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Gerber, Carl Friedrich von: Grundzüge eines Systems des deutschen Staatsrecht. Leipzig, 1865.

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§. 56. Competenz der Justiz.
genden Strafe nur nach dem Massstabe der Gerechtig-
keit, mit Ausschluss aller subjectiven und aus anderen
Interessenkreisen entlehnten Motive zu geschehen habe,
ist ein Satz, der nicht bloss als unentbehrliche Garantie
der staatsbürgerlichen Freiheit besteht, sondern auch die
nothwendige Voraussetzung der Rechtfertigung der Straf-
gewalt des Staats selbst bildet, welche auf kein anderes
Fundament als auf das der Gerechtigkeit gestützt wer-
den kann.2 -- Sodann das Gebiet des Privatrechts.
Denn die privatrechtlichen Rechtsverhältnisse stehen
ausserhalb des Staatszusammenhangs; sie gehören der
individuellen, nichtstaatlichen Persönlichkeit der Ein-

Praxis und durch eine grosse Menge vereinzelter Competenzbe-
stimmungen besonderer Specialgesetze (z. B. Gewerbeordnungen)
gelöst worden, so dass eine bedeutende Zahl einzelner Präju-
dizien und Gesetzesparagraphen zusammengestellt werden muss,
um ein Bild des positiv geltenden Competenzrechts zu gewähren.
Siehe z. B. v. Rönne, Preussisches Staatsrecht I., 1. S. 236 flg.
Pöhlmann a. a. O. Berner-Schäfer, Württembergischer
Civilprocess, S. 58 flg. (vergl. mit Gessler in der Tüb. Zeitschrift
für Staatswiss. 1862, S. 719 flg.). Zachariä im Magazin für
Hannoverisches Recht, Bd. 1. S. 1 flg. und 215 flg.
2 Auch die Strafgewalt der Polizeibehörden ist eine wirkliche
Strafgewalt. Sie unterscheidet sich von der der Criminalgerichte
principiell nicht, indem von beiden Gerichten über die Strafwür-
digkeit von Handlungen nach den Grundsätzen des Rechts erkannt
wird. Die Unterscheidung der Competenz liegt mehr in einer
äusserlichen Classificirung der rechtswidrigen Handlungen. -- Es
sind die im Texte angeführten Gründe, welche die Herrschaft des
absoluten Rechts in der Handhabung der Gerichte für das Gebiet
des Strafrechts fordern. Es sind also etwas andere Gründe, als
diejenigen, welche für das gleiche Ergebniss bei Privatrechtsver-
hältnissen entscheidend sind. Diess wird z. B. nicht genügend
gewürdigt von Regelsbreger a. a. O., dessen Darlegung im
Uebrigen zum Besten gehört, was über diese Frage geschrieben
worden ist.

§. 56. Competenz der Justiz.
genden Strafe nur nach dem Massstabe der Gerechtig-
keit, mit Ausschluss aller subjectiven und aus anderen
Interessenkreisen entlehnten Motive zu geschehen habe,
ist ein Satz, der nicht bloss als unentbehrliche Garantie
der staatsbürgerlichen Freiheit besteht, sondern auch die
nothwendige Voraussetzung der Rechtfertigung der Straf-
gewalt des Staats selbst bildet, welche auf kein anderes
Fundament als auf das der Gerechtigkeit gestützt wer-
den kann.2 — Sodann das Gebiet des Privatrechts.
Denn die privatrechtlichen Rechtsverhältnisse stehen
ausserhalb des Staatszusammenhangs; sie gehören der
individuellen, nichtstaatlichen Persönlichkeit der Ein-

