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Gerber, Carl Friedrich von: Grundzüge eines Systems des deutschen Staatsrecht. Leipzig, 1865.

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Dritter Abschnitt.

Zunächst das Gebiet des Strafrechts; dass die
Bestimmung der einer verbrecherischen Handlung fol-

mann, über das Wesen der s. g. administrativ-contentiösen Sachen
mit besonderer Rücksicht auf Bayern, 1853; endlich Bähr, der
Rechtsstaat, eine publicistische Skizze, 1864. Alle diese Schriften
stehen (mit Ausnahme der letzten) auf einem verwandten Stand-
punkte, obschon sie den entscheidenden Gesichtspunkt verschie-
denartig formuliren, auch im Einzelnen mehrfach auseinander
gehen. Nur Bähr scheint in seiner Schrift wieder eine fast un-
begränzte Erweiterung der Civiljustiz anzustreben, indem er den
Staat in die Sphäre seines s. g. Genossenschaftsrechts versetzen,
und die Rechtmässigkeit seiner Bewegung der allgemeinen
Kritik der Gerichte unterstellen will; aber doch befreundet er sich
S. 71 flg. mit der Einrichtung anderer, als der gewöhnlichen Civil-
gerichte hierfür, Gerichte des öffentlichen Rechts, wodurch seine
vorangehende Deduction freilich einen wesentlich anderen Cha-
racter erhält. Die Technik seines Genossenschaftsrechts gewährt
ihm gewisse Kategorieen, mit deren Hülfe er staatliche Beziehun-
gen so zu formuliren vermag, dass sie sich privatrechtlichen Er-
scheinungen verwandt zeigen. Noch weniger brauchbar erscheint
mir aber die in der jüngsten Zeit von Stein, die Verwaltungslehre
1. Th. 1865 S. 113 flg. aufgestellte Theorie, indem er ein (von der
Beschwerde zu unterscheidendes) administratives "Klagrecht" in
denjenigen Fällen gestattet, wo eine "Verordnung" (im constitu-
tionellen Sinne des Worts) im Widerspruche mit einem "Gesetze"
erlassen wird. So energisch auch diese Theorie geltend gemacht
wird, so gering ist doch offenbar ihre Leistungsfähigkeit, wie sich
sofort ergiebt, wenn man mit ihrer Hülfe das Problem der Ab-
gränzung der Justiz und Administration zu lösen versucht. Ueber-
haupt ist es ein sehr allgemeiner Abweg der meisten juristischen
Schriftsteller über diess Thema, dass sie die Entscheidung der
Competenzgränzen hauptsächlich bei der Frage über die Behand-
lung einer durch die Verwaltung geschehenen Rechtsverletzung
des Einzelnen zu gewinnen versuchen, indem jene vielmehr allein
durch die allgemeine Bestimmung der der Rechtspflege und der
der Verwaltung überhaupt angehörenden Verhältnisse gefunden
werden kann. -- Nur wenige Staaten haben (wie z. B. das König-
reich Sachsen durch seine Competenzgesetze von 1835) den Ver-
such gemacht, unsere Frage durch eine umfassende Gesetzgebung
zu beantworten. In den meisten Staaten ist die Frage durch die
Dritter Abschnitt.

Zunächst das Gebiet des Strafrechts; dass die
Bestimmung der einer verbrecherischen Handlung fol-

