Gerland, Georg: Über das Aussterben der Naturvölker. Leipzig, 1868.testantische Mission festen Fuss zu fassen und Früchte ihrer mühevollen Arbeit zu sehen begann. Das liess der katholischen Kirche nicht Ruhe: sie trat an einzelnen Stellen mit rohster Gewalt (die dann durch Lügen aller Art verdeckt wurde) der protestantischen Mission entgegen und brachte zu den eben bekehrten Heiden den Streit der kirchlichen Parteien. Lutteroth, den zu widerlegen Michelis sich vergebens bemüht, hat dies scharf und schlagend bewiesen. Auch Streitigkeiten, die in ihrem eigenen Schooss entstanden sind, brachte sie zu den Neubekehrten, wie Humboldt b, 5, 133 von Südamerika erzählt. Uebrigens ist auch die protestantische Kirche in der Schonung solcher Heiden, die von einer andern protestantischen Sekte bekehrt waren, durchaus nicht übermässig zart gewesen. An manchen Orten (Nordamerika, Afrika u s.w.) hat auch sie statt des Friedens des Christenthums den Streit der Sekten gebracht. Welchen Einfluss musste das auf die eben gewonnenen Naturvölker und deren Charakter machen! Dabei darf auch nicht vergessen werden, dass in den meisten Fällen sich der Mission die Europäer selbst auf das Heftigste entgegensetzten, da sie sich durch jene in ihrem oft sehr weltlichen oder besser gesagt gottlosen Treiben behindert sahen. So war es namentlich in Polynesien, fast auf jeder Insel (Meinicke, Lutteroth und fast in allen Quellen); so in Amerika schon im 16. Jahrhundert (Waitz 4, 188; 338); so auch in Afrika bei Hottentotten, Kaffern, Negern, überall. Man sieht, unsere Kultur verlangt von den Naturvölkern eine geistige Anstrengung von so enormer Grösse, dass sie mit einem Male und von einer Generation gar nicht überwunden werden kann. Während aber nun die Europäer immer frischen Zuzug neuer Schaaren haben, die sie in ihren Bestrebungen stärken, während auch bei den Germanen auf die Stelle einer unterlegenen Schaar eine andere trat, die das, was jene gewonnen hatten, übernehmend ausführte, was noch nicht geleistet war, so fehlt es bei der geringen Kopfzahl der Naturvölker an solcher kraftgebenden und aushelfenden Ersatzmannschaft, durch welche die Arbeit sich theilen, die Aneignung sich leichter und allgemeiner vollziehen könnte. Daher wird der lebenden Generation eine um so grössere und schwerere Aufgabe gestellt und es ist schon deshalb klar, dass eine Generation, ja dass zwei, drei Generationen ihr nicht genügen können. Die Grösse der Aufgabe, die enorme geistige Anstrengung selbst erschwert aber das gedeihliche Weiterleben der Generationen durch den geistigen Druck so sehr, dass wir auch hierauf mit allem Nachdruck hinweisen müssen. Und zweitens müssen wir auch wieder betonen, dass der Hang zur Melancholie durch solche Ueberanstrengung, wo in den meisten Fällen nur allzubald sich zeigt, dass ein auch nur einigermassen befriedigendes Ziel kaum zu erreichen ist, immer vergrössert wird, ja dass er geradezu Charakterzug der Völker wer- testantische Mission festen Fuss zu fassen und Früchte ihrer mühevollen Arbeit zu sehen begann. Das liess der katholischen Kirche nicht Ruhe: sie trat an einzelnen Stellen mit rohster Gewalt (die dann durch Lügen aller Art verdeckt wurde) der protestantischen Mission entgegen und brachte zu den eben bekehrten Heiden den Streit der kirchlichen Parteien. Lutteroth, den zu widerlegen Michelis sich vergebens bemüht, hat dies scharf und schlagend bewiesen. Auch Streitigkeiten, die in ihrem eigenen Schooss entstanden sind, brachte sie zu den Neubekehrten, wie Humboldt b, 5, 133 von Südamerika erzählt. Uebrigens ist auch die protestantische Kirche in der Schonung solcher Heiden, die von einer andern protestantischen Sekte bekehrt waren, durchaus nicht übermässig zart gewesen. An manchen Orten (Nordamerika, Afrika u s.w.) hat auch sie statt des Friedens des Christenthums den Streit der Sekten gebracht. Welchen Einfluss musste das auf die eben gewonnenen Naturvölker