Gerland, Georg: Über das Aussterben der Naturvölker. Leipzig, 1868.vorfand, erst in etwa den letzten 50 Jahren vor der Entdeckung, ausbreiten können, weil sonst eine so zahlreiche Bevölkerung, wie sie Wallis und Cook vorfanden, sich unmöglich habe erhalten können. Cook fand den Kindermord schon allgemein verbreitet vor und suchte vergeblich den König Otu zu seiner Abschaffung zu veranlassen. Auch die Missionäre des Duff (1796) fanden die Tödtung der Kinder als etwas ganz Selbstverständliches, über das mit der grössten Gleichgültigkeit geredet wurde (Wilson 272. 310); und mit demselben Entsetzen über diese Gleichgültigkeit wie Wilson sagt auch Ellis, dass etwa zwei Drittel der Kinder getödtet seien. Die ersten drei Kinder wurden es meist, Zwillinge gleichfalls, mehr wie zwei oder drei Kinder zog Niemand auf. Allein eben dadurch konnten sich die Geburten rascher folgen und so fand Ellis Frauen, welche vier, sechs, acht, ja 10 und noch mehr Kinder getödtet hatten (1, 250. 251); ja er versichert, und da kein Stand von dem Gebrauche ausgeschlossen war, ganz glaublich, kein Weib gefunden zu haben, das nicht seine Hände mit dem Blut der eigenen Kinder befleckt hätte. Unter den Areois nun war es so strenges Gesetz, alle Kinder, welche den Mitgliedern der Gesellschaft geboren wurden, zu tödten, dass wer sich diesem Gesetz nicht fügte, sofort ausgestossen wurde. Die einzigen Ausnahmen, welche gestattet waren, bestanden darin, dass die ersten Fürsten ihren ersten Sohn behielten und dass die vornehmsten Areois (die Gesellschaft hatte 12 Grade, Mörenhout 1, 489) nur ihr ältestes Kind so wie alle Mädchen tödteten. Das letztere geschah auch hier wohl aus religiösen Gründen oder weil man die Mädchen für geringer als die Knaben hielt; Mörenhout, dem diese Nachrichten entlehnt sind -- er handelt von den Areois 1, 485-98 -- ist der Meinung, alle diese Morde seien vollbracht, um die Volksmenge der Insel nicht übergross werden zu lassen, welcher Ansicht man kaum beipflichten wird; wie denn auch das tahitische Volk selbst der Ansicht war, die Weiber brächten zur Conservirung ihrer Schönheit die Kinder um. Dass alle Kinder einer Mischehe -- wenigstens, nach Williams 565, eines gemeinen Mannes und einer adligen Frau -- umgebracht wurden, versteht sich nach den Begriffen, welche man über die verschiedenen Stände hatte und nach denen der Adel ganz göttlich, das Volk aber nicht einmal im Besitz einer Seele war, von selbst. Für Tonga wählte man solche Kinder vorzüglich gern, nach Mariner, zu Opfern aus. Und so war es auf allen Gesellschaftsinseln. Williams erzählt von Raiatea, wo er (1829) seine Station hatte, folgendes Beispiel. Er sass mit Bennett in einem Zimmer, in dessen Hintergrund mehrere eingeborene Weiber arbeiteten und als Bennett sich bei ihm nach der Ausdehnung des Kindermords erkundigte, so fragte er, um sich selbst zu überzeugen, ob das Verbrechen so allgemein sei als er glaube, die zufällig anwesenden Weiber, die er nicht weiter kannte, wie viel Kinder vorfand, erst in etwa den letzten 50 Jahren vor der Entdeckung, ausbreiten können, weil sonst eine so zahlreiche Bevölkerung, wie sie Wallis und Cook vorfanden, sich unmöglich habe erhalten können. Cook fand den Kindermord schon allgemein verbreitet vor und suchte vergeblich den König Otu zu seiner Abschaffung zu veranlassen. Auch die Missionäre des Duff (1796) fanden die Tödtung der Kinder als etwas ganz Selbstverständliches, über das mit der grössten Gleichgültigkeit geredet wurde (Wilson 272. 310); und mit demselben Entsetzen über diese Gleichgültigkeit wie Wilson sagt auch Ellis, dass etwa zwei Drittel der Kinder getödtet seien. Die ersten drei Kinder wurden es meist, Zwillinge gleichfalls, mehr wie zwei oder drei Kinder zog Niemand auf. Allein eben dadurch konnten sich die Geburten rascher folgen und so fand Ellis Frauen, welche vier, sechs, acht, ja 10 und noch mehr Kinder getödtet hatten (1, 250. 