten,
die hieher handeln, zu ſprechen, und durch die-
ſe hat er mir einen Brief nach Liefland zu be-
ſtellen, die ſicherſte Gelegenheit ausgemacht.
Wenn er doch ſchon in euren Haͤnden waͤre!
Wenn ich doch nur eine von den Thraͤnen der
Freude ſehen ſollte, die euch die Nachricht von
meinem Leben auspreſſen wird. Wo habt
ihr euch denn nach meinem letzten traurigen
Briefe hingewandt? Hat euch die Rache des
ungerechten Prinzen nicht verfolgt? Jſt mein
Freund R** mit euch gefluͤchtet? Und wo-
hin? Arme und ungluͤckliche Gemahlinn!
Goͤnnt mir doch den Troſt, daß ich alle mein
gegenwaͤrtiges Ungluͤck und das noch kuͤnftige
eurer Tugend und eurer Liebe gegen mich zu-
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[5/0005] Graͤfinn von G** ſen ſah: ſo gab ich mich zu meiner Sicherheit fuͤr einen Capitain aus und nannte mich Loͤ- wenhoek. Unter allen denen Gefangenen, mit welchen ich bald in dieſe, bald in jene Fe- ſtung, und endlich nach der Stadt Moskau geſchleppt worden bin, ſind nicht mehr, als zween Officiere, die mich kennen. Sie ſind beide Engellaͤnder von Geburt und die treu- ſten und beſten Gefaͤhrten meines Elends, die ich mir nur wuͤnſchen kann. Der eine von ihnen, Steeley, hat vor wenig Tagen die Frey- heit erhalten, einige von ſeinen Landsleuten, die hieher handeln, zu ſprechen, und durch die- ſe hat er mir einen Brief nach Liefland zu be- ſtellen, die ſicherſte Gelegenheit ausgemacht. Wenn er doch ſchon in euren Haͤnden waͤre! Wenn ich doch nur eine von den Thraͤnen der Freude ſehen ſollte, die euch die Nachricht von meinem Leben auspreſſen wird. Wo habt ihr euch denn nach meinem letzten traurigen Briefe hingewandt? Hat euch die Rache des ungerechten Prinzen nicht verfolgt? Jſt mein Freund R** mit euch gefluͤchtet? Und wo- hin? Arme und ungluͤckliche Gemahlinn! Goͤnnt mir doch den Troſt, daß ich alle mein gegenwaͤrtiges Ungluͤck und das noch kuͤnftige eurer Tugend und eurer Liebe gegen mich zu- ſchreiben darf. Nichts als dieſe Urſache iſt ver- A 3

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Zitationshilfe: [Gellert, Christian Fürchtegott]: Das Leben der Schwedischen Gräfinn von G**. Bd. 2. Leipzig, 1748, S. 5. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/gellert_leben02_1748/5>, abgerufen am 23.11.2024.