Gerland, Georg: Über das Aussterben der Naturvölker. Leipzig, 1868.ist schon in dem bisher Behandelten wenigstens andeutend ausgesprochen worden -- müssen wir noch besonders berücksichtigen. Zunächst die Bewaffnung. Die Feuerwaffen sich anzueignen ist weit schwieriger, als die Aneignung der römischen Taktik, da sie ausser der leiblichen Uebung noch die Ueberwindung der Scheu vor Donner und Blitz, durch welche gerade man die Weissen zuerst als Götter dokumentirt sah, verlangen; da ihre Wirkung weit übernatürlicher scheint, als die der römischen Waffen. -- Ferner die Sprache. Uns Europäern macht es sehr grosse Schwierigkeiten, die Sprache eines Naturvolkes mit ihren anderen Anschauungen geistig zu erfassen; und doch steigen wir herab, da jene Sprachen alle in der Entwicklung und Verbindung der Gedanken so wie in der Fülle der Anschauung weit weniger vorgeschritten sind, als die Sprachen des gebildeten Europas; und zugleich haben wir durch lange Jahrhunderte fortgesetzte Uebung und ausserdem durch eine Menge von Hülfsmitteln eine viel grössere Kraft, als jene Völker, die doch hinaufsteigen müssen, wenn sie eine europäische Sprache erlernen wollen. Schon beim blossen Sprechenlernen, das vom Begreifen und wirklichen Verstehen einer Sprache himmelweit verschieden ist, müssen sie ihren Geist mit einer ganzen Menge neuer Anschauungen und Begriffe erweitern, die ihnen früher aber auch ganz unbekannt waren -- und das meist vom Niveau einer Sprache aus, welche strenges, logisches Verknüpfen und Ausdenken der Begriffe wenig genug unterstützt. Nicht anders ist es mit der Religion. Der Abstand von manchen der Religionen dieser Völker vom Christenthum mag, wenn auch die meisten tiefer stehen, nicht grösser sein, als der des germanischen Heidenthums von letzterem war; aber das Christenthum, was den Germanen gepredigt wurde, war selbst ein ganz anderes, als was die Missionäre, wenigstens die protestantischen, heut zu Tage predigen. Dann freilich, wenn man die Berichte des sehr eifrig katholischen Michelis liest, so ist das, was die Propaganda z. B. in der Südsee gepredigt hat, an vielen Orten überhaupt nicht, viel Anderes gewesen, als was jene Völker schon wussten: die katholischen Missionäre haben getauft und das Heidenthum gelassen. Auf der andern Seite aber, wie so ganz unfassbar muss für die ganz sinnlichen Naturvölker eine so abstrakte Lehre sein, wie die evangelische, die noch dazu auf Begriffen und Anschauungen beruht, welche jene Völker gar nicht haben. Und indem man ihnen das Christenthum predigte, verlangte man, dass sie die Religion der Männer annehmen sollten, welche ihnen so alles Aergste zugefügt hatten, der Weissen! Ja hat man sie nicht auch gleich, damit ihnen nichts erspart bliebe, mit dogmatischen Streitigkeiten beglückt? In der ganzen Missionsgeschichte der neueren Zeit ist vielleicht kein so trauriges Ereigniss als das Auftreten der Propaganda in der Südsee, wo eben die pro- ist schon in dem bisher Behandelten wenigstens andeutend ausgesprochen worden — müssen wir noch besonders berücksichtigen. Zunächst die Bewaffnung. Die Feuerwaffen sich anzueignen ist weit schwieriger, als die Aneignung der römischen Taktik, da sie ausser der leiblichen Uebung noch die Ueberwindung der Scheu vor Donner und Blitz, durch welche gerade man die Weissen zuerst als Götter dokumentirt sah, verlangen; da ihre Wirkung weit übernatürlicher scheint, als die der römischen Waffen. — Ferner die Sprache. Uns Europäern macht es sehr grosse Schwierigkeiten, die Sprache eines Naturvolkes mit ihren anderen Anschauungen geistig zu erfassen; und doch steigen wir herab, da jene Sprachen alle in der Entwicklung und Verbindung der Gedanken so wie in der Fülle der Anschauung weit weniger vorgeschritten sind, als die Sprachen des gebildeten Europas; und zugleich haben wir durch lange Jahrhunderte fortgesetzte Uebung und ausserdem durch eine Menge von