Gerland, Georg: Über das Aussterben der Naturvölker. Leipzig, 1868.schweifungen empfänden, so behaupten William und Calvert 1, 134, dass sie sehr zügellos und grobe Ausschweifungen bei ihnen verbreitet seien. Möglich, dass Erskine ein zu günstiges Urtheil fällte; jedenfalls aber stehen die Fidschiinsulaner sehr viel höher als die Polynesier in dieser Beziehung und mögen wohl erst durch den fortwährenden Verkehr mit den Fremden zu dieser Zügellosigkeit gesteigert sein. Am schlimmsten müssen wir über die eigentlichen Polynesier urtheilen, unter denen Trunk und Wollust schon vor den Europäern aufs ärgste gehaust haben. Aus der Wurzel vom Piper methysticum, dem Kavapfeffer, bereitete man, indem sie (an den meisten Orten von alten Weibern) gekaut und dann ausgespieen wurde, durch Aufguss von Wasser ein eigenthümliches Getränk, dem alle Polynesier sehr zugethan waren. Es berauscht nicht eigentlich, da es die Besinnung nicht raubt, aber, indem Gang und Zunge schwer werden, versetzt es den Geist in einen ähnlichen Zustand, wie das Opium; auch wollüstige Träume u. dergl. sollen seinem Genuss folgen, der oft wiederholt allgemeine Schwäche, Zittern, geistige Stumpfheit, Abmagerung und schliesslich scheussliche Hautkrankheiten hervorbringt, Geschwüre, welche aufbrechen und arge Narben zurücklassen. Aber gerade diese Narben galten als Ehrenzeichen (Hale 43). Namentlich auf Tahiti und auf Hawaii war der Kavatrank beliebt; grosse Kavafeste auf Tonga beschreibt Mariner, auf Fidschi d'Urville b 4, 207 und Hale 63. Dagegen trank man ihn auf Neuseeland, obwohl man ihn kannte, nicht. Auch in Mikronesien, wo indess die Wurzel zerrieben, nicht gekaut wurde, war der Kavatrank sehr beliebt und sehr verbreitet (Hale 83: Gulick 417). Was jedoch die schädlichen Einwirkungen dieses in der That höchst gefährlichen Trankes sehr milderte, war der Umstand, dass er ein heiliges Getränk war. Freilich durfte er daher bei keiner irgend wie bedeutenderen Gelegenheit fehlen; aber nur die Fürsten waren es, die ihn trinken durften, nie das Volk, und auch die Fürsten nur bei und unter bestimmten Feierlichkeiten (Hale 43, für Mikronesien Novara 1, 371). So hat denn auch der Schade, den dieser Genuss hervorrief, fast nur die Fürsten und den Adel getroffen. Gegen den Branntwein (Rum u. s. w.) hatten alle Polynesier einen grossen Widerwillen (Novara 2, 337 für Mikronesien), und wenn er trotzdem in Tahiti und Hawaii so verderbliche Wirkungen hervorgerufen hat, so muss man bedenken, wie er zu Tahiti von den Franzosen, zu Hawaii von diesen sowie den amerikanischen und europäischen Kaufleuten unter heftigem Widerstreben der Missionäre und gegen den Willen der Eingeborenen (vergl. z. B. Lutteroth Geschichte der Insel Tahiti 172 u. sonst) gewaltsam eingeführt ist. Und schlimm genug waren die Folgen dieser Einführung. "Als die Tahitier von fremden Seeleuten und Sandwichinsulanern geistige Getränke von schweifungen empfänden, so behaupten William und Calvert 1, 134, dass sie sehr zügellos und grobe Ausschweifungen bei ihnen verbreitet seien. Möglich, dass Erskine ein zu günstiges Urtheil fällte; jedenfalls aber stehen die Fidschiinsulaner sehr viel höher als die Polynesier in dieser Beziehung und mögen wohl erst durch den fortwährenden Verkehr mit den Fremden zu dieser Zügellosigkeit gesteigert sein. Am schlimmsten müssen wir über die eigentlichen Polynesier urtheilen, unter denen Trunk und Wollust schon vor den Europäern aufs ärgste gehaust haben. Aus der Wurzel vom Piper methysticum, dem Kavapfeffer, bereitete man, indem sie (an den meisten Orten von alten Weibern) gekaut und dann ausgespieen wurde, durch Aufguss von Wasser ein eigenthümliches Getränk, dem alle Polynesier sehr zugethan waren. Es berauscht nicht eigentlich, da es die Besinnung nicht raubt, aber, indem Gang und Zunge schwer werden, versetzt es den Geist in einen ähnlichen Zustand, wie das Opium; auch wollüstige Träume u. dergl. sollen seinem Genuss folgen, der oft wiederholt allgemeine Schwäche, Zittern, geistige Stumpfheit, Abmagerung und schliesslich scheussliche Hautkrankheiten hervorbringt, Geschwüre, welche aufbrechen und arge Narben zurücklassen. Aber gerade diese Narben galten als Ehrenzeichen (Hale 43). Namentlich auf Tahiti und auf Hawaii war der Kavatrank beliebt; grosse Kavafeste auf Tonga beschreibt Mariner, auf Fidschi d'Urville b 4, 207 und Hale 63. Dagegen trank man ihn auf Neuseeland, obwohl man ihn kannte, nicht. Auch in Mikronesien, wo indess die Wurzel zerrieben, nicht gekaut wurde, war der Kavatrank sehr beliebt und sehr