und deren Charakter machen! Dabei darf auch nicht vergessen werden, dass in den meisten Fällen sich der Mission die Europäer selbst auf das Heftigste entgegensetzten, da sie sich durch jene in ihrem oft sehr weltlichen oder besser gesagt gottlosen Treiben behindert sahen. So war es namentlich in Polynesien, fast auf jeder Insel (Meinicke, Lutteroth und fast in allen Quellen); so in Amerika schon im 16. Jahrhundert (Waitz 4, 188; 338); so auch in Afrika bei Hottentotten, Kaffern, Negern, überall. Man sieht, unsere Kultur verlangt von den Naturvölkern eine geistige Anstrengung von so enormer Grösse, dass sie mit einem Male und von einer Generation gar nicht überwunden werden kann. Während aber nun die Europäer immer frischen Zuzug neuer Schaaren haben, die sie in ihren Bestrebungen stärken, während auch bei den Germanen auf die Stelle einer unterlegenen Schaar eine andere trat, die das, was jene gewonnen hatten, übernehmend ausführte, was noch nicht geleistet war, so fehlt es bei der geringen Kopfzahl der Naturvölker an solcher kraftgebenden und aushelfenden Ersatzmannschaft, durch welche die Arbeit sich theilen, die Aneignung sich leichter und allgemeiner vollziehen könnte. Daher wird der lebenden Generation eine um so grössere und schwerere Aufgabe gestellt und es ist schon deshalb klar, dass eine Generation, ja dass zwei, drei Generationen ihr nicht genügen können. Die Grösse der Aufgabe, die enorme geistige Anstrengung selbst erschwert aber das gedeihliche Weiterleben der Generationen durch den geistigen Druck so sehr, dass wir auch hierauf mit allem Nachdruck hinweisen müssen. Und zweitens müssen wir auch wieder betonen, dass der Hang zur Melancholie durch solche Ueberanstrengung, wo in den meisten Fällen nur allzubald sich zeigt, dass ein auch nur einigermassen befriedigendes Ziel kaum zu erreichen ist, immer vergrössert wird, ja dass er geradezu Charakterzug der Völker wer- <TEI> <text> <body> <div n="1"> <p><pb facs="#f0109"/> testantische Mission festen Fuss zu fassen und Früchte ihrer mühevollen Arbeit zu sehen begann. Das liess der katholischen Kirche nicht Ruhe: sie trat an einzelnen Stellen mit rohster Gewalt (die dann durch Lügen aller Art verdeckt wurde) der protestantischen Mission entgegen und brachte zu den eben bekehrten Heiden den Streit der kirchlichen Parteien. Lutteroth, den zu widerlegen Michelis sich vergebens bemüht, hat dies scharf und schlagend bewiesen. Auch Streitigkeiten, die in ihrem eigenen Schooss entstanden sind, brachte sie zu den Neubekehrten, wie Humboldt b, 5, 133 von Südamerika erzählt. Uebrigens ist auch die protestantische Kirche in der Schonung solcher Heiden, die von einer andern protestantischen Sekte bekehrt waren, durchaus nicht übermässig zart gewesen. An manchen Orten (Nordamerika, Afrika u s.w.) hat auch sie statt des Friedens des Christenthums den Streit der Sekten gebracht. Welchen Einfluss musste das auf die eben gewonnenen Naturvölker und deren Charakter machen! Dabei darf auch nicht vergessen werden, dass in den meisten Fällen sich der Mission die Europäer selbst auf das Heftigste entgegensetzten, da sie sich durch jene in ihrem oft sehr weltlichen oder besser gesagt gottlosen Treiben behindert sahen. So war es namentlich in Polynesien, fast auf jeder Insel (Meinicke, Lutteroth und fast in allen Quellen); so in Amerika schon im 16. Jahrhundert (Waitz 4, 188; 338); so auch in Afrika bei Hottentotten, Kaffern, Negern, überall. Man sieht, unsere Kultur verlangt von den Naturvölkern eine geistige Anstrengung von so enormer Grösse, dass sie mit einem Male und von einer Generation gar nicht überwunden werden kann. Während aber nun die Europäer immer frischen Zuzug neuer Schaaren haben, die sie in ihren Bestrebungen stärken, während auch bei den Germanen auf die Stelle einer unterlegenen Schaar eine andere trat, die das, was jene gewonnen hatten, übernehmend ausführte, was noch nicht geleistet