Gerber, Carl Friedrich von: Grundzüge eines Systems des deutschen Staatsrecht. Leipzig, 1865.Erster Abschnitt. lirung ausschliesslich oder doch zweckmässig nur durchabstracte Ordnungen, durch feste und dauernde allge- meine Normen geschehen kann;2 indem nun die Staats- gewalt diese Art der Regulirung unternimmt, wirkt sie gesetzgebend, und man nennt sie in dieser besonderen keine "Rechte" des Staats, sondern sind die Staatsgewalt selbst, deren verschiedene Thätigkeitsformen nur in jenen Begriffen systematisirt werden. Damit ergiebt sich von selbst die Ueber- flüssigkeit, aber freilich auch die Unrichtigkeit der Attribute "wesentlich" und "unveräusserlich," und jeder classificirenden Verbindung der Thätigkeitsformen der Staatsgewalt mit den Re- galien, die weder etwas Gleichartiges noch etwas Gegensätzliches sind, indem sie gegenüber jenen Begriffen ausser allem logischen Zusammenhange stehen. 2 In der Erkenntniss der Gränze der Berechtigung der ge-
setzgeberischen Thätigkeit des Staats ist nach meiner Ansicht eine überaus wichtige Voraussetzung richtiger innerer Politik enthal- ten. Eine unruhige Gesetzfabrikation, welche sich auch auf die wandelbarsten Erscheinungen des Lebens erstreckt, und daher das kaum Festgestellte alsbald wieder der Veränderung unterwer- fen muss, wird immer dem Ansehen des Gesetzes Eintrag thun. Es scheint, als wenn von zwei Standpunkten aus das aus jener Er- kenntniss sich ergebende Mass bestritten werde. Einmal wünscht eine politische Partei die möglichste Ausdehnung des Gesetz- gebungsgebiets, um dadurch den Umfang des Einflusses der Ständeversammlung zu vergrössern; sodann wird dieser Wunsch von Anderen deshalb gehegt, weil sie eine gerechte und gedeih- liche Verwaltung sich nur unter der Voraussetzung denken kön- nen, dass der Regierung kein Raum freien Entschliessens übrig bleibe, sondern das ganze Staatsleben, selbst in seinen vorüber- gehenden Erscheinungen, in die Form von Gesetzen gebracht sei. Würde man diesem Gedanken unter dem Einflusse eines Princips des Misstrauens rücksichtslos Raum geben, so würde er zuletzt dazu führen, dass fast die gesammte Staatsthätigkeit in der Pro- duction von Gesetzen und ihrer stetigen Umformung aufginge, und dass die Staatsverwaltung sich nur noch als eine mechanische Paragraphenanwendung darstellte; dann möchte aber die ge- fürchtete Frische des persönlichen Handelns durch ein weit be- denklicheres Automatenthum ersetzt sein. Erster Abschnitt. lirung ausschliesslich oder doch zweckmässig nur durchabstracte Ordnungen, durch feste und dauernde allge- meine Normen geschehen kann;2 indem nun die Staats- gewalt diese Art der Regulirung unternimmt, wirkt sie gesetzgebend, und man nennt sie in dieser besonderen keine „Rechte“ des Staats, sondern sind die Staatsgewalt selbst, deren verschiedene Thätigkeitsformen nur in jenen Begriffen systematisirt werden. Damit ergiebt sich von selbst die Ueber- flüssigkeit, aber freilich auch die Unrichtigkeit der Attribute „wesentlich“ und „unveräusserlich,“ und jeder classificirenden Verbindung der Thätigkeitsformen der Staatsgewalt mit den Re- galien, die weder etwas Gleichartiges noch etwas Gegensätzliches sind, indem sie gegenüber jenen Begriffen ausser allem logischen Zusammenhange stehen. 2 In der Erkenntniss der Gränze der Berechtigung der ge-
