Gerland, Georg: Über das Aussterben der Naturvölker. Leipzig, 1868.im Ueberfluss nicht gebrauchen können, soll wenigstens keinem anderen zu Gute kommen", sagt Lichtenstein 2, 565 von ihnen. Aehnlich berichtet Hearne 120 von den nördlichsten Stämmen Nordamerikas, die das Wild schliesslich der Zungen, des Markes, des Fettes wegen, aller Gegenvorstellungen zum Trotz, erlegten, die an keinem Nest mit Jungen oder Eiern vorübergehen konnten, ohne es zu zerstören. Waitz 3, 81 sieht darin nur die Sitte eines gänzlich rohen Stammes und sagt, dass, wo diese und ähnliche Sitten jetzt eingerissen seien, es in Folge moralischer Gesunkenheit geschehen sei, da sonst Sparsamkeit der Charakter der meisten Indianer gewesen sei. Mag letzterer Zug ganz richtig sein: die Leidenschaft der Jagd aber, welche kein Thier schont, findet sich in Amerika nicht nur bei verkommenen Völkern. Sie herrscht in Canada (Waitz 3, 85) und gewiss sonst noch aus der abergläubischen Ansicht, dass die fliehenden Thiere die anderen warnen und verscheuchen würden. Von Südamerika berichtet Azara 193 Gleiches. Dasselbe gilt von den Neuholländern. Und nicht genug, dass sie sich auf diese Weise die Nahrung selbst zerstören: sie verbieten sich auch eine Menge Speisen, oft gerade die besten, durch religiösen Glauben. Zunächst sind die Frauen fast überall in Amerika, Polynesien und Australien, in Neuholland auch die Jünglinge und Knaben (Grey 2, 248), von den besten Nahrungsmitteln, die nur den erwachsenen, oft nur den greisen Männern erlaubt sind, ausgeschlossen. Dann aber gehört das Totem der Indianer hierher, von dem Waitz 3, 119 sagt: "Der politische Verband des Volkes beruhte in alter Zeit sehr allgemein auf einer Eintheilung in Banden oder Geschlechter, deren jedes durch ein Thier oder einen Körpertheil, eines Thieres als Marke bezeichnet war, z. B. Bär, Büffel, Fischotter, Falke und dergl. Nur ein Fisch oder ein Theil eines Fisches konnte diese Marke nicht sein." Der Name dieser Marke, Totem, kommt von den Algonkin. Wahrscheinlich (ebend.) hatte das Totem ursprünglich eine religiöse Bedeutung: das Thier des Totem war der Schutzgeist der nach ihm benannten Familie, wurde von dieser heilig gehalten und durfte von ihr nicht gejagt werden. Und ebenso verhielt es sich gewiss mit "der Medicin", die jeder Amerikaner hatte, d.h. dem Totem des Einzelnen. Denn zur Zeit der beginnenden Mannbarkeit erscheint jedem einzelnen sein Schutzgeist in Gestalt eines Thieres, das dann gejagt und dessen Balg stets von dem Betreffenden getragen werden muss. Der Verlust der Medicin würde ihm tiefste Verachtung und beständiges Unglück zuziehen (Waitz 3, 118-119). Ursprünglich durfte gewiss kein Indianer das Thier, das ihm "Medicin" Schutzgeist war, verzehren. Die meisten Völker (auch die Aleuten) stammten von solchen Thieren ab (Waitz 3, 119. 191) und auch diese waren ihnen gewiss ursprünglich heilig, wenn sich auch später diese Verehrung in etwas ab- im Ueberfluss nicht gebrauchen können, soll wenigstens keinem anderen zu Gute kommen«, sagt Lichtenstein 2, 565 von ihnen. Aehnlich berichtet Hearne 120 von den nördlichsten Stämmen Nordamerikas, die das Wild schliesslich der Zungen, des Markes, des Fettes wegen, aller Gegenvorstellungen zum Trotz, erlegten, die an keinem Nest mit Jungen oder Eiern vorübergehen konnten, ohne es zu zerstören. Waitz 3, 81 sieht darin nur die Sitte eines gänzlich rohen Stammes und sagt, dass, wo diese und ähnliche Sitten jetzt eingerissen seien, es in Folge moralischer Gesunkenheit geschehen sei, da sonst Sparsamkeit der Charakter der meisten Indianer gewesen sei. Mag letzterer Zug ganz richtig sein: die Leidenschaft der Jagd aber, welche kein Thier schont, findet sich in Amerika nicht nur bei verkommenen Völkern. Sie herrscht in Canada (Waitz 3, 85) und gewiss sonst noch aus der abergläubischen Ansicht, dass die fliehenden Thiere die anderen warnen und verscheuchen würden. Von