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Gerland, Georg: Über das Aussterben der Naturvölker. Leipzig, 1868.

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ans Meeresufer und essen, was sie können, da nicht mehr essende Kranke sofort getödtet werden. Kranke Glieder schnüren sie ein, um den Dämon, der die Krankheit verursacht, zu fangen (Reina in Zeitschr. 4, 360). Denn auch hier gilt alle Krankheit für Behexung (Turner 18-19), obwohl auch die Melanesier Aderlass und derartige Mittel kennen (eb. 92). Auch in Mikronesien tödtete man entweder die Kranken (indem man sie in einem lecken Schiff ins Meer stiess, Hale 80) oder man wandte, um sie zu curiren, Zauberei an, so auch auf den Marianen (le Gobien 47).

Und nicht anders in Polynesien. Auch hier wurden sie oft ermordet, oder doch ganz gleichgültig behandelt, wo denn jeder Kranke für sich sorgte, so gut es ging, d.h. in den Wald oder die Einsamkeit ging und entweder gesund oder gar nicht wieder zurückkehrte. In Nukuhiva hielt man Schwerkranken Mund und Nase zu, um den Geist festzuhalten (Mathias G***, 115); ebenso in Südamerika bei den Moxos (Waitz 3, 538; b 151). In Tonga bestand die Behandlung der Kranken fast nur darin, dass man sie von einem Tempel zum andern schleppte, um die Priester und Götter für sie anzuflehen; je kränker Jemand ist, je weiter schleppt man ihn -- und führt seinen Tod natürlicherweise gerade dadurch herbei (Mariner 1, 110; 362 ff. u. sonst). Oder man opferte wie in Tahiti und sonst in Polynesien, Kinder oder Sklaven, um das Leben eines Vornehmeren zu erhalten. Doch waren die Tonganer als Chirurgen nicht ungeschickt und sie wagten sich an gefährliche Operationen. Auch war Skarifikation und der Gebrauch gewisser Pflanzensäfte in Anwendung (Mariner 2, 267-270). So wie bei ihnen, so gilt auch sonst in Polynesien Krankheit als Bezauberung, oder als Rache und Strafe der Götter: in Neu-Seeland (Dieffenb. 2, 59 ff.); in Tahiti (Bratring 181-82, Mörenh. 1, 543); in Nukuhiva (Math. G. 228); und in Hawaii (Tyermann u. Bennet 1, 129). Daher waren auch hier die häufigsten Mittel Opfer und Gebete. Nur auf Neu-Seeland scheint man etwas zweckmässiger verfahren zu haben. Wenigstens kannten die Eingeborenen die Heilkraft ihrer heissen Quellen und wendeten sie für kranke Kinder an (Dieffenb. 1, 246), man gab den Kranken leichtere Kost, gebrauchte Dämpfe von Pflanzenaufgüssen (Pflanzenaufgüsse kannten auch die Marianer nach le Gobien), Einreibungen mit warmen Pflanzensäften u. dergl. (Dieffenb. 2, 41). Dampfbäder und darauf unmittelbar folgende kalte Abwaschungen waren gleichfalls gebräuchlich (Mörenhout 2, 164) und Kneten der Glieder überall verbreitet: in Nukuhiva, in Tahiti, Hawaii u. s. w. In Tahiti hielt man jede Krankheit für Wirkung göttlichen Zornes und es galt daher für sündlich, Arzeneien zu nehmen (Turnbull 260), gegen die sie auch einen unüberwindlichen Abscheu haben (292). Wird ein Eingeborener dieser Insel krank, so wird er sofort von allen Angehörigen und Landsleuten gemieden: er ist ganz hilflos und auf sich allein

ans Meeresufer und essen, was sie können, da nicht mehr essende Kranke sofort getödtet werden. Kranke Glieder schnüren sie ein, um den Dämon, der die Krankheit verursacht, zu fangen (Reina in Zeitschr. 4, 360). Denn auch hier gilt alle Krankheit für Behexung (Turner 18-19), obwohl auch die Melanesier Aderlass und derartige Mittel kennen (eb. 92). Auch in Mikronesien tödtete man entweder die Kranken (indem man sie in einem lecken Schiff ins Meer stiess, Hale 80) oder man wandte, um sie zu curiren, Zauberei an, so auch auf den Marianen (le Gobien 47).