setzgeberischen Thätigkeit des Staats ist nach meiner Ansicht eine überaus wichtige Voraussetzung richtiger innerer Politik enthal- ten. Eine unruhige Gesetzfabrikation, welche sich auch auf die wandelbarsten Erscheinungen des Lebens erstreckt, und daher das kaum Festgestellte alsbald wieder der Veränderung unterwer- fen muss, wird immer dem Ansehen des Gesetzes Eintrag thun. Es scheint, als wenn von zwei Standpunkten aus das aus jener Er- kenntniss sich ergebende Mass bestritten werde. Einmal wünscht eine politische Partei die möglichste Ausdehnung des Gesetz- gebungsgebiets, um dadurch den Umfang des Einflusses der Ständeversammlung zu vergrössern; sodann wird dieser Wunsch von Anderen deshalb gehegt, weil sie eine gerechte und gedeih- liche Verwaltung sich nur unter der Voraussetzung denken kön- nen, dass der Regierung kein Raum freien Entschliessens übrig bleibe, sondern das ganze Staatsleben, selbst in seinen vorüber- gehenden Erscheinungen, in die Form von Gesetzen gebracht sei. Würde man diesem Gedanken unter dem Einflusse eines Princips des Misstrauens rücksichtslos Raum geben, so würde er zuletzt dazu führen, dass fast die gesammte Staatsthätigkeit in der Pro- duction von Gesetzen und ihrer stetigen Umformung aufginge, und dass die Staatsverwaltung sich nur noch als eine mechanische Paragraphenanwendung darstellte; dann möchte aber die ge- fürchtete Frische des persönlichen Handelns durch ein weit be- denklicheres Automatenthum ersetzt sein. <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <div n="3"> <p><pb facs="#f0044" n="26"/><fw place="top" type="header">Erster Abschnitt.</fw><lb/> lirung ausschliesslich oder doch zweckmässig nur durch<lb/> abstracte Ordnungen, durch feste und dauernde allge-<lb/> meine Normen geschehen kann;<note place="foot" n="2">In der Erkenntniss der Gränze der Berechtigung der ge-<lb/> setzgeberischen Thätigkeit des Staats ist nach meiner Ansicht eine<lb/> überaus wichtige Voraussetzung richtiger innerer Politik enthal-<lb/> ten. Eine unruhige Gesetzfabrikation, welche sich auch auf die<lb/> wandelbarsten Erscheinungen des Lebens erstreckt, und daher<lb/> das kaum Festgestellte alsbald wieder der Veränderung unterwer-<lb/> fen muss, wird immer dem Ansehen des Gesetzes Eintrag thun.<lb/> Es scheint, als wenn von zwei Standpunkten aus das aus jener Er-<lb/> kenntniss sich ergebende Mass bestritten werde. Einmal wünscht<lb/> eine politische Partei die möglichste Ausdehnung des Gesetz-<lb/> gebungsgebiets, um dadurch den Umfang des Einflusses der<lb/> Ständeversammlung zu vergrössern; sodann wird dieser Wunsch<lb/> von Anderen deshalb gehegt, weil sie eine gerechte und gedeih-<lb/> liche Verwaltung sich nur unter der Voraussetzung denken kön-<lb/> nen, dass der Regierung kein Raum freien Entschliessens übrig<lb/> bleibe, sondern das ganze Staatsleben, selbst in seinen vorüber-<lb/> gehenden Erscheinungen, in die Form von Gesetzen gebracht sei.<lb/> Würde man diesem Gedanken unter dem Einflusse eines Princips<lb/> des Misstrauens rücksichtslos Raum geben, so würde er zuletzt<lb/> dazu führen, dass fast die gesammte Staatsthätigkeit in der Pro-<lb/> duction von Gesetzen und ihrer stetigen Umformung aufginge,<lb/> und dass die Staatsverwaltung sich nur noch als eine mechanische<lb/> Paragraphenanwendung darstellte; dann möchte aber die ge-<lb/> fürchtete Frische des persönlichen Handelns durch ein weit be-<lb/> denklicheres Automatenthum ersetzt sein.