Südamerika berichtet Azara 193 Gleiches. Dasselbe gilt von den Neuholländern. Und nicht genug, dass sie sich auf diese Weise die Nahrung selbst zerstören: sie verbieten sich auch eine Menge Speisen, oft gerade die besten, durch religiösen Glauben. Zunächst sind die Frauen fast überall in Amerika, Polynesien und Australien, in Neuholland auch die Jünglinge und Knaben (Grey 2, 248), von den besten Nahrungsmitteln, die nur den erwachsenen, oft nur den greisen Männern erlaubt sind, ausgeschlossen. Dann aber gehört das Totem der Indianer hierher, von dem Waitz 3, 119 sagt: »Der politische Verband des Volkes beruhte in alter Zeit sehr allgemein auf einer Eintheilung in Banden oder Geschlechter, deren jedes durch ein Thier oder einen Körpertheil, eines Thieres als Marke bezeichnet war, z. B. Bär, Büffel, Fischotter, Falke und dergl. Nur ein Fisch oder ein Theil eines Fisches konnte diese Marke nicht sein.« Der Name dieser Marke, Totem, kommt von den Algonkin. Wahrscheinlich (ebend.) hatte das Totem ursprünglich eine religiöse Bedeutung: das Thier des Totem war der Schutzgeist der nach ihm benannten Familie, wurde von dieser heilig gehalten und durfte von ihr nicht gejagt werden. Und ebenso verhielt es sich gewiss mit »der Medicin«, die jeder Amerikaner hatte, d.h. dem Totem des Einzelnen. Denn zur Zeit der beginnenden Mannbarkeit erscheint jedem einzelnen sein Schutzgeist in Gestalt eines Thieres, das dann gejagt und dessen Balg stets von dem Betreffenden getragen werden muss. Der Verlust der Medicin würde ihm tiefste Verachtung und beständiges Unglück zuziehen (Waitz 3, 118-119). Ursprünglich durfte gewiss kein Indianer das Thier, das ihm »Medicin« Schutzgeist war, verzehren. Die meisten Völker (auch die Aleuten) stammten von solchen Thieren ab (Waitz 3, 119. 191) und auch diese waren ihnen gewiss ursprünglich heilig, wenn sich auch später diese Verehrung in etwas ab- <TEI> <text> <body> <div n="1"> <p><pb facs="#f0046"/> im Ueberfluss nicht gebrauchen können, soll wenigstens keinem anderen zu Gute kommen«, sagt Lichtenstein 2, 565 von ihnen. Aehnlich berichtet Hearne 120 von den nördlichsten Stämmen Nordamerikas, die das Wild schliesslich der Zungen, des Markes, des Fettes wegen, aller Gegenvorstellungen zum Trotz, erlegten, die an keinem Nest mit Jungen oder Eiern vorübergehen konnten, ohne es zu zerstören. Waitz 3, 81 sieht darin nur die Sitte eines gänzlich rohen Stammes und sagt, dass, wo diese und ähnliche Sitten jetzt eingerissen seien, es in Folge moralischer Gesunkenheit geschehen sei, da sonst Sparsamkeit der Charakter der meisten Indianer gewesen sei. Mag letzterer Zug ganz richtig sein: die Leidenschaft der Jagd aber, welche kein Thier schont, findet sich in Amerika nicht nur bei verkommenen Völkern. Sie herrscht in Canada (Waitz 3, 85) und gewiss sonst noch aus der abergläubischen Ansicht, dass die fliehenden Thiere die anderen warnen und verscheuchen würden. Von Südamerika berichtet Azara 193 Gleiches. Dasselbe gilt von den Neuholländern.</p> <p>Und nicht genug, dass sie sich auf diese Weise die Nahrung selbst zerstören: sie verbieten sich auch eine Menge Speisen, oft gerade die besten, durch religiösen Glauben. Zunächst sind die Frauen fast überall in Amerika, Polynesien und Australien, in Neuholland auch die Jünglinge und Knaben (Grey 2, 248), von den besten Nahrungsmitteln, die nur den erwachsenen, oft nur den greisen Männern erlaubt sind, ausgeschlossen. Dann aber gehört das Totem der Indianer hierher, von dem Waitz 3, 119 sagt: »Der politische Verband des Volkes beruhte in alter Zeit sehr allgemein auf einer Eintheilung in Banden oder Geschlechter, deren jedes durch ein Thier oder einen Körpertheil, eines Thieres als Marke bezeichnet war, z. B. Bär, Büffel, Fischotter, Falke und dergl. Nur ein Fisch oder ein Theil eines Fisches konnte diese Marke nicht sein.