Praxis und durch eine grosse Menge vereinzelter Competenzbe-
stimmungen besonderer Specialgesetze (z. B. Gewerbeordnungen)
gelöst worden, so dass eine bedeutende Zahl einzelner Präju-
dizien und Gesetzesparagraphen zusammengestellt werden muss,
um ein Bild des positiv geltenden Competenzrechts zu gewähren.
Siehe z. B. v. Rönne, Preussisches Staatsrecht I., 1. S. 236 flg.
Pöhlmann a. a. O. Berner-Schäfer, Württembergischer
Civilprocess, S. 58 flg. (vergl. mit Gessler in der Tüb. Zeitschrift
für Staatswiss. 1862, S. 719 flg.). Zachariä im Magazin für
Hannoverisches Recht, Bd. 1. S. 1 flg. und 215 flg.
2 Auch die Strafgewalt der Polizeibehörden ist eine wirkliche
Strafgewalt. Sie unterscheidet sich von der der Criminalgerichte
principiell nicht, indem von beiden Gerichten über die Strafwür-
digkeit von Handlungen nach den Grundsätzen des Rechts erkannt
wird. Die Unterscheidung der Competenz liegt mehr in einer
äusserlichen Classificirung der rechtswidrigen Handlungen. — Es
sind die im Texte angeführten Gründe, welche die Herrschaft des
absoluten Rechts in der Handhabung der Gerichte für das Gebiet
des Strafrechts fordern. Es sind also etwas andere Gründe, als
diejenigen, welche für das gleiche Ergebniss bei Privatrechtsver-
hältnissen entscheidend sind. Diess wird z. B. nicht genügend
gewürdigt von Regelsbreger a. a. O., dessen Darlegung im
Uebrigen zum Besten gehört, was über diese Frage geschrieben
worden ist.
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[173/0191] §. 56. Competenz der Justiz. genden Strafe nur nach dem Massstabe der Gerechtig- keit, mit Ausschluss aller subjectiven und aus anderen Interessenkreisen entlehnten Motive zu geschehen habe, ist ein Satz, der nicht bloss als unentbehrliche Garantie der staatsbürgerlichen Freiheit besteht, sondern auch die nothwendige Voraussetzung der Rechtfertigung der Straf- gewalt des Staats selbst bildet, welche auf kein anderes Fundament als auf das der Gerechtigkeit gestützt wer- den kann. 2 — Sodann das Gebiet des Privatrechts. Denn die privatrechtlichen Rechtsverhältnisse stehen ausserhalb des Staatszusammenhangs; sie gehören der individuellen, nichtstaatlichen Persönlichkeit der Ein- 1 2 Auch die Strafgewalt der Polizeibehörden ist eine wirkliche Strafgewalt. Sie unterscheidet sich von der der Criminalgerichte principiell nicht, indem von beiden Gerichten über die Strafwür- digkeit von Handlungen nach den Grundsätzen des Rechts erkannt wird. Die Unterscheidung der Competenz liegt mehr in einer äusserlichen Classificirung der rechtswidrigen Handlungen. — Es sind die im Texte angeführten Gründe, welche die Herrschaft des absoluten Rechts in der Handhabung der Gerichte für das Gebiet des Strafrechts fordern. Es sind also etwas andere Gründe, als diejenigen, welche für das gleiche Ergebniss bei Privatrechtsver- hältnissen entscheidend sind. Diess wird z. B. nicht genügend gewürdigt von Regelsbreger a. a. O., dessen Darlegung im Uebrigen zum Besten gehört, was über diese Frage geschrieben worden ist. 1 Praxis und durch eine grosse Menge vereinzelter Competenzbe- stimmungen besonderer Specialgesetze (z. B. Gewerbeordnungen) gelöst worden, so dass eine bedeutende Zahl einzelner Präju- dizien und Gesetzesparagraphen zusammengestellt werden muss, um ein Bild des positiv geltenden Competenzrechts zu gewähren. Siehe z. B. v. Rönne, Preussisches Staatsrecht I., 1. S. 236 flg. Pöhlmann a. a. O. Berner-Schäfer, Württembergischer Civilprocess, S. 58 flg. (vergl. mit Gessler in der Tüb. Zeitschrift für Staatswiss. 1862, S. 719 flg.). Zachariä im Magazin für Hannoverisches Recht, Bd. 1. S. 1 flg. und 215 flg.

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Zitationshilfe: Gerber, Carl Friedrich von: Grundzüge eines Systems des deutschen Staatsrecht. Leipzig, 1865, S. 173. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/gerber_staatsrecht_1865/191>, abgerufen am 23.11.2024.