Und nicht anders in Polynesien. Auch hier wurden sie oft ermordet, oder doch ganz gleichgültig behandelt, wo denn jeder Kranke für sich sorgte, so gut es ging, d.h. in den Wald oder die Einsamkeit ging und entweder gesund oder gar nicht wieder zurückkehrte. In Nukuhiva hielt man Schwerkranken Mund und Nase zu, um den Geist festzuhalten (Mathias G***, 115); ebenso in Südamerika bei den Moxos (Waitz 3, 538; b 151). In Tonga bestand die Behandlung der Kranken fast nur darin, dass man sie von einem Tempel zum andern schleppte, um die Priester und Götter für sie anzuflehen; je kränker Jemand ist, je weiter schleppt man ihn — und führt seinen Tod natürlicherweise gerade dadurch herbei (Mariner 1, 110; 362 ff. u. sonst). Oder man opferte wie in Tahiti und sonst in Polynesien, Kinder oder Sklaven, um das Leben eines Vornehmeren zu erhalten. Doch waren die Tonganer als Chirurgen nicht ungeschickt und sie wagten sich an gefährliche Operationen. Auch war Skarifikation und der Gebrauch gewisser Pflanzensäfte in Anwendung (Mariner 2, 267-270). So wie bei ihnen, so gilt auch sonst in Polynesien Krankheit als Bezauberung, oder als Rache und Strafe der Götter: in Neu-Seeland (Dieffenb. 2, 59 ff.); in Tahiti (Bratring 181-82, Mörenh. 1, 543); in Nukuhiva (Math. G. 228); und in Hawaii (Tyermann u. Bennet 1, 129). Daher waren auch hier die häufigsten Mittel Opfer und Gebete. Nur auf Neu-Seeland scheint man etwas zweckmässiger verfahren zu haben. Wenigstens kannten die Eingeborenen die Heilkraft ihrer heissen Quellen und wendeten sie für kranke Kinder an (Dieffenb. 1, 246), man gab den Kranken leichtere Kost, gebrauchte Dämpfe von Pflanzenaufgüssen (Pflanzenaufgüsse kannten auch die Marianer nach le Gobien), Einreibungen mit warmen Pflanzensäften u. dergl. (Dieffenb. 2, 41). Dampfbäder und darauf unmittelbar folgende kalte Abwaschungen waren gleichfalls gebräuchlich (Mörenhout 2, 164) und Kneten der Glieder überall verbreitet: in Nukuhiva, in Tahiti, Hawaii u. s. w. In Tahiti hielt man jede Krankheit für Wirkung göttlichen Zornes und es galt daher für sündlich, Arzeneien zu nehmen (Turnbull 260), gegen die sie auch einen unüberwindlichen Abscheu haben (292). Wird ein Eingeborener dieser Insel krank, so wird er sofort von allen Angehörigen und Landsleuten gemieden: er ist ganz hilflos und auf sich allein