verbreitet (Hale 83: Gulick 417). Was jedoch die schädlichen Einwirkungen dieses in der That höchst gefährlichen Trankes sehr milderte, war der Umstand, dass er ein heiliges Getränk war. Freilich durfte er daher bei keiner irgend wie bedeutenderen Gelegenheit fehlen; aber nur die Fürsten waren es, die ihn trinken durften, nie das Volk, und auch die Fürsten nur bei und unter bestimmten Feierlichkeiten (Hale 43, für Mikronesien Novara 1, 371). So hat denn auch der Schade, den dieser Genuss hervorrief, fast nur die Fürsten und den Adel getroffen. Gegen den Branntwein (Rum u. s. w.) hatten alle Polynesier einen grossen Widerwillen (Novara 2, 337 für Mikronesien), und wenn er trotzdem in Tahiti und Hawaii so verderbliche Wirkungen hervorgerufen hat, so muss man bedenken, wie er zu Tahiti von den Franzosen, zu Hawaii von diesen sowie den amerikanischen und europäischen Kaufleuten unter heftigem Widerstreben der Missionäre und gegen den Willen der Eingeborenen (vergl. z. B. Lutteroth Geschichte der Insel Tahiti 172 u. sonst) gewaltsam eingeführt ist. Und schlimm genug waren die Folgen dieser Einführung. »Als die Tahitier von fremden Seeleuten und Sandwichinsulanern geistige Getränke von <TEI> <text> <body> <div n="1"> <p><pb facs="#f0056"/> schweifungen empfänden, so behaupten William und Calvert 1, 134, dass sie sehr zügellos und grobe Ausschweifungen bei ihnen verbreitet seien. Möglich, dass Erskine ein zu günstiges Urtheil fällte; jedenfalls aber stehen die Fidschiinsulaner sehr viel höher als die Polynesier in dieser Beziehung und mögen wohl erst durch den fortwährenden Verkehr mit den Fremden zu dieser Zügellosigkeit gesteigert sein.</p> <p>Am schlimmsten müssen wir über die eigentlichen Polynesier urtheilen, unter denen Trunk und Wollust schon vor den Europäern aufs ärgste gehaust haben. Aus der Wurzel vom Piper methysticum, dem Kavapfeffer, bereitete man, indem sie (an den meisten Orten von alten Weibern) gekaut und dann ausgespieen wurde, durch Aufguss von Wasser ein eigenthümliches Getränk, dem alle Polynesier sehr zugethan waren. Es berauscht nicht eigentlich, da es die Besinnung nicht raubt, aber, indem Gang und Zunge schwer werden, versetzt es den Geist in einen ähnlichen Zustand, wie das Opium; auch wollüstige Träume u. dergl. sollen seinem Genuss folgen, der oft wiederholt allgemeine Schwäche, Zittern, geistige Stumpfheit, Abmagerung und schliesslich scheussliche Hautkrankheiten hervorbringt, Geschwüre, welche aufbrechen und arge Narben zurücklassen. Aber gerade diese Narben galten als Ehrenzeichen (Hale 43). Namentlich auf Tahiti und auf Hawaii war der Kavatrank beliebt; grosse Kavafeste auf Tonga beschreibt Mariner, auf Fidschi d'Urville b 4, 207 und Hale 63. Dagegen trank man ihn auf Neuseeland, obwohl man ihn kannte, nicht. Auch in Mikronesien, wo indess die Wurzel zerrieben, nicht gekaut wurde, war der Kavatrank sehr beliebt und sehr verbreitet (Hale 83: Gulick 417). Was jedoch die schädlichen Einwirkungen dieses in der That höchst gefährlichen Trankes sehr milderte, war der Umstand, dass er ein heiliges Getränk war. Freilich durfte er daher bei keiner irgend wie bedeutenderen Gelegenheit fehlen; aber nur die Fürsten waren es, die ihn trinken durften, nie das Volk, und auch die Fürsten nur bei und unter bestimmten Feierlichkeiten (Hale 43, für Mikronesien Novara 1, 371). So hat denn auch der Schade, den dieser Genuss hervorrief, fast nur die Fürsten und den Adel getroffen. Gegen den Branntwein (Rum u. s. w.) hatten alle Polynesier einen grossen Widerwillen (Novara 2, 337 für Mikronesien), und wenn er trotzdem in Tahiti und Hawaii so verderbliche Wirkungen hervorgerufen hat, so muss man bedenken, wie er zu Tahiti von den Franzosen, zu Hawaii von diesen sowie den amerikanischen und europäischen Kaufleuten unter heftigem Widerstreben der Missionäre und gegen den Willen der Eingeborenen (vergl. z. B. Lutteroth Geschichte der Insel Tahiti 172 u. sonst) gewaltsam eingeführt ist. Und schlimm genug waren die Folgen dieser Einführung. »Als die Tahitier von fremden Seeleuten und Sandwichinsulanern geistige Getränke von </p> </div> </body> </text> </TEI> [0056]
schweifungen empfänden, so behaupten William und Calvert 1, 134, dass sie sehr zügellos und grobe Ausschweifungen bei ihnen verbreitet seien. Möglich, dass Erskine ein zu günstiges Urtheil fällte; jedenfalls aber stehen die Fidschiinsulaner sehr viel höher als die Polynesier in dieser Beziehung und mögen wohl erst durch den fortwährenden Verkehr mit den Fremden zu dieser Zügellosigkeit gesteigert sein.
