Gerland, Georg: Über das Aussterben der Naturvölker. Leipzig, 1868.haben Völker und Individuen sich dem Laster des Trunkes auch wieder zu entreissen vermocht (Waitz b, 43). Eigentlich also gehörte diese Betrachtung erst dahin, wo wir vom Einfluss der Weissen auf die Naturvölker sprechen werden, indess mag ein solches Vorausnehmen, des Zusammenhangs wegen und um den einen Gegenstand zu erschöpfen, gleich hier seine Entschuldigung finden. Tabak hat ebensowenig als Coka geschadet. Wenn nun auch die Hottentotten und die Buschmänner gar keinen Werth auf die Keuschheit der Mädchen und Weiber legen, so waren sie doch weder in geschlechtlicher Beziehung noch im Trunk sehr ausschweifend, während wir bei den Aleuten und Kamtschadalen die Verhältnisse wesentlich anders finden. Dem Trunk waren namentlich die Kamtschadalen ganz außerordentlich ergeben (Krusenstern 3, 53) und wie diese Leidenschaft von den europäischen Pelzhändlern zu ihrem Verderben benutzt ist, werden wir später sehen. Aber auch die Aleuten liebten dies Laster (Waitz 3, 314), wie sie auch sonst sehr ausschweifend lebten. Die Weiber hatten (nach Wenjaminow in Ermans Archiv bei Waitz 1, 356 Note) zwei Männer, einen aus höherem Stande und einen Nebenmann aus niederem; dem Gast stellte der Wirth, um ihn gastfreundlich zu ehren, das eigene Weib zur Verfügung. Auch der Päderastie waren sie ergeben (Waitz 3, 314) und die stumpfsinnige Melancholie, in der sie z. B. Chamisso vorfand, scheint nicht wenig durch derartige Ausschweifungen veranlasst zu sein. Den Kamtschadalen schadete gar sehr der grosse Weibermangel, der nach Krusenstern 3, 44, bei ihnen herrschte und nicht nur die Moralität gänzlich, sondern auch die Fruchtbarkeit der Ehen zerstörte. xyxyxyß Die Neuholländer, obwohl sie von den Unverheiratheten beider Geschlechter keine Keuschheit verlangen, obwohl sie an einigen Orten die Weiber ihren Gastfreunden anbieten und sie mit guten Freunden tauschen (Angas 1, 93), sind doch so eifersüchtig, dass verheirathete Frauen sehr zurückhaltend sein müssen (Grey 1, 256). Polygamie ist bei ihnen häufig, aber man kann sie eigentlich nicht ausschweifend nennen. Auch geistige Getränke hatten sie nicht. Von den Melanesiern wird nichts auffallend Schlimmes berichtet, wohl aber von manchen Orten das Gegentheil; so herrschen, nach Malte Brun in Bullet. de la soc. geogr. 1854, I, 238, auf Neucaledonien, wenn auch die Weiber ganz sklavisch gehalten werden, geschlechtliche Ausschweifungen nicht. Polygamie ist allerdings auf den Inseln Sitte (Turner 86. 371. 424), allein wirklich ausgedehnt nur bei Häuptlingen und in selteneren Fällen. Ehebruch kommt, aus Furcht vor Strafe, kaum vor (Turner 86 in Bez. auf Tanna), allein Keuschheit der Unverheiratheten ist hier so wenig verlangt als sonst irgendwo bei den Naturvölkern. Während nun Erskine 256 von den Fidschis sagt, dass sie sehr enthaltsam lebten und Ekel vor Aus- haben Völker und Individuen sich dem Laster des Trunkes auch wieder zu entreissen vermocht (Waitz b, 43). Eigentlich also gehörte diese Betrachtung erst dahin, wo wir vom Einfluss der Weissen auf die Naturvölker sprechen werden, indess mag ein solches Vorausnehmen, des Zusammenhangs wegen und um den einen Gegenstand zu erschöpfen, gleich hier seine Entschuldigung finden. Tabak hat ebensowenig als Coka geschadet. Wenn nun auch die Hottentotten und die Buschmänner gar keinen Werth auf die Keuschheit der Mädchen und Weiber legen, so waren sie doch weder in geschlechtlicher Beziehung noch im Trunk sehr ausschweifend, während wir bei den Aleuten und Kamtschadalen die Verhältnisse wesentlich anders finden. Dem Trunk waren namentlich die Kamtschadalen ganz außerordentlich ergeben (Krusenstern 3, 53) und wie diese Leidenschaft von den europäischen Pelzhändlern zu ihrem Verderben benutzt ist, werden wir später sehen. Aber auch die Aleuten liebten dies Laster (Waitz 3, 314), wie sie auch sonst sehr ausschweifend lebten. Die Weiber hatten (nach Wenjaminow in Ermans Archiv bei Waitz 1, 356 Note) zwei Männer, einen aus höherem Stande und einen Nebenmann aus niederem; dem Gast stellte der Wirth, um ihn gastfreundlich zu ehren, das eigene Weib zur Verfügung. Auch der Päderastie waren sie ergeben (Waitz 3, 314) und die stumpfsinnige Melancholie, in der sie z. B. Chamisso vorfand, scheint nicht wenig durch derartige Ausschweifungen veranlasst zu sein. Den Kamtschadalen schadete gar sehr der grosse Weibermangel, der nach Krusenstern 3, 44, bei ihnen herrschte und nicht nur die Moralität gänzlich, sondern auch die Fruchtbarkeit der Ehen zerstörte. xyxyxyß Die Neuholländer, obwohl sie von den Unverheiratheten beider Geschlechter keine Keuschheit verlangen, obwohl sie an einigen Orten die Weiber ihren Gastfreunden anbieten und sie mit guten Freunden tauschen (Angas 1, 93), sind doch so eifersüchtig, dass verheirathete Frauen sehr zurückhaltend sein müssen (Grey 1, 256). Polygamie ist bei ihnen häufig, aber man kann sie eigentlich nicht ausschweifend nennen. Auch geistige Getränke hatten sie nicht. Von den Melanesiern wird nichts auffallend Schlimmes berichtet, wohl aber von manchen Orten das Gegentheil; so herrschen, nach Malte Brun in Bullet. de la soc. geogr. 