251); ja er versichert, und da kein Stand von dem Gebrauche ausgeschlossen war, ganz glaublich, kein Weib gefunden zu haben, das nicht seine Hände mit dem Blut der eigenen Kinder befleckt hätte. Unter den Areois nun war es so strenges Gesetz, alle Kinder, welche den Mitgliedern der Gesellschaft geboren wurden, zu tödten, dass wer sich diesem Gesetz nicht fügte, sofort ausgestossen wurde. Die einzigen Ausnahmen, welche gestattet waren, bestanden darin, dass die ersten Fürsten ihren ersten Sohn behielten und dass die vornehmsten Areois (die Gesellschaft hatte 12 Grade, Mörenhout 1, 489) nur ihr ältestes Kind so wie alle Mädchen tödteten. Das letztere geschah auch hier wohl aus religiösen Gründen oder weil man die Mädchen für geringer als die Knaben hielt; Mörenhout, dem diese Nachrichten entlehnt sind — er handelt von den Areois 1, 485-98 — ist der Meinung, alle diese Morde seien vollbracht, um die Volksmenge der Insel nicht übergross werden zu lassen, welcher Ansicht man kaum beipflichten wird; wie denn auch das tahitische Volk selbst der Ansicht war, die Weiber brächten zur Conservirung ihrer Schönheit die Kinder um. Dass alle Kinder einer Mischehe — wenigstens, nach Williams 565, eines gemeinen Mannes und einer adligen Frau — umgebracht wurden, versteht sich nach den Begriffen, welche man über die verschiedenen Stände hatte und nach denen der Adel ganz göttlich, das Volk aber nicht einmal im Besitz einer Seele war, von selbst. Für Tonga wählte man solche Kinder vorzüglich gern, nach Mariner, zu Opfern aus. Und so war es auf allen Gesellschaftsinseln. Williams erzählt von Raiatea, wo er (1829) seine Station hatte, folgendes Beispiel. Er sass mit Bennett in einem Zimmer, in dessen Hintergrund mehrere eingeborene Weiber arbeiteten und als Bennett sich bei ihm nach der Ausdehnung des Kindermords erkundigte, so fragte er, um sich selbst zu überzeugen, ob das Verbrechen so allgemein sei als er glaube, die zufällig anwesenden Weiber, die er nicht weiter kannte, wie viel Kinder <TEI> <text> <body> <div n="1"> <p><pb facs="#f0067"/> vorfand, erst in etwa den letzten 50 Jahren vor der Entdeckung, ausbreiten können, weil sonst eine so zahlreiche Bevölkerung, wie sie Wallis und Cook vorfanden, sich unmöglich habe erhalten können. Cook fand den Kindermord schon allgemein verbreitet vor und suchte vergeblich den König Otu zu seiner Abschaffung zu veranlassen. Auch die Missionäre des Duff (1796) fanden die Tödtung der Kinder als etwas ganz Selbstverständliches, über das mit der grössten Gleichgültigkeit geredet wurde (Wilson 272. 310); und mit demselben Entsetzen über diese Gleichgültigkeit wie Wilson sagt auch Ellis, dass etwa zwei Drittel der Kinder getödtet seien. Die ersten drei Kinder wurden es meist, Zwillinge gleichfalls, mehr wie zwei oder drei Kinder zog Niemand auf. Allein eben dadurch konnten sich die Geburten rascher folgen und so fand Ellis Frauen, welche vier, sechs, acht, ja 10 und noch mehr Kinder getödtet hatten (1, 250. 251); ja er versichert, und da kein Stand von dem Gebrauche ausgeschlossen war, ganz glaublich, kein Weib gefunden zu haben, das nicht seine Hände mit dem Blut der eigenen Kinder befleckt hätte. Unter den Areois nun war es so strenges Gesetz, alle Kinder, welche den Mitgliedern der Gesellschaft geboren wurden, zu tödten, dass wer sich diesem Gesetz nicht fügte, sofort ausgestossen wurde. Die einzigen Ausnahmen, welche gestattet waren, bestanden darin, dass die ersten Fürsten ihren ersten Sohn behielten und dass die vornehmsten Areois (die Gesellschaft hatte 12 Grade, Mörenhout 1, 489) nur ihr ältestes Kind so wie alle Mädchen tödteten. Das letztere geschah auch hier wohl aus religiösen Gründen oder weil man die Mädchen für geringer als die Knaben hielt; Mörenhout, dem diese Nachrichten entlehnt sind — er handelt von den Areois 1, 485-98 — ist der Meinung, alle diese Morde seien vollbracht, um die Volksmenge der Insel nicht übergross werden zu lassen, welcher Ansicht man kaum beipflichten wird; wie denn auch das tahitische Volk selbst der Ansicht war, die Weiber brächten zur Conservirung ihrer Schönheit die Kinder um. Dass alle Kinder einer Mischehe — wenigstens, nach