war, so fehlt es bei der geringen Kopfzahl der Naturvölker an solcher kraftgebenden und aushelfenden Ersatzmannschaft, durch welche die Arbeit sich theilen, die Aneignung sich leichter und allgemeiner vollziehen könnte. Daher wird der lebenden Generation eine um so grössere und schwerere Aufgabe gestellt und es ist schon deshalb klar, dass eine Generation, ja dass zwei, drei Generationen ihr nicht genügen können. Die Grösse der Aufgabe, die enorme geistige Anstrengung selbst erschwert aber das gedeihliche Weiterleben der Generationen durch den geistigen Druck so sehr, dass wir auch hierauf mit allem Nachdruck hinweisen müssen. Und zweitens müssen wir auch wieder betonen, dass der Hang zur Melancholie durch solche Ueberanstrengung, wo in den meisten Fällen nur allzubald sich zeigt, dass ein auch nur einigermassen befriedigendes Ziel kaum zu erreichen ist, immer vergrössert wird, ja dass er geradezu Charakterzug der Völker wer- </p> </div> </body> </text> </TEI> [0109]
testantische Mission festen Fuss zu fassen und Früchte ihrer mühevollen Arbeit zu sehen begann. Das liess der katholischen Kirche nicht Ruhe: sie trat an einzelnen Stellen mit rohster Gewalt (die dann durch Lügen aller Art verdeckt wurde) der protestantischen Mission entgegen und brachte zu den eben bekehrten Heiden den Streit der kirchlichen Parteien. Lutteroth, den zu widerlegen Michelis sich vergebens bemüht, hat dies scharf und schlagend bewiesen. Auch Streitigkeiten, die in ihrem eigenen Schooss entstanden sind, brachte sie zu den Neubekehrten, wie Humboldt b, 5, 133 von Südamerika erzählt. Uebrigens ist auch die protestantische Kirche in der Schonung solcher Heiden, die von einer andern protestantischen Sekte bekehrt waren, durchaus nicht übermässig zart gewesen. An manchen Orten (Nordamerika, Afrika u s.w.) hat auch sie statt des Friedens des Christenthums den Streit der Sekten gebracht. Welchen Einfluss musste das auf die eben gewonnenen Naturvölker und deren Charakter machen! Dabei darf auch nicht vergessen werden, dass in den meisten Fällen sich der Mission die Europäer selbst auf das Heftigste entgegensetzten, da sie sich durch jene in ihrem oft sehr weltlichen oder besser gesagt gottlosen Treiben behindert sahen. So war es namentlich in Polynesien, fast auf jeder Insel (Meinicke, Lutteroth und fast in allen Quellen); so in Amerika schon im 16. Jahrhundert (Waitz 4, 188; 338); so auch in Afrika bei Hottentotten, Kaffern, Negern, überall. Man sieht, unsere Kultur verlangt von den Naturvölkern eine geistige Anstrengung von so enormer Grösse, dass sie mit einem Male und von einer Generation gar nicht überwunden werden kann. Während aber nun die Europäer immer frischen Zuzug neuer Schaaren haben, die sie in ihren Bestrebungen stärken, während auch bei den Germanen auf die Stelle einer unterlegenen Schaar eine andere trat, die das, was jene gewonnen hatten, übernehmend ausführte, was noch nicht geleistet war, so fehlt es bei der geringen Kopfzahl der Naturvölker an solcher kraftgebenden und aushelfenden Ersatzmannschaft, durch welche die Arbeit sich theilen, die Aneignung sich leichter und allgemeiner vollziehen könnte. Daher wird der lebenden Generation eine um so grössere und schwerere Aufgabe gestellt und es ist schon deshalb klar, dass eine Generation, ja dass zwei, drei Generationen ihr nicht genügen können. Die Grösse der Aufgabe, die enorme geistige Anstrengung selbst erschwert aber das gedeihliche Weiterleben der Generationen durch den geistigen Druck so sehr, dass wir auch hierauf mit allem Nachdruck hinweisen müssen. Und zweitens müssen wir auch wieder betonen, dass der Hang zur Melancholie durch solche Ueberanstrengung, wo in den meisten Fällen nur allzubald sich zeigt, dass ein auch nur einigermassen befriedigendes Ziel kaum zu erreichen ist, immer vergrössert wird, ja dass er geradezu Charakterzug der Völker wer-
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