Gerber, Carl Friedrich von: Grundzüge eines Systems des deutschen Staatsrecht. Leipzig, 1865.§. 12. Gränzen der Staatsgewalt. gewährleisten. Zu den wohlerworbenen Rechten gehörtaber nicht die blosse Befugniss des freien Handelns in einem Gebiete, in welchem die bisherige Gesetzgebung keine Beschränkung auflegte, überhaupt nicht das Recht jedes Einzelnen, an den Vortheilen Theil zu nehmen, welche eine gesetzliche Anordnung gewährt, die nur als abstracte Norm wirken will; vielmehr sind darunter allein diejenigen Befugnisse zu verstehen, in denen eine im objectiven Rechte enthaltene Willensmöglichkeit durch irgend einen Vorgang, sei dieser ein Rechtsge- schäft, eine sonstige rechtsbegründende Thatsache oder ein Gesetz, als concret bestimmte Rechtszuständigkeit eines individuellen Subjects realisirt worden ist.2 Der Grundsatz der Achtung wohlerworbener Rechte 2 Die verhältnissmässig beste Untersuchung über diesen Ge-
genstand giebt Christiansen "über erworbene Rechte" 1856 (nur geht er in dem S. 64. gegebenen allgemeinen Gesichtspunkte für die Behandlung wohlerworbener Rechte zu weit). Häufige Irrthümer sind, dass nur ein s. g. Privatrechtstitel, also nicht auch Gesetz und Privilegium wohlerworbene Rechte begründen, oder dass aus Rechtssätzen, welche die Rechte eines ganzen Standes bestimmen, keine wohlerworbenen Rechte des Einzelnen hervor- gehen könnten. Oft betont die Gesetzgebung den Umstand, dass ein Recht aus der Hand des Staats oneros erworben sei, und sie hat von ihrem Standpunkte aus Recht, diesen Punkt für besonders bedeutsam zu halten. -- Auch die Frage über das Recht des Staats, einem Gesetze rückwirkende Kraft zu geben, kann in den Kreis dieser Betrachtung gezogen werden, doch nur insofern, als die Be- fugniss in Frage steht, einem Gesetze in rückwärts gehender Wir- kung mit vollem Bewusstsein Rechtsverhältnisse zu unterwerfen, welche ihm nach den allgemeinen Grundsätzen über das zeitliche Anwendungsgebiet der Gesetze nicht unterworfen sein würden. §. 12. Gränzen der Staatsgewalt. gewährleisten. Zu den wohlerworbenen Rechten gehörtaber nicht die blosse Befugniss des freien Handelns in einem Gebiete, in welchem die bisherige Gesetzgebung keine Beschränkung auflegte, überhaupt nicht das Recht jedes Einzelnen, an den Vortheilen Theil zu nehmen, welche eine gesetzliche Anordnung gewährt, die nur als abstracte Norm wirken will; vielmehr sind darunter allein diejenigen Befugnisse zu verstehen, in denen eine im objectiven Rechte enthaltene Willensmöglichkeit durch irgend einen Vorgang, sei dieser ein Rechtsge- schäft, eine sonstige rechtsbegründende Thatsache oder ein Gesetz, als concret bestimmte Rechtszuständigkeit eines individuellen Subjects realisirt worden ist.2 Der Grundsatz der Achtung wohlerworbener Rechte 2 Die verhältnissmässig beste Untersuchung über diesen Ge-
genstand giebt Christiansen „über erworbene Rechte“ 1856 (nur geht er in dem S. 64. gegebenen allgemeinen Gesichtspunkte für die Behandlung wohlerworbener Rechte zu weit). Häufige Irrthümer sind, dass nur ein s. g. Privatrechtstitel, also nicht auch Gesetz und Privilegium wohlerworbene Rechte begründen, oder dass aus Rechtssätzen, welche die Rechte eines ganzen Standes bestimmen, keine wohlerworbenen Rechte des Einzelnen hervor- gehen könnten. Oft betont die Gesetzgebung den Umstand, dass ein Recht aus der Hand des Staats oneros erworben sei, und sie hat von ihrem Standpunkte aus Recht, diesen Punkt für besonders bedeutsam zu halten. — Auch die Frage über das Recht des Staats, einem Gesetze rückwirkende Kraft zu geben, kann in den Kreis dieser Betrachtung gezogen werden, doch nur insofern, als die Be- fugniss in Frage steht, einem Gesetze in rückwärts gehender Wir- kung mit vollem Bewusstsein Rechtsverhältnisse zu unterwerfen, welche ihm nach den allgemeinen Grundsätzen über das zeitliche Anwendungsgebiet der Gesetze nicht unterworfen sein würden. <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <div n="3"> <div n="4"> <p><pb facs="#f0055" n="37"/><fw place="top" type="header">§. 12. Gränzen der Staatsgewalt.</fw><lb/> gewährleisten. Zu den wohlerworbenen Rechten gehört<lb/> aber nicht die blosse Befugniss des freien Handelns in<lb/> einem Gebiete, in welchem die bisherige Gesetzgebung<lb/> keine Beschränkung auflegte, überhaupt nicht das Recht<lb/> jedes Einzelnen, an den Vortheilen Theil zu nehmen,<lb/> welche eine gesetzliche Anordnung gewährt, die nur als<lb/> abstracte Norm wirken will; vielmehr sind darunter<lb/> allein diejenigen Befugnisse zu verstehen, in denen eine<lb/> im objectiven Rechte enthaltene Willensmöglichkeit<lb/> durch irgend einen Vorgang, sei dieser ein Rechtsge-<lb/> schäft, eine sonstige rechtsbegründende Thatsache oder<lb/> ein Gesetz, als concret bestimmte Rechtszuständigkeit<lb/> eines individuellen Subjects realisirt worden ist.<note place="foot" n="2">Die verhältnissmässig beste Untersuchung über diesen Ge-<lb/> genstand giebt <hi rendition="#g">Christiansen</hi> „über erworbene Rechte“ 1856<lb/> (nur geht er in dem S. 64. gegebenen allgemeinen Gesichtspunkte<lb/> für die Behandlung wohlerworbener Rechte zu weit). Häufige<lb/> Irrthümer sind, dass nur ein s. g. Privatrechtstitel, also nicht auch<lb/> Gesetz und Privilegium wohlerworbene Rechte begründen, oder<lb/> dass aus Rechtssätzen, welche die Rechte eines ganzen Standes<lb/> bestimmen, keine wohlerworbenen Rechte des Einzelnen hervor-<lb/> gehen könnten. Oft betont die Gesetzgebung den Umstand, dass<lb/> ein Recht aus der Hand des Staats <hi rendition="#g">oneros</hi> erworben sei, und sie<lb/> hat von ihrem Standpunkte aus Recht, diesen Punkt für besonders<lb/> bedeutsam zu halten. — Auch die Frage über das Recht des Staats,<lb/> einem Gesetze rückwirkende Kraft zu geben, kann in den Kreis<lb/> dieser Betrachtung gezogen werden, doch nur insofern, als die Be-<lb/> fugniss in Frage steht, einem Gesetze in rückwärts gehender Wir-<lb/> kung mit vollem Bewusstsein Rechtsverhältnisse zu unterwerfen,<lb/> welche ihm nach den allgemeinen Grundsätzen über das zeitliche<lb/> Anwendungsgebiet der Gesetze nicht unterworfen sein würden.</note></p><lb/> <p>Der Grundsatz der Achtung wohlerworbener Rechte<lb/> enthält zunächst eine unbedingte Schranke für die Staats-<lb/> gewalt in ihrer verwaltenden Thätigkeit; aber auch als<lb/></p> </div> </div> </div> </div> </body> </text> </TEI> [37/0055]
§. 12. Gränzen der Staatsgewalt.
gewährleisten. Zu den wohlerworbenen Rechten gehört
aber nicht die blosse Befugniss des freien Handelns in
einem Gebiete, in welchem die bisherige Gesetzgebung
keine Beschränkung auflegte, überhaupt nicht das Recht
jedes Einzelnen, an den Vortheilen Theil zu nehmen,
welche eine gesetzliche Anordnung gewährt, die nur als
abstracte Norm wirken will; vielmehr sind darunter
allein diejenigen Befugnisse zu verstehen, in denen eine
im objectiven Rechte enthaltene Willensmöglichkeit
durch irgend einen Vorgang, sei dieser ein Rechtsge-
schäft, eine sonstige rechtsbegründende Thatsache oder
ein Gesetz, als concret bestimmte Rechtszuständigkeit
eines individuellen Subjects realisirt worden ist. 2
Der Grundsatz der Achtung wohlerworbener Rechte
enthält zunächst eine unbedingte Schranke für die Staats-
gewalt in ihrer verwaltenden Thätigkeit; aber auch als
2 Die verhältnissmässig beste Untersuchung über diesen Ge-
genstand giebt Christiansen „über erworbene Rechte“ 1856
(nur geht er in dem S. 64. gegebenen allgemeinen Gesichtspunkte
für die Behandlung wohlerworbener Rechte zu weit). Häufige
Irrthümer sind, dass nur ein s. g. Privatrechtstitel, also nicht auch
Gesetz und Privilegium wohlerworbene Rechte begründen, oder
dass aus Rechtssätzen, welche die Rechte eines ganzen Standes
bestimmen, keine wohlerworbenen Rechte des Einzelnen hervor-
gehen könnten. Oft betont die Gesetzgebung den Umstand, dass
ein Recht aus der Hand des Staats oneros erworben sei, und sie
hat von ihrem Standpunkte aus Recht, diesen Punkt für besonders
bedeutsam zu halten. — Auch die Frage über das Recht des Staats,
einem Gesetze rückwirkende Kraft zu geben, kann in den Kreis
dieser Betrachtung gezogen werden, doch nur insofern, als die Be-
fugniss in Frage steht, einem Gesetze in rückwärts gehender Wir-
kung mit vollem Bewusstsein Rechtsverhältnisse zu unterwerfen,
welche ihm nach den allgemeinen Grundsätzen über das zeitliche
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