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Gessert, Ferdinand: Ueber den Begriff und die Wichtigkeit der Schulzucht besonders für die Volksschulen. Münster, 1826.

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oder geringern Einfluß hat, macht man an die
Schule schwerere oder leichtere Ansprüche. Daher sind
auch die Art und die Mannigfaltigkeit der Schulen
der sichere Maßstab von dem Zustand der Bildung
eines Volks; und wiederum kann eine Schule nicht
anders gewürdigt und eingerichtet werden als nach
dem Zustand des Gemeinwesens, dem sie angehört. *)

*) Man sicht hieraus, was von dem Satz zu halten ist, der auch
in Lehrbüchern sich findet: Die Volksschule will Menschen bilden.
Diese Erklärung ist offenbar so gemacht, daß sie die Volksschule
nur von den Schulen für Gelehrte, Handwerker u. s. w. unter-
scheiden soll; wer aber meinte, in derselben sei das Wesen der
Volksschule ausgesprochen, wie würde er eine Aufgabe sich stel-
len, die unmöglich zu lösen ist. Das Wort Mensch ist ja ein
unerreichter Begriff, und wird es seyn, so lange die Welt steht!
Ja ob man meint ihn darin zu erfassen, daß man sagt, der
Charakter der Volksschule sei um jenes Zwecks willen vorzüglich
religiös-moralisch: ist denn selbst das Wort Christ erreichbar?
Euer Leben, sagt die Schrist, ist verborgen mit Christo in Gott.
Zu dem, was von menschlicher und christlicher Würde in einer
Zeit und an einem Ort erkannt und erlangt ist, kann man und
soll man die Jugend bilden, und thut es unwillkührlich. Die
Volksschule kann also bei dem besten Willen nichts anders bilden
als Volk d. h. Genossen einer bestimmten bürgerlichen und reli-
giösen Gesellschaft nach dem Maße, das dieselbe zu einer gewis-
sen Zeit hat. Wollte sie mehr thun, so müßte der Lehrer mit
seinen Schülern nach Rousseau's Lehre sich lossagen von dem
Staat und der Kirche, worin er lebt; er würde diese dann aber
auch gewiß befeinden und vernichten helfen nach derselben Lehre.
-- Aber auch um die Volksschule von andern zu unterscheiden
taugt jene Erklärung nicht. Denn will nicht jede Schule so gut
Menschen bilden, und muß sie es nicht thun eben so in beding-
ter Form wie die Volksschule? Oder wäre es ein Vorrecht der
letztern, wie seltsam ist es, daß sie es schafft durch diejenigen
Gegenstände, worin sie allein die Jugend übt. Machen diese
denn gerade das Menschenthum aus? Vielmehr sie sind die
Bedingungen des Volksthums.

oder geringern Einfluß hat, macht man an die
Schule ſchwerere oder leichtere Anſpruͤche. Daher ſind
auch die Art und die Mannigfaltigkeit der Schulen
der ſichere Maßſtab von dem Zuſtand der Bildung
eines Volks; und wiederum kann eine Schule nicht
anders gewuͤrdigt und