Am schlimmsten müssen wir über die eigentlichen Polynesier urtheilen, unter denen Trunk und Wollust schon vor den Europäern aufs ärgste gehaust haben. Aus der Wurzel vom Piper methysticum, dem Kavapfeffer, bereitete man, indem sie (an den meisten Orten von alten Weibern) gekaut und dann ausgespieen wurde, durch Aufguss von Wasser ein eigenthümliches Getränk, dem alle Polynesier sehr zugethan waren. Es berauscht nicht eigentlich, da es die Besinnung nicht raubt, aber, indem Gang und Zunge schwer werden, versetzt es den Geist in einen ähnlichen Zustand, wie das Opium; auch wollüstige Träume u. dergl. sollen seinem Genuss folgen, der oft wiederholt allgemeine Schwäche, Zittern, geistige Stumpfheit, Abmagerung und schliesslich scheussliche Hautkrankheiten hervorbringt, Geschwüre, welche aufbrechen und arge Narben zurücklassen. Aber gerade diese Narben galten als Ehrenzeichen (Hale 43). Namentlich auf Tahiti und auf Hawaii war der Kavatrank beliebt; grosse Kavafeste auf Tonga beschreibt Mariner, auf Fidschi d'Urville b 4, 207 und Hale 63. Dagegen trank man ihn auf Neuseeland, obwohl man ihn kannte, nicht. Auch in Mikronesien, wo indess die Wurzel zerrieben, nicht gekaut wurde, war der Kavatrank sehr beliebt und sehr verbreitet (Hale 83: Gulick 417). Was jedoch die schädlichen Einwirkungen dieses in der That höchst gefährlichen Trankes sehr milderte, war der Umstand, dass er ein heiliges Getränk war. Freilich durfte er daher bei keiner irgend wie bedeutenderen Gelegenheit fehlen; aber nur die Fürsten waren es, die ihn trinken durften, nie das Volk, und auch die Fürsten nur bei und unter bestimmten Feierlichkeiten (Hale 43, für Mikronesien Novara 1, 371). So hat denn auch der Schade, den dieser Genuss hervorrief, fast nur die Fürsten und den Adel getroffen. Gegen den Branntwein (Rum u. s. w.) hatten alle Polynesier einen grossen Widerwillen (Novara 2, 337 für Mikronesien), und wenn er trotzdem in Tahiti und Hawaii so verderbliche Wirkungen hervorgerufen hat, so muss man bedenken, wie er zu Tahiti von den Franzosen, zu Hawaii von diesen sowie den amerikanischen und europäischen Kaufleuten unter heftigem Widerstreben der Missionäre und gegen den Willen der Eingeborenen (vergl. z. B. Lutteroth Geschichte der Insel Tahiti 172 u. sonst) gewaltsam eingeführt ist. Und schlimm genug waren die Folgen dieser Einführung. »Als die Tahitier von fremden Seeleuten und Sandwichinsulanern geistige Getränke von
Suche im WerkInformationen zum Werk
Download dieses Werks
XML (TEI P5) ·
HTML ·
Text Metadaten zum WerkTEI-Header · CMDI · Dublin Core Ansichten dieser Seite
Voyant Tools ?Language Resource Switchboard?FeedbackSie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden. Kommentar zur DTA-AusgabeDieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen … gutenberg.org: Bereitstellung der Texttranskription und Auszeichnung in HTML.
(2012-11-06T13:54:31Z)
Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme aus gutenberg.org entsprechen muss.
Google Books: Bereitstellung der Bilddigitalisate
(2012-11-06T13:54:31Z)
Frank Wiegand: Konvertierung von HTML nach XML/TEI gemäß DTA-Basisformat.
(2012-11-06T13:54:31Z)
Weitere Informationen:Anmerkungen zur Transkription:
|
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden. Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des § 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
2007–2024 Deutsches Textarchiv, Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften.
Kontakt: redaktion(at)deutschestextarchiv.de. |