Gerland, Georg: Über das Aussterben der Naturvölker. Leipzig, 1868.jede getödtet habe: neun die eine, sieben die andere, die dritte fünf, also alle drei zusammen 21! Eine andere Frau bekannte sterbend, dass sie 16, ein vornehmer Häuptling, dass er 19 umgebracht hätte und manche Familien hatten alle getödtet (Williams 562-565). Als Gründe geben ihm die Eingeborenen an, zunächst Furcht vor den ewigen Kriegen und ihren blutigen Zerstörungen; man wollte von den Kindern nicht gehindert sein, auch wohl böse Schicksale ihnen ersparen und was wohl der Hauptgrund war, dem Feind keine Gelegenheit zu irgend welchem Triumph (etwa durch Gefangennehmung oder Ermordung der Kinder) geben. Zweitens war aber die Verschiedenheit des Ranges ein wichtiger Grund. War ein Mann von niederem Rang als seine Frau, so konnte er durch Tödtung von zwei, vier oder sechs Kindern, je nachdem er tiefer stand, zum Rang der Frau sich erheben und die Kinder, welche ihm, nachdem er diese Stufe erreicht, geboren wurden, blieben am Leben. Die Frau aber, welche von minder hohem Range als ihr Mann war, konnte, da alle Vererbung nur in weiblicher Linie erfolgte, sich durch kein Mittel, auch dieses nicht erheben. Blieben aber in gemischten Ehen die Kinder ohne Weiteres am Leben, so sank die Familie auf den Rang herab, welchen der minder vornehme der Eltern inne hatte (Ellis 1, 256). Als dritten Grund führt Williams die Eitelkeit der Weiber auf: sie wollten ihre Schönheit nicht durch Säugen und Kinderpflegen gefährden. Der Hauptgrund scheint aber, wenn nicht in frühester, vorhistorischer Zeit religiöse Motive mitwirkten, Faulheit gewesen zu sein: auf der Insel, welche eine vielfach grössere Bevölkerung leicht ernähren konnte, hiess ein Vater von vier Kindern schon ein "arg überbürdeter" Mann (Ellis a.a.O.). Man tödtete die Kinder, indem man ihnen einen nassen Lappen auf den Mund legte, oder ihnen die Kehle mit dem Daumen zupresste, oder sie, noch im Mutterleibe, aber während der Geburt, mit einem spitzen Bambus durchbohrte; oder man begrub sie lebendig und zwar gerne so, dass die Erde nicht unmittelbar auf sie kam, sondern sich über ihnen her wölbte (Williams und Ellis a.a.O.). Eine vierte noch viel scheusslichere Art beschreibt Williams 567-568: zuerst wurden den eben Geborenen die äussersten Glieder an Finger und Zehen, dann, wenn sie davon nicht starben, die Hand- und Fussknöchel gebrochen. Ueberstand das Kind auch das, so kamen die Kniee und Ellenbogen an die Reihe, und wenn es dann immer noch lebte, so wurde es schliesslich erwürgt. Indess ist die That scheusslicher als die Gesinnung, welche sie hervorbrachte: denn ohne Zweifel wandte man diese grässlichen Todesarten aus keinem anderen Grunde an als aus Ehrfurcht vor der Seele des Kindes, die auf möglichst gelinde Weise, von aussen her, zur Entfernung mehr aufgefordert als genöthigt werden sollte, und erst wenn sie diese Aufforderung gar nicht verstand, trat Zwang ein. Denn die Seelen der getödteten jede getödtet habe: neun die eine, sieben die andere, die dritte fünf, also alle drei zusammen 21! Eine andere Frau bekannte sterbend, dass sie 16, ein vornehmer Häuptling, dass er 19 umgebracht hätte und manche Familien hatten alle getödtet (Williams 562-565). Als Gründe geben ihm die Eingeborenen an, zunächst Furcht vor den ewigen Kriegen und ihren blutigen Zerstörungen; man wollte von den Kindern nicht gehindert sein, auch wohl böse Schicksale ihnen ersparen und was wohl der Hauptgrund war, dem Feind keine Gelegenheit zu irgend welchem Triumph (etwa durch Gefangennehmung oder Ermordung der Kinder) geben. Zweitens war aber die Verschiedenheit des Ranges ein wichtiger Grund. War ein Mann von niederem Rang als seine Frau, so konnte er durch Tödtung von zwei, vier oder sechs Kindern, je nachdem er tiefer stand, zum Rang der Frau sich erheben und die Kinder, welche ihm, nachdem er diese Stufe erreicht, geboren wurden, blieben am Leben. Die Frau aber, welche von