mann, über das Wesen der s. g. administrativ-contentiösen Sachen
mit besonderer Rücksicht auf Bayern, 1853; endlich Bähr, der
Rechtsstaat, eine publicistische Skizze, 1864. Alle diese Schriften
stehen (mit Ausnahme der letzten) auf einem verwandten Stand-
punkte, obschon sie den entscheidenden Gesichtspunkt verschie-
denartig formuliren, auch im Einzelnen mehrfach auseinander
gehen. Nur Bähr scheint in seiner Schrift wieder eine fast un-
begränzte Erweiterung der Civiljustiz anzustreben, indem er den
Staat in die Sphäre seines s. g. Genossenschaftsrechts versetzen,
und die Rechtmässigkeit seiner Bewegung der allgemeinen
Kritik der Gerichte unterstellen will; aber doch befreundet er sich
S. 71 flg. mit der Einrichtung anderer, als der gewöhnlichen Civil-
gerichte hierfür, Gerichte des öffentlichen Rechts, wodurch seine
vorangehende Deduction freilich einen wesentlich anderen Cha-
racter erhält. Die Technik seines Genossenschaftsrechts gewährt
ihm gewisse Kategorieen, mit deren Hülfe er staatliche Beziehun-
gen so zu formuliren vermag, dass sie sich privatrechtlichen Er-
scheinungen verwandt zeigen. Noch weniger brauchbar erscheint
mir aber die in der jüngsten Zeit von Stein, die Verwaltungslehre
1. Th. 1865 S. 113 flg. aufgestellte Theorie, indem er ein (von der
Beschwerde zu unterscheidendes) administratives „Klagrecht“ in
denjenigen Fällen gestattet, wo eine „Verordnung“ (im constitu-
tionellen Sinne des Worts) im Widerspruche mit einem „Gesetze“
erlassen wird. So energisch auch diese Theorie geltend gemacht
wird, so gering ist doch offenbar ihre Leistungsfähigkeit, wie sich
sofort ergiebt, wenn man mit ihrer Hülfe das Problem der Ab-
gränzung der Justiz und Administration zu lösen versucht. Ueber-
haupt ist es ein sehr allgemeiner Abweg der meisten juristischen
Schriftsteller über diess Thema, dass sie die Entscheidung der
Competenzgränzen hauptsächlich bei der Frage über die Behand-
lung einer durch die Verwaltung geschehenen Rechtsverletzung
des Einzelnen zu gewinnen versuchen, indem jene vielmehr allein
durch die allgemeine Bestimmung der der Rechtspflege und der
der Verwaltung überhaupt angehörenden Verhältnisse gefunden
werden kann. — Nur wenige Staaten haben (wie z. B. das König-
reich Sachsen durch seine Competenzgesetze von 1835) den Ver-
such gemacht, unsere Frage durch eine umfassende Gesetzgebung
zu beantworten. In den meisten Staaten ist die Frage durch die
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[172/0190] Dritter Abschnitt. Zunächst das Gebiet des Strafrechts; dass die Bestimmung der einer verbrecherischen Handlung fol- 1 1 mann, über das Wesen der s. g. administrativ-contentiösen Sachen mit besonderer Rücksicht auf Bayern, 1853; endlich Bähr, der Rechtsstaat, eine publicistische Skizze, 1864. Alle diese Schriften stehen (mit Ausnahme der letzten) auf einem verwandten Stand- punkte, obschon sie den entscheidenden Gesichtspunkt verschie- denartig formuliren, auch im Einzelnen mehrfach auseinander gehen. Nur Bähr scheint in seiner Schrift wieder eine fast un- begränzte Erweiterung der Civiljustiz anzustreben, indem er den Staat in die Sphäre seines s. g. Genossenschaftsrechts versetzen, und die Rechtmässigkeit seiner Bewegung der allgemeinen Kritik der Gerichte unterstellen will; aber doch befreundet er sich S. 71 flg. mit der Einrichtung anderer, als der gewöhnlichen Civil- gerichte hierfür, Gerichte des öffentlichen Rechts, wodurch seine vorangehende Deduction freilich einen wesentlich anderen Cha- racter erhält. Die Technik seines Genossenschaftsrechts gewährt ihm gewisse Kategorieen, mit deren Hülfe er staatliche Beziehun- gen so zu formuliren vermag, dass sie sich privatrechtlichen Er- scheinungen verwandt zeigen. Noch weniger brauchbar erscheint mir aber die in der jüngsten Zeit von Stein, die Verwaltungslehre 1. Th. 1865 S. 113 flg. aufgestellte Theorie, indem er ein (von der Beschwerde zu unterscheidendes) administratives „Klagrecht“ in denjenigen Fällen gestattet, wo eine „Verordnung“ (im constitu- tionellen Sinne des Worts) im Widerspruche mit einem „Gesetze“ erlassen wird. So energisch auch diese Theorie geltend gemacht wird, so gering ist doch offenbar ihre Leistungsfähigkeit, wie sich sofort ergiebt, wenn man mit ihrer Hülfe das Problem der Ab- gränzung der Justiz und Administration zu lösen versucht. Ueber- haupt ist es ein sehr allgemeiner Abweg der meisten juristischen Schriftsteller über diess Thema, dass sie die Entscheidung der Competenzgränzen hauptsächlich bei der Frage über die Behand- lung einer durch die Verwaltung geschehenen Rechtsverletzung des Einzelnen zu gewinnen versuchen, indem jene vielmehr allein durch die allgemeine Bestimmung der der Rechtspflege und der der Verwaltung überhaupt angehörenden Verhältnisse gefunden werden kann. — Nur wenige Staaten haben (wie z. B. das König- reich Sachsen durch seine Competenzgesetze von 1835) den Ver- such gemacht, unsere Frage durch eine umfassende Gesetzgebung zu beantworten. In den meisten Staaten ist die Frage durch die

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Zitationshilfe: Gerber, Carl Friedrich von: Grundzüge eines Systems des deutschen Staatsrecht. Leipzig, 1865, S. 172. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/gerber_staatsrecht_1865/190>, abgerufen am 27.11.2024.