Gerstäcker, Friedrich: Germelshausen. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 21. 2. Aufl. Berlin, [1910], S. 21–119. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016.Das fiel ihm zuerst auf, denn in all den benachbarten Dörfern hätte man es fast für ein Vergehen gehalten, einem Fremden nicht wenigstens einen "Guten Tag" oder ein "Grüß' Gott" zu bieten. Hier dachte Niemand daran, und wie in einer großen Stadt gingen die Leute entweder still und theilnahmslos vorbei, oder blieben auch hie und da stehen und sahen ihnen nach -- aber es redete sie Niemand an. Selbst das Mädchen grüßte Keiner von Allen. Und wie wunderlich die alten Häuser mit ihren spitzen, mit Schnitzwerk verzierten Giebeln und festen, wettergrauen Strohdächern aussahen -- und trotz dem Sonntag war kein Fenster blank geputzt, und die runden, in Blei gefaßten Scheiben sahen trüb und angelaufen aus und zeigten auf ihren matten Flächen den schillernden Regenbogenglanz. Hie und da öffnete sich aber ein Flügel, als sie vorüberschritten, und freundliche Mädchengesichter oder alte, würdige Matronen schauten heraus. Auch die seltsame Tracht der Leute fiel ihm auf, die sich wesentlich von der der Nachbardörfer unterschied. Dabei herrschte eine fast lautlose Stille überall, und Arnold, dem das Schweigen endlich peinlich wurde, sagte zu seiner Begleiterin: Haltet ihr denn in eurem Dorfe den Sonntag so streng, daß die Leute, wenn sie einander begegnen, nicht einmal einen Gruß haben? Hörte man nicht hie und da einen Hund bellen oder einen Hahn krähen, so könnte man den ganzen Ort für stumm und todt halten. Das fiel ihm zuerst auf, denn in all den benachbarten Dörfern hätte man es fast für ein Vergehen gehalten, einem Fremden nicht wenigstens einen “Guten Tag“ oder ein “Grüß' Gott“ zu bieten. Hier dachte Niemand daran, und wie in einer großen Stadt gingen die Leute entweder still und theilnahmslos vorbei, oder blieben auch hie und da stehen und sahen ihnen nach — aber es redete sie Niemand an. Selbst das Mädchen grüßte Keiner von Allen. Und wie wunderlich die alten Häuser mit ihren spitzen, mit Schnitzwerk verzierten Giebeln und festen, wettergrauen Strohdächern aussahen — und trotz dem Sonntag war kein Fenster blank geputzt, und die runden, in Blei gefaßten Scheiben sahen trüb und angelaufen aus und zeigten auf ihren matten Flächen den schillernden Regenbogenglanz. Hie und da öffnete sich aber ein Flügel, als sie vorüberschritten, und freundliche Mädchengesichter oder alte, würdige Matronen schauten heraus. Auch die seltsame Tracht der Leute fiel ihm auf, die sich wesentlich von der der Nachbardörfer unterschied. Dabei herrschte eine fast lautlose Stille überall, und Arnold, dem das Schweigen endlich peinlich wurde, sagte zu seiner Begleiterin: Haltet ihr denn in eurem Dorfe den Sonntag so streng, daß die Leute, wenn sie einander begegnen, nicht einmal einen Gruß haben? Hörte man nicht hie und da einen Hund bellen oder einen Hahn krähen, so könnte man den ganzen Ort für stumm und todt halten. <TEI> <text> <body> <div type="chapter" n="0"> <pb facs="#f0019"/> <p>Das fiel ihm zuerst auf, denn in all den benachbarten Dörfern hätte man es fast für ein Vergehen gehalten, einem Fremden nicht wenigstens einen “Guten Tag“ oder ein “Grüß' Gott“ zu bieten. Hier dachte Niemand daran, und wie in einer großen Stadt gingen die Leute entweder still und theilnahmslos vorbei, oder blieben auch hie und da stehen und sahen ihnen nach — aber es redete sie Niemand an. Selbst das Mädchen grüßte Keiner von Allen.</p><lb/> <p>Und wie wunderlich die alten Häuser mit ihren spitzen, mit Schnitzwerk verzierten Giebeln und festen, wettergrauen Strohdächern aussahen — und trotz dem Sonntag war kein Fenster blank geputzt, und die runden, in Blei gefaßten Scheiben sahen trüb und angelaufen aus und zeigten auf ihren matten Flächen den schillernden Regenbogenglanz. Hie und da öffnete sich aber ein Flügel, als sie vorüberschritten, und freundliche Mädchengesichter oder alte, würdige Matronen schauten heraus. Auch die seltsame Tracht der Leute fiel ihm auf, die sich wesentlich von der der Nachbardörfer unterschied. Dabei herrschte eine fast lautlose Stille überall, und Arnold, dem das Schweigen endlich peinlich wurde, sagte zu seiner Begleiterin:</p><lb/> <p>Haltet ihr denn in eurem Dorfe den Sonntag so streng, daß die Leute, wenn sie einander begegnen, nicht einmal einen Gruß haben? Hörte man nicht hie und da einen Hund bellen oder einen Hahn krähen, so könnte man den ganzen Ort für stumm und todt halten.</p><lb/> </div> </body> </text> </TEI> [0019]
Das fiel ihm zuerst auf, denn in all den benachbarten Dörfern hätte man es fast für ein Vergehen gehalten, einem Fremden nicht wenigstens einen “Guten Tag“ oder ein “Grüß' Gott“ zu bieten. Hier dachte Niemand daran, und wie in einer großen Stadt gingen die Leute entweder still und theilnahmslos vorbei, oder blieben auch hie und da stehen und sahen ihnen nach — aber es redete sie Niemand an. Selbst das Mädchen grüßte Keiner von Allen.
Und wie wunderlich die alten Häuser mit ihren spitzen, mit Schnitzwerk verzierten Giebeln und festen, wettergrauen Strohdächern aussahen — und trotz dem Sonntag war kein Fenster blank geputzt, und die runden, in Blei gefaßten Scheiben sahen trüb und angelaufen aus und zeigten auf ihren matten Flächen den schillernden Regenbogenglanz. Hie und da öffnete sich aber ein Flügel, als sie vorüberschritten, und freundliche Mädchengesichter oder alte, würdige Matronen schauten heraus. Auch die seltsame Tracht der Leute fiel ihm auf, die sich wesentlich von der der Nachbardörfer unterschied. Dabei herrschte eine fast lautlose Stille überall, und Arnold, dem das Schweigen endlich peinlich wurde, sagte zu seiner Begleiterin:
Haltet ihr denn in eurem Dorfe den Sonntag so streng, daß die Leute, wenn sie einander begegnen, nicht einmal einen Gruß haben? Hörte man nicht hie und da einen Hund bellen oder einen Hahn krähen, so könnte man den ganzen Ort für stumm und todt halten.
Suche im WerkInformationen zum Werk
Download dieses Werks
XML (TEI P5) ·
HTML ·
Text Metadaten zum WerkTEI-Header · CMDI · Dublin Core Ansichten dieser Seite
Voyant Tools
|
URL zu diesem Werk: | https://www.deutschestextarchiv.de/gerstaecker_germelshausen_1910 |
URL zu dieser Seite: | https://www.deutschestextarchiv.de/gerstaecker_germelshausen_1910/19 |
Zitationshilfe: | Gerstäcker, Friedrich: Germelshausen. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 21. 2. Aufl. Berlin, [1910], S. 21–119. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/gerstaecker_germelshausen_1910/19>, abgerufen am 25.09.2023. |