minder hohem Range als ihr Mann war, konnte, da alle Vererbung nur in weiblicher Linie erfolgte, sich durch kein Mittel, auch dieses nicht erheben. Blieben aber in gemischten Ehen die Kinder ohne Weiteres am Leben, so sank die Familie auf den Rang herab, welchen der minder vornehme der Eltern inne hatte (Ellis 1, 256). Als dritten Grund führt Williams die Eitelkeit der Weiber auf: sie wollten ihre Schönheit nicht durch Säugen und Kinderpflegen gefährden. Der Hauptgrund scheint aber, wenn nicht in frühester, vorhistorischer Zeit religiöse Motive mitwirkten, Faulheit gewesen zu sein: auf der Insel, welche eine vielfach grössere Bevölkerung leicht ernähren konnte, hiess ein Vater von vier Kindern schon ein »arg überbürdeter« Mann (Ellis a.a.O.). Man tödtete die Kinder, indem man ihnen einen nassen Lappen auf den Mund legte, oder ihnen die Kehle mit dem Daumen zupresste, oder sie, noch im Mutterleibe, aber während der Geburt, mit einem spitzen Bambus durchbohrte; oder man begrub sie lebendig und zwar gerne so, dass die Erde nicht unmittelbar auf sie kam, sondern sich über ihnen her wölbte (Williams und Ellis a.a.O.). Eine vierte noch viel scheusslichere Art beschreibt Williams 567-568: zuerst wurden den eben Geborenen die äussersten Glieder an Finger und Zehen, dann, wenn sie davon nicht starben, die Hand- und Fussknöchel gebrochen. Ueberstand das Kind auch das, so kamen die Kniee und Ellenbogen an die Reihe, und wenn es dann immer noch lebte, so wurde es schliesslich erwürgt. Indess ist die That scheusslicher als die Gesinnung, welche sie hervorbrachte: denn ohne Zweifel wandte man diese grässlichen Todesarten aus keinem anderen Grunde an als aus Ehrfurcht vor der Seele des Kindes, die auf möglichst gelinde Weise, von aussen her, zur Entfernung mehr aufgefordert als genöthigt werden sollte, und erst wenn sie diese Aufforderung gar nicht verstand, trat Zwang ein. Denn die Seelen der getödteten <TEI> <text> <body> <div n="1"> <p><pb facs="#f0068"/> jede getödtet habe: neun die eine, sieben die andere, die dritte fünf, also alle drei zusammen 21! Eine andere Frau bekannte sterbend, dass sie 16, ein vornehmer Häuptling, dass er 19 umgebracht hätte und manche Familien hatten alle getödtet (Williams 562-565). Als Gründe geben ihm die Eingeborenen an, zunächst Furcht vor den ewigen Kriegen und ihren blutigen Zerstörungen; man wollte von den Kindern nicht gehindert sein, auch wohl böse Schicksale ihnen ersparen und was wohl der Hauptgrund war, dem Feind keine Gelegenheit zu irgend welchem Triumph (etwa durch Gefangennehmung oder Ermordung der Kinder) geben. Zweitens war aber die Verschiedenheit des Ranges ein wichtiger Grund. War ein Mann von niederem Rang als seine Frau, so konnte er durch Tödtung von zwei, vier oder sechs Kindern, je nachdem er tiefer stand, zum Rang der Frau sich erheben und die Kinder, welche ihm, nachdem er diese Stufe erreicht, geboren wurden, blieben am Leben. Die Frau aber, welche von minder hohem Range als ihr Mann war, konnte, da alle Vererbung nur in weiblicher Linie erfolgte, sich durch kein Mittel, auch dieses nicht erheben. Blieben aber in gemischten Ehen die Kinder ohne Weiteres am Leben, so sank die Familie auf den Rang herab, welchen der minder vornehme der Eltern inne hatte (Ellis 1, 256). Als dritten Grund führt Williams die Eitelkeit der Weiber auf: sie wollten ihre Schönheit nicht durch Säugen und Kinderpflegen gefährden. Der Hauptgrund scheint aber, wenn nicht in frühester, vorhistorischer Zeit religiöse Motive mitwirkten, Faulheit gewesen zu sein: auf der Insel, welche eine vielfach grössere Bevölkerung leicht ernähren konnte, hiess ein Vater von vier Kindern schon ein »arg überbürdeter« Mann (Ellis a.a.O.).