1854, I, 238, auf Neucaledonien, wenn auch die Weiber ganz sklavisch gehalten werden, geschlechtliche Ausschweifungen nicht. Polygamie ist allerdings auf den Inseln Sitte (Turner 86. 371. 424), allein wirklich ausgedehnt nur bei Häuptlingen und in selteneren Fällen. Ehebruch kommt, aus Furcht vor Strafe, kaum vor (Turner 86 in Bez. auf Tanna), allein Keuschheit der Unverheiratheten ist hier so wenig verlangt als sonst irgendwo bei den Naturvölkern. Während nun Erskine 256 von den Fidschis sagt, dass sie sehr enthaltsam lebten und Ekel vor Aus- <TEI> <text> <body> <div n="1"> <p><pb facs="#f0055"/> haben Völker und Individuen sich dem Laster des Trunkes auch wieder zu entreissen vermocht (Waitz b, 43). Eigentlich also gehörte diese Betrachtung erst dahin, wo wir vom Einfluss der Weissen auf die Naturvölker sprechen werden, indess mag ein solches Vorausnehmen, des Zusammenhangs wegen und um den einen Gegenstand zu erschöpfen, gleich hier seine Entschuldigung finden. Tabak hat ebensowenig als Coka geschadet.</p> <p>Wenn nun auch die Hottentotten und die Buschmänner gar keinen Werth auf die Keuschheit der Mädchen und Weiber legen, so waren sie doch weder in geschlechtlicher Beziehung noch im Trunk sehr ausschweifend, während wir bei den Aleuten und Kamtschadalen die Verhältnisse wesentlich anders finden. Dem Trunk waren namentlich die Kamtschadalen ganz außerordentlich ergeben (Krusenstern 3, 53) und wie diese Leidenschaft von den europäischen Pelzhändlern zu ihrem Verderben benutzt ist, werden wir später sehen. Aber auch die Aleuten liebten dies Laster (Waitz 3, 314), wie sie auch sonst sehr ausschweifend lebten. Die Weiber hatten (nach Wenjaminow in Ermans Archiv bei Waitz 1, 356 Note) zwei Männer, einen aus höherem Stande und einen Nebenmann aus niederem; dem Gast stellte der Wirth, um ihn gastfreundlich zu ehren, das eigene Weib zur Verfügung. Auch der Päderastie waren sie ergeben (Waitz 3, 314) und die stumpfsinnige Melancholie, in der sie z. B. Chamisso vorfand, scheint nicht wenig durch derartige Ausschweifungen veranlasst zu sein. Den Kamtschadalen schadete gar sehr der grosse Weibermangel, der nach Krusenstern 3, 44, bei ihnen herrschte und nicht nur die Moralität gänzlich, sondern auch die Fruchtbarkeit der Ehen zerstörte. xyxyxyß Die Neuholländer, obwohl sie von den Unverheiratheten beider Geschlechter keine Keuschheit verlangen, obwohl sie an einigen Orten die Weiber ihren Gastfreunden anbieten und sie mit guten Freunden tauschen (Angas 1, 93), sind doch so eifersüchtig, dass verheirathete Frauen sehr zurückhaltend sein müssen (Grey 1, 256). Polygamie ist bei ihnen häufig, aber man kann sie eigentlich nicht ausschweifend nennen. Auch geistige Getränke hatten sie nicht. Von den Melanesiern wird nichts auffallend Schlimmes berichtet, wohl aber von manchen Orten das Gegentheil; so herrschen, nach Malte Brun in Bullet. de la soc. geogr. 1854, I, 238, auf Neucaledonien, wenn auch die Weiber ganz sklavisch gehalten werden, geschlechtliche Ausschweifungen nicht. Polygamie ist allerdings auf den Inseln Sitte (Turner 86. 371. 424), allein wirklich ausgedehnt nur bei Häuptlingen und in selteneren Fällen. Ehebruch kommt, aus Furcht vor Strafe, kaum vor (Turner 86 in Bez. auf Tanna), allein Keuschheit der Unverheiratheten ist hier so wenig verlangt als sonst irgendwo bei den Naturvölkern. Während nun Erskine 256 von den Fidschis sagt, dass sie sehr enthaltsam lebten und Ekel vor Aus- </p> </div> </body> </text> </TEI> [0055]
haben Völker und Individuen sich dem Laster des Trunkes auch wieder zu entreissen vermocht (Waitz b, 43). Eigentlich also gehörte diese Betrachtung erst dahin, wo wir vom Einfluss der Weissen auf die Naturvölker sprechen werden, indess mag ein solches Vorausnehmen, des Zusammenhangs wegen und um den einen Gegenstand zu erschöpfen, gleich hier seine Entschuldigung finden. Tabak hat ebensowenig als Coka geschadet.