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 Dämon, der die Krankheit verursacht, zu fangen (Reina in
 Zeitschr. 4, 360). Denn auch hier gilt alle Krankheit für
 Behexung (Turner 18-19), obwohl auch die Melanesier Aderlass und
 derartige Mittel kennen (eb. 92). Auch in Mikronesien tödtete
 man entweder die Kranken (indem man sie in einem lecken Schiff ins
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 ermordet, oder doch ganz gleichgültig behandelt, wo denn jeder
 Kranke für sich sorgte, so gut es ging, d.h. in den Wald oder
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 zurückkehrte. In Nukuhiva hielt man Schwerkranken Mund und
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 Tonga bestand die Behandlung der Kranken fast nur darin, dass man
 sie von einem Tempel zum andern schleppte, um die Priester und
 Götter für sie anzuflehen; je kränker Jemand ist, je
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 ff. u. sonst). Oder man opferte wie in Tahiti und sonst in
 Polynesien, Kinder oder Sklaven, um das Leben eines Vornehmeren zu
 erhalten. Doch waren die Tonganer als Chirurgen nicht ungeschickt
 und sie wagten sich an gefährliche Operationen. Auch war
 Skarifikation und der Gebrauch gewisser Pflanzensäfte in
 Anwendung (Mariner 2, 267-270). So wie bei ihnen, so gilt auch
 sonst in Polynesien Krankheit als Bezauberung, oder als Rache und
 Strafe der Götter: in Neu-Seeland (Dieffenb. 2, 59 ff.); in
 Tahiti (Bratring 181-82, Mörenh. 1, 543); in Nukuhiva (Math.
 G. 228); und in Hawaii (Tyermann u. Bennet 1, 129). Daher waren
 auch hier die häufigsten Mittel Opfer und Gebete. Nur auf
 Neu-Seeland scheint man etwas zweckmässiger verfahren zu
 haben. Wenigstens kannten die Eingeborenen die Heilkraft ihrer
 heissen Quellen und wendeten sie für kranke Kinder an
 (Dieffenb. 1, 246), man gab den Kranken leichtere Kost, gebrauchte
 Dämpfe von Pflanzenaufgüssen (Pflanzenaufgüsse
 kannten auch die Marianer nach le Gobien), Einreibungen mit warmen
 Pflanzensäften u. dergl. (Dieffenb. 2, 41). Dampfbäder
 und darauf unmittelbar folgende kalte Abwaschungen waren
 gleichfalls gebräuchlich (Mörenhout 2, 164) und Kneten
 der Glieder überall verbreitet: in Nukuhiva, in Tahiti, Hawaii
 u. s. w. In Tahiti hielt man jede Krankheit für Wirkung
 göttlichen Zornes und es galt daher für sündlich,
 Arzeneien zu nehmen (Turnbull 260), gegen die sie auch einen
 unüberwindlichen Abscheu haben (292). Wird ein Eingeborener
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[0034] ans Meeresufer und essen, was sie können, da nicht mehr essende Kranke sofort getödtet werden. Kranke Glieder schnüren sie ein, um den Dämon, der die Krankheit verursacht, zu fangen (Reina in Zeitschr. 4, 360). Denn auch hier gilt alle Krankheit für Behexung (Turner 18-19), obwohl auch die Melanesier Aderlass und derartige Mittel kennen (eb. 92). Auch in Mikronesien tödtete man entweder die Kranken (indem man sie in einem lecken Schiff ins Meer stiess, Hale 80) oder man wandte, um sie zu curiren, Zauberei an, so auch auf den Marianen (le Gobien 47). Und nicht anders in Polynesien. Auch hier wurden sie oft ermordet, oder doch ganz gleichgültig behandelt, wo denn jeder Kranke für sich sorgte, so gut es ging, d.h. in den Wald oder die Einsamkeit ging und entweder gesund oder gar nicht wieder zurückkehrte. In Nukuhiva hielt man Schwerkranken Mund und Nase zu, um den Geist festzuhalten (Mathias G***, 115); ebenso in Südamerika bei den Moxos (Waitz 3, 538; b 151). In Tonga bestand die Behandlung der Kranken fast nur darin, dass man sie von einem Tempel zum andern schleppte, um die Priester und Götter für sie anzuflehen; je kränker Jemand ist, je weiter schleppt man ihn — und führt seinen Tod natürlicherweise gerade dadurch herbei (Mariner 1, 110; 362 ff. u. sonst). Oder man opferte wie in Tahiti und sonst in Polynesien, Kinder oder Sklaven, um das Leben eines Vornehmeren zu erhalten. Doch waren die Tonganer als Chirurgen nicht ungeschickt und sie wagten sich an gefährliche Operationen. Auch war Skarifikation und der Gebrauch gewisser Pflanzensäfte in Anwendung (Mariner 2, 267-270). So wie bei ihnen, so gilt auch sonst in Polynesien Krankheit als Bezauberung, oder als Rache und Strafe der Götter: in Neu-Seeland (Dieffenb. 2, 59 ff.); in Tahiti (Bratring 181-82, Mörenh. 1, 543); in Nukuhiva (Math. G. 228); und in Hawaii (Tyermann u. Bennet 1, 129). Daher waren auch hier die häufigsten Mittel Opfer und Gebete. Nur auf Neu-Seeland scheint man etwas zweckmässiger verfahren zu haben. Wenigstens kannten die Eingeborenen die Heilkraft ihrer heissen Quellen und wendeten sie für kranke Kinder an (Dieffenb. 1, 246), man gab den Kranken leichtere Kost, gebrauchte Dämpfe von Pflanzenaufgüssen (Pflanzenaufgüsse kannten auch die Marianer nach le Gobien), Einreibungen mit warmen Pflanzensäften u. dergl. (Dieffenb. 2, 41). Dampfbäder und darauf unmittelbar folgende kalte Abwaschungen waren gleichfalls gebräuchlich (Mörenhout 2, 164) und Kneten der Glieder überall verbreitet: in Nukuhiva, in Tahiti, Hawaii u. s. w. In Tahiti hielt man jede Krankheit für Wirkung göttlichen Zornes und es galt daher für sündlich, Arzeneien zu nehmen (Turnbull 260), gegen die sie auch einen unüberwindlichen Abscheu haben (292). Wird ein Eingeborener dieser Insel krank, so wird er sofort von allen Angehörigen und Landsleuten gemieden: er ist ganz hilflos und auf sich allein

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Zitationshilfe: Gerland, Georg: Über das Aussterben der Naturvölker. Leipzig, 1868, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/gerland_naturvoelker_1868/34>, abgerufen am 24.11.2024.