</note> indem nun die Staats-<lb/> gewalt diese Art der Regulirung unternimmt, wirkt sie<lb/><hi rendition="#g">gesetzgebend,</hi> und man nennt sie in dieser besonderen<lb/><note xml:id="note-0044" prev="#note-0043a" place="foot" n="1">keine „Rechte“ des Staats, sondern sind die Staatsgewalt selbst,<lb/> deren verschiedene Thätigkeitsformen nur in jenen Begriffen<lb/> systematisirt werden. Damit ergiebt sich von selbst die Ueber-<lb/> flüssigkeit, aber freilich auch die Unrichtigkeit der Attribute<lb/> „wesentlich“ und „unveräusserlich,“ und jeder classificirenden<lb/> Verbindung der Thätigkeitsformen der Staatsgewalt mit den Re-<lb/> galien, die weder etwas Gleichartiges noch etwas Gegensätzliches<lb/> sind, indem sie gegenüber jenen Begriffen ausser allem logischen<lb/> Zusammenhange stehen.</note><lb/></p> </div> </div> </div> </body> </text> </TEI> [26/0044]
Erster Abschnitt.
lirung ausschliesslich oder doch zweckmässig nur durch
abstracte Ordnungen, durch feste und dauernde allge-
meine Normen geschehen kann; 2 indem nun die Staats-
gewalt diese Art der Regulirung unternimmt, wirkt sie
gesetzgebend, und man nennt sie in dieser besonderen
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2 In der Erkenntniss der Gränze der Berechtigung der ge-
setzgeberischen Thätigkeit des Staats ist nach meiner Ansicht eine
überaus wichtige Voraussetzung richtiger innerer Politik enthal-
ten. Eine unruhige Gesetzfabrikation, welche sich auch auf die
wandelbarsten Erscheinungen des Lebens erstreckt, und daher
das kaum Festgestellte alsbald wieder der Veränderung unterwer-
fen muss, wird immer dem Ansehen des Gesetzes Eintrag thun.
Es scheint, als wenn von zwei Standpunkten aus das aus jener Er-
kenntniss sich ergebende Mass bestritten werde. Einmal wünscht
eine politische Partei die möglichste Ausdehnung des Gesetz-
gebungsgebiets, um dadurch den Umfang des Einflusses der
Ständeversammlung zu vergrössern; sodann wird dieser Wunsch
von Anderen deshalb gehegt, weil sie eine gerechte und gedeih-
liche Verwaltung sich nur unter der Voraussetzung denken kön-
nen, dass der Regierung kein Raum freien Entschliessens übrig
bleibe, sondern das ganze Staatsleben, selbst in seinen vorüber-
gehenden Erscheinungen, in die Form von Gesetzen gebracht sei.
Würde man diesem Gedanken unter dem Einflusse eines Princips
des Misstrauens rücksichtslos Raum geben, so würde er zuletzt
dazu führen, dass fast die gesammte Staatsthätigkeit in der Pro-
duction von Gesetzen und ihrer stetigen Umformung aufginge,
und dass die Staatsverwaltung sich nur noch als eine mechanische
Paragraphenanwendung darstellte; dann möchte aber die ge-
fürchtete Frische des persönlichen Handelns durch ein weit be-
denklicheres Automatenthum ersetzt sein.
1 keine „Rechte“ des Staats, sondern sind die Staatsgewalt selbst,
deren verschiedene Thätigkeitsformen nur in jenen Begriffen
systematisirt werden. Damit ergiebt sich von selbst die Ueber-
flüssigkeit, aber freilich auch die Unrichtigkeit der Attribute
„wesentlich“ und „unveräusserlich,“ und jeder classificirenden
Verbindung der Thätigkeitsformen der Staatsgewalt mit den Re-
galien, die weder etwas Gleichartiges noch etwas Gegensätzliches
sind, indem sie gegenüber jenen Begriffen ausser allem logischen
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