</p> <p>Man tödtete die Kinder, indem man ihnen einen nassen Lappen auf den Mund legte, oder ihnen die Kehle mit dem Daumen zupresste, oder sie, noch im Mutterleibe, aber während der Geburt, mit einem spitzen Bambus durchbohrte; oder man begrub sie lebendig und zwar gerne so, dass die Erde nicht unmittelbar auf sie kam, sondern sich über ihnen her wölbte (Williams und Ellis a.a.O.). Eine vierte noch viel scheusslichere Art beschreibt Williams 567-568: zuerst wurden den eben Geborenen die äussersten Glieder an Finger und Zehen, dann, wenn sie davon nicht starben, die Hand- und Fussknöchel gebrochen. Ueberstand das Kind auch das, so kamen die Kniee und Ellenbogen an die Reihe, und wenn es dann immer noch lebte, so wurde es schliesslich erwürgt. Indess ist die That scheusslicher als die Gesinnung, welche sie hervorbrachte: denn ohne Zweifel wandte man diese grässlichen Todesarten aus keinem anderen Grunde an als aus Ehrfurcht vor der Seele des Kindes, die auf möglichst gelinde Weise, von aussen her, zur Entfernung mehr aufgefordert als genöthigt werden sollte, und erst wenn sie diese Aufforderung gar nicht verstand, trat Zwang ein. Denn die Seelen der getödteten </p> </div> </body> </text> </TEI> [0068]
jede getödtet habe: neun die eine, sieben die andere, die dritte fünf, also alle drei zusammen 21! Eine andere Frau bekannte sterbend, dass sie 16, ein vornehmer Häuptling, dass er 19 umgebracht hätte und manche Familien hatten alle getödtet (Williams 562-565). Als Gründe geben ihm die Eingeborenen an, zunächst Furcht vor den ewigen Kriegen und ihren blutigen Zerstörungen; man wollte von den Kindern nicht gehindert sein, auch wohl böse Schicksale ihnen ersparen und was wohl der Hauptgrund war, dem Feind keine Gelegenheit zu irgend welchem Triumph (etwa durch Gefangennehmung oder Ermordung der Kinder) geben. Zweitens war aber die Verschiedenheit des Ranges ein wichtiger Grund. War ein Mann von niederem Rang als seine Frau, so konnte er durch Tödtung von zwei, vier oder sechs Kindern, je nachdem er tiefer stand, zum Rang der Frau sich erheben und die Kinder, welche ihm, nachdem er diese Stufe erreicht, geboren wurden, blieben am Leben. Die Frau aber, welche von minder hohem Range als ihr Mann war, konnte, da alle Vererbung nur in weiblicher Linie erfolgte, sich durch kein Mittel, auch dieses nicht erheben. Blieben aber in gemischten Ehen die Kinder ohne Weiteres am Leben, so sank die Familie auf den Rang herab, welchen der minder vornehme der Eltern inne hatte (Ellis 1, 256). Als dritten Grund führt Williams die Eitelkeit der Weiber auf: sie wollten ihre Schönheit nicht durch Säugen und Kinderpflegen gefährden. Der Hauptgrund scheint aber, wenn nicht in frühester, vorhistorischer Zeit religiöse Motive mitwirkten, Faulheit gewesen zu sein: auf der Insel, welche eine vielfach grössere Bevölkerung leicht ernähren konnte, hiess ein Vater von vier Kindern schon ein »arg überbürdeter« Mann (Ellis a.a.O.).
Man tödtete die Kinder, indem man ihnen einen nassen Lappen auf den Mund legte, oder ihnen die Kehle mit dem Daumen zupresste, oder sie, noch im Mutterleibe, aber während der Geburt, mit einem spitzen Bambus durchbohrte; oder man begrub sie lebendig und zwar gerne so, dass die Erde nicht unmittelbar auf sie kam, sondern sich über ihnen her wölbte (Williams und Ellis a.a.O.). Eine vierte noch viel scheusslichere Art beschreibt Williams 567-568: zuerst wurden den eben Geborenen die äussersten Glieder an Finger und Zehen, dann, wenn sie davon nicht starben, die Hand- und Fussknöchel gebrochen. Ueberstand das Kind auch das, so kamen die Kniee und Ellenbogen an die Reihe, und wenn es dann immer noch lebte, so wurde es schliesslich erwürgt. Indess ist die That scheusslicher als die Gesinnung, welche sie hervorbrachte: denn ohne Zweifel wandte man diese grässlichen Todesarten aus keinem anderen Grunde an als aus Ehrfurcht vor der Seele des Kindes, die auf möglichst gelinde Weise, von aussen her, zur Entfernung mehr aufgefordert als genöthigt werden sollte, und erst wenn sie diese Aufforderung gar nicht verstand, trat Zwang ein. Denn die Seelen der getödteten
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