Williams 565, eines gemeinen Mannes und einer adligen Frau — umgebracht wurden, versteht sich nach den Begriffen, welche man über die verschiedenen Stände hatte und nach denen der Adel ganz göttlich, das Volk aber nicht einmal im Besitz einer Seele war, von selbst. Für Tonga wählte man solche Kinder vorzüglich gern, nach Mariner, zu Opfern aus. Und so war es auf allen Gesellschaftsinseln. Williams erzählt von Raiatea, wo er (1829) seine Station hatte, folgendes Beispiel. Er sass mit Bennett in einem Zimmer, in dessen Hintergrund mehrere eingeborene Weiber arbeiteten und als Bennett sich bei ihm nach der Ausdehnung des Kindermords erkundigte, so fragte er, um sich selbst zu überzeugen, ob das Verbrechen so allgemein sei als er glaube, die zufällig anwesenden Weiber, die er nicht weiter kannte, wie viel Kinder </p> </div> </body> </text> </TEI> [0067]
vorfand, erst in etwa den letzten 50 Jahren vor der Entdeckung, ausbreiten können, weil sonst eine so zahlreiche Bevölkerung, wie sie Wallis und Cook vorfanden, sich unmöglich habe erhalten können. Cook fand den Kindermord schon allgemein verbreitet vor und suchte vergeblich den König Otu zu seiner Abschaffung zu veranlassen. Auch die Missionäre des Duff (1796) fanden die Tödtung der Kinder als etwas ganz Selbstverständliches, über das mit der grössten Gleichgültigkeit geredet wurde (Wilson 272. 310); und mit demselben Entsetzen über diese Gleichgültigkeit wie Wilson sagt auch Ellis, dass etwa zwei Drittel der Kinder getödtet seien. Die ersten drei Kinder wurden es meist, Zwillinge gleichfalls, mehr wie zwei oder drei Kinder zog Niemand auf. Allein eben dadurch konnten sich die Geburten rascher folgen und so fand Ellis Frauen, welche vier, sechs, acht, ja 10 und noch mehr Kinder getödtet hatten (1, 250. 251); ja er versichert, und da kein Stand von dem Gebrauche ausgeschlossen war, ganz glaublich, kein Weib gefunden zu haben, das nicht seine Hände mit dem Blut der eigenen Kinder befleckt hätte. Unter den Areois nun war es so strenges Gesetz, alle Kinder, welche den Mitgliedern der Gesellschaft geboren wurden, zu tödten, dass wer sich diesem Gesetz nicht fügte, sofort ausgestossen wurde. Die einzigen Ausnahmen, welche gestattet waren, bestanden darin, dass die ersten Fürsten ihren ersten Sohn behielten und dass die vornehmsten Areois (die Gesellschaft hatte 12 Grade, Mörenhout 1, 489) nur ihr ältestes Kind so wie alle Mädchen tödteten. Das letztere geschah auch hier wohl aus religiösen Gründen oder weil man die Mädchen für geringer als die Knaben hielt; Mörenhout, dem diese Nachrichten entlehnt sind — er handelt von den Areois 1, 485-98 — ist der Meinung, alle diese Morde seien vollbracht, um die Volksmenge der Insel nicht übergross werden zu lassen, welcher Ansicht man kaum beipflichten wird; wie denn auch das tahitische Volk selbst der Ansicht war, die Weiber brächten zur Conservirung ihrer Schönheit die Kinder um. Dass alle Kinder einer Mischehe — wenigstens, nach Williams 565, eines gemeinen Mannes und einer adligen Frau — umgebracht wurden, versteht sich nach den Begriffen, welche man über die verschiedenen Stände hatte und nach denen der Adel ganz göttlich, das Volk aber nicht einmal im Besitz einer Seele war, von selbst. Für Tonga wählte man solche Kinder vorzüglich gern, nach Mariner, zu Opfern aus. Und so war es auf allen Gesellschaftsinseln. Williams erzählt von Raiatea, wo er (1829) seine Station hatte, folgendes Beispiel. Er sass mit Bennett in einem Zimmer, in dessen Hintergrund mehrere eingeborene Weiber arbeiteten und als Bennett sich bei ihm nach der Ausdehnung des Kindermords erkundigte, so fragte er, um sich selbst zu überzeugen, ob das Verbrechen so allgemein sei als er glaube, die zufällig anwesenden Weiber, die er nicht weiter kannte, wie viel Kinder
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Zitationshilfe: | Gerland, Georg: Über das Aussterben der Naturvölker. Leipzig, 1868, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/gerland_naturvoelker_1868/67>, abgerufen am 16.02.2025. |