Wenn nun auch die Hottentotten und die Buschmänner gar keinen Werth auf die Keuschheit der Mädchen und Weiber legen, so waren sie doch weder in geschlechtlicher Beziehung noch im Trunk sehr ausschweifend, während wir bei den Aleuten und Kamtschadalen die Verhältnisse wesentlich anders finden. Dem Trunk waren namentlich die Kamtschadalen ganz außerordentlich ergeben (Krusenstern 3, 53) und wie diese Leidenschaft von den europäischen Pelzhändlern zu ihrem Verderben benutzt ist, werden wir später sehen. Aber auch die Aleuten liebten dies Laster (Waitz 3, 314), wie sie auch sonst sehr ausschweifend lebten. Die Weiber hatten (nach Wenjaminow in Ermans Archiv bei Waitz 1, 356 Note) zwei Männer, einen aus höherem Stande und einen Nebenmann aus niederem; dem Gast stellte der Wirth, um ihn gastfreundlich zu ehren, das eigene Weib zur Verfügung. Auch der Päderastie waren sie ergeben (Waitz 3, 314) und die stumpfsinnige Melancholie, in der sie z. B. Chamisso vorfand, scheint nicht wenig durch derartige Ausschweifungen veranlasst zu sein. Den Kamtschadalen schadete gar sehr der grosse Weibermangel, der nach Krusenstern 3, 44, bei ihnen herrschte und nicht nur die Moralität gänzlich, sondern auch die Fruchtbarkeit der Ehen zerstörte. xyxyxyß Die Neuholländer, obwohl sie von den Unverheiratheten beider Geschlechter keine Keuschheit verlangen, obwohl sie an einigen Orten die Weiber ihren Gastfreunden anbieten und sie mit guten Freunden tauschen (Angas 1, 93), sind doch so eifersüchtig, dass verheirathete Frauen sehr zurückhaltend sein müssen (Grey 1, 256). Polygamie ist bei ihnen häufig, aber man kann sie eigentlich nicht ausschweifend nennen. Auch geistige Getränke hatten sie nicht. Von den Melanesiern wird nichts auffallend Schlimmes berichtet, wohl aber von manchen Orten das Gegentheil; so herrschen, nach Malte Brun in Bullet. de la soc. geogr. 1854, I, 238, auf Neucaledonien, wenn auch die Weiber ganz sklavisch gehalten werden, geschlechtliche Ausschweifungen nicht. Polygamie ist allerdings auf den Inseln Sitte (Turner 86. 371. 424), allein wirklich ausgedehnt nur bei Häuptlingen und in selteneren Fällen. Ehebruch kommt, aus Furcht vor Strafe, kaum vor (Turner 86 in Bez. auf Tanna), allein Keuschheit der Unverheiratheten ist hier so wenig verlangt als sonst irgendwo bei den Naturvölkern. Während nun Erskine 256 von den Fidschis sagt, dass sie sehr enthaltsam lebten und Ekel vor Aus-
Suche im WerkInformationen zum Werk
Download dieses Werks
XML (TEI P5) ·
HTML ·
Text Metadaten zum WerkTEI-Header · CMDI · Dublin Core Ansichten dieser Seite
Voyant Tools
|
URL zu diesem Werk: | https://www.deutschestextarchiv.de/gerland_naturvoelker_1868 |
URL zu dieser Seite: | https://www.deutschestextarchiv.de/gerland_naturvoelker_1868/55 |
Zitationshilfe: | Gerland, Georg: Über das Aussterben der Naturvölker. Leipzig, 1868, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/gerland_naturvoelker_1868/55>, abgerufen am 16.07.2024. |