« Der Name dieser Marke, Totem, kommt von den Algonkin. Wahrscheinlich (ebend.) hatte das Totem ursprünglich eine religiöse Bedeutung: das Thier des Totem war der Schutzgeist der nach ihm benannten Familie, wurde von dieser heilig gehalten und <hi rendition="#g">durfte von ihr nicht gejagt</hi> werden. Und ebenso verhielt es sich gewiss mit »der Medicin«, die jeder Amerikaner hatte, d.h. dem Totem des Einzelnen. Denn zur Zeit der beginnenden Mannbarkeit erscheint jedem einzelnen sein Schutzgeist in Gestalt eines Thieres, das dann gejagt und dessen Balg stets von dem Betreffenden getragen werden muss. Der Verlust der Medicin würde ihm tiefste Verachtung und beständiges Unglück zuziehen (Waitz 3, 118-119). Ursprünglich durfte gewiss kein Indianer das Thier, das ihm »Medicin« Schutzgeist war, verzehren. Die meisten Völker (auch die Aleuten) stammten von solchen Thieren ab (Waitz 3, 119. 191) und auch diese waren ihnen gewiss ursprünglich heilig, wenn sich auch später diese Verehrung in etwas ab- </p> </div> </body> </text> </TEI> [0046]
im Ueberfluss nicht gebrauchen können, soll wenigstens keinem anderen zu Gute kommen«, sagt Lichtenstein 2, 565 von ihnen. Aehnlich berichtet Hearne 120 von den nördlichsten Stämmen Nordamerikas, die das Wild schliesslich der Zungen, des Markes, des Fettes wegen, aller Gegenvorstellungen zum Trotz, erlegten, die an keinem Nest mit Jungen oder Eiern vorübergehen konnten, ohne es zu zerstören. Waitz 3, 81 sieht darin nur die Sitte eines gänzlich rohen Stammes und sagt, dass, wo diese und ähnliche Sitten jetzt eingerissen seien, es in Folge moralischer Gesunkenheit geschehen sei, da sonst Sparsamkeit der Charakter der meisten Indianer gewesen sei. Mag letzterer Zug ganz richtig sein: die Leidenschaft der Jagd aber, welche kein Thier schont, findet sich in Amerika nicht nur bei verkommenen Völkern. Sie herrscht in Canada (Waitz 3, 85) und gewiss sonst noch aus der abergläubischen Ansicht, dass die fliehenden Thiere die anderen warnen und verscheuchen würden. Von Südamerika berichtet Azara 193 Gleiches. Dasselbe gilt von den Neuholländern.
Und nicht genug, dass sie sich auf diese Weise die Nahrung selbst zerstören: sie verbieten sich auch eine Menge Speisen, oft gerade die besten, durch religiösen Glauben. Zunächst sind die Frauen fast überall in Amerika, Polynesien und Australien, in Neuholland auch die Jünglinge und Knaben (Grey 2, 248), von den besten Nahrungsmitteln, die nur den erwachsenen, oft nur den greisen Männern erlaubt sind, ausgeschlossen. Dann aber gehört das Totem der Indianer hierher, von dem Waitz 3, 119 sagt: »Der politische Verband des Volkes beruhte in alter Zeit sehr allgemein auf einer Eintheilung in Banden oder Geschlechter, deren jedes durch ein Thier oder einen Körpertheil, eines Thieres als Marke bezeichnet war, z. B. Bär, Büffel, Fischotter, Falke und dergl. Nur ein Fisch oder ein Theil eines Fisches konnte diese Marke nicht sein.« Der Name dieser Marke, Totem, kommt von den Algonkin. Wahrscheinlich (ebend.) hatte das Totem ursprünglich eine religiöse Bedeutung: das Thier des Totem war der Schutzgeist der nach ihm benannten Familie, wurde von dieser heilig gehalten und durfte von ihr nicht gejagt werden. Und ebenso verhielt es sich gewiss mit »der Medicin«, die jeder Amerikaner hatte, d.h. dem Totem des Einzelnen. Denn zur Zeit der beginnenden Mannbarkeit erscheint jedem einzelnen sein Schutzgeist in Gestalt eines Thieres, das dann gejagt und dessen Balg stets von dem Betreffenden getragen werden muss. Der Verlust der Medicin würde ihm tiefste Verachtung und beständiges Unglück zuziehen (Waitz 3, 118-119). Ursprünglich durfte gewiss kein Indianer das Thier, das ihm »Medicin« Schutzgeist war, verzehren. Die meisten Völker (auch die Aleuten) stammten von solchen Thieren ab (Waitz 3, 119. 191) und auch diese waren ihnen gewiss ursprünglich heilig, wenn sich auch später diese Verehrung in etwas ab-
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