Hülfsmitteln eine viel grössere Kraft, als jene Völker, die doch hinaufsteigen müssen, wenn sie eine europäische Sprache erlernen wollen. Schon beim blossen Sprechenlernen, das vom Begreifen und wirklichen Verstehen einer Sprache himmelweit verschieden ist, müssen sie ihren Geist mit einer ganzen Menge neuer Anschauungen und Begriffe erweitern, die ihnen früher aber auch ganz unbekannt waren — und das meist vom Niveau einer Sprache aus, welche strenges, logisches Verknüpfen und Ausdenken der Begriffe wenig genug unterstützt. Nicht anders ist es mit der Religion. Der Abstand von manchen der Religionen dieser Völker vom Christenthum mag, wenn auch die meisten tiefer stehen, nicht grösser sein, als der des germanischen Heidenthums von letzterem war; aber das Christenthum, was den Germanen gepredigt wurde, war selbst ein ganz anderes, als was die Missionäre, wenigstens die protestantischen, heut zu Tage predigen. Dann freilich, wenn man die Berichte des sehr eifrig katholischen Michelis liest, so ist das, was die Propaganda z. B. in der Südsee gepredigt hat, an vielen Orten überhaupt nicht, viel Anderes gewesen, als was jene Völker schon wussten: die katholischen Missionäre haben getauft und das Heidenthum gelassen. Auf der andern Seite aber, wie so ganz unfassbar muss für die ganz sinnlichen Naturvölker eine so abstrakte Lehre sein, wie die evangelische, die noch dazu auf Begriffen und Anschauungen beruht, welche jene Völker gar nicht haben. Und indem man ihnen das Christenthum predigte, verlangte man, dass sie die Religion der Männer annehmen sollten, welche ihnen so alles Aergste zugefügt hatten, der Weissen! Ja hat man sie nicht auch gleich, damit ihnen nichts erspart bliebe, mit dogmatischen Streitigkeiten beglückt? In der ganzen Missionsgeschichte der neueren Zeit ist vielleicht kein so trauriges Ereigniss als das Auftreten der Propaganda in der Südsee, wo eben die pro- <TEI> <text> <body> <div n="1"> <p><pb facs="#f0108"/> ist schon in dem bisher Behandelten wenigstens andeutend ausgesprochen worden — müssen wir noch besonders berücksichtigen. Zunächst die Bewaffnung. Die Feuerwaffen sich anzueignen ist weit schwieriger, als die Aneignung der römischen Taktik, da sie ausser der leiblichen Uebung noch die Ueberwindung der Scheu vor Donner und Blitz, durch welche gerade man die Weissen zuerst als Götter dokumentirt sah, verlangen; da ihre Wirkung weit übernatürlicher scheint, als die der römischen Waffen. — Ferner die Sprache. Uns Europäern macht es sehr grosse Schwierigkeiten, die Sprache eines Naturvolkes mit ihren anderen Anschauungen geistig zu erfassen; und doch steigen wir herab, da jene Sprachen alle in der Entwicklung und Verbindung der Gedanken so wie in der Fülle der Anschauung weit weniger vorgeschritten sind, als die Sprachen des gebildeten Europas; und zugleich haben wir durch lange Jahrhunderte fortgesetzte Uebung und ausserdem durch eine Menge von Hülfsmitteln eine viel grössere Kraft, als jene Völker, die doch hinaufsteigen müssen, wenn sie eine europäische Sprache erlernen wollen. Schon beim blossen Sprechenlernen, das vom Begreifen und wirklichen Verstehen einer Sprache himmelweit verschieden ist, müssen sie ihren Geist mit einer ganzen Menge neuer Anschauungen und Begriffe erweitern, die ihnen früher aber auch ganz unbekannt waren — und das meist vom Niveau einer Sprache aus, welche strenges, logisches Verknüpfen und Ausdenken der Begriffe wenig genug unterstützt.</p> <p>Nicht anders ist es mit der Religion. Der Abstand von manchen der Religionen dieser Völker vom Christenthum mag, wenn auch die meisten tiefer stehen, nicht grösser sein, als der des germanischen Heidenthums von letzterem war; aber das Christenthum, was den Germanen gepredigt wurde, war selbst ein ganz anderes, als was die Missionäre, wenigstens die protestantischen, heut zu Tage predigen. Dann freilich, wenn man die Berichte des sehr eifrig katholischen Michelis liest, so ist das, was die Propaganda z. B. in der Südsee gepredigt hat, an vielen Orten überhaupt nicht, viel Anderes gewesen, als was jene Völker schon wussten: die katholischen Missionäre haben getauft und das Heidenthum gelassen. Auf der andern Seite aber, wie so ganz unfassbar muss für die ganz sinnlichen Naturvölker eine so abstrakte Lehre sein, wie die evangelische, die noch dazu auf Begriffen und Anschauungen beruht, welche jene Völker gar nicht haben. Und indem man ihnen das Christenthum predigte, verlangte man, dass sie die Religion der Männer annehmen sollten, welche ihnen so alles Aergste zugefügt hatten, der Weissen! Ja hat man sie nicht auch gleich, damit ihnen nichts erspart bliebe, mit dogmatischen Streitigkeiten beglückt? In der ganzen Missionsgeschichte der neueren Zeit ist vielleicht kein so trauriges Ereigniss als das Auftreten der Propaganda in der Südsee, wo eben die pro- </p> </div> </body> </text> </TEI> [0108]
ist schon in dem bisher Behandelten wenigstens andeutend ausgesprochen worden — müssen wir noch besonders berücksichtigen. Zunächst die Bewaffnung. Die Feuerwaffen sich anzueignen ist weit schwieriger, als die Aneignung der römischen Taktik, da sie ausser der leiblichen Uebung noch die Ueberwindung der Scheu vor Donner und Blitz, durch welche gerade man die Weissen zuerst als Götter dokumentirt sah, verlangen; da ihre Wirkung weit übernatürlicher scheint, als die der römischen Waffen. — Ferner die Sprache. Uns Europäern macht es sehr grosse Schwierigkeiten, die Sprache eines Naturvolkes mit ihren anderen Anschauungen geistig zu erfassen; und doch steigen wir herab, da jene Sprachen alle in der Entwicklung und Verbindung der Gedanken so wie in der Fülle der Anschauung weit weniger vorgeschritten sind, als die Sprachen des gebildeten Europas; und zugleich haben wir durch lange Jahrhunderte fortgesetzte Uebung und ausserdem durch eine Menge von Hülfsmitteln eine viel grössere Kraft, als jene Völker, die doch hinaufsteigen müssen, wenn sie eine europäische Sprache erlernen wollen. Schon beim blossen Sprechenlernen, das vom Begreifen und wirklichen Verstehen einer Sprache himmelweit verschieden ist, müssen sie ihren Geist mit einer ganzen Menge neuer Anschauungen und Begriffe erweitern, die ihnen früher aber auch ganz unbekannt waren — und das meist vom Niveau einer Sprache aus, welche strenges, logisches Verknüpfen und Ausdenken der Begriffe wenig genug unterstützt.
Nicht anders ist es mit der Religion. Der Abstand von manchen der Religionen dieser Völker vom Christenthum mag, wenn auch die meisten tiefer stehen, nicht grösser sein, als der des germanischen Heidenthums von letzterem war; aber das Christenthum, was den Germanen gepredigt wurde, war selbst ein ganz anderes, als was die Missionäre, wenigstens die protestantischen, heut zu Tage predigen. Dann freilich, wenn man die Berichte des sehr eifrig katholischen Michelis liest, so ist das, was die Propaganda z. B. in der Südsee gepredigt hat, an vielen Orten überhaupt nicht, viel Anderes gewesen, als was jene Völker schon wussten: die katholischen Missionäre haben getauft und das Heidenthum gelassen. Auf der andern Seite aber, wie so ganz unfassbar muss für die ganz sinnlichen Naturvölker eine so abstrakte Lehre sein, wie die evangelische, die noch dazu auf Begriffen und Anschauungen beruht, welche jene Völker gar nicht haben. Und indem man ihnen das Christenthum predigte, verlangte man, dass sie die Religion der Männer annehmen sollten, welche ihnen so alles Aergste zugefügt hatten, der Weissen! Ja hat man sie nicht auch gleich, damit ihnen nichts erspart bliebe, mit dogmatischen Streitigkeiten beglückt? In der ganzen Missionsgeschichte der neueren Zeit ist vielleicht kein so trauriges Ereigniss als das Auftreten der Propaganda in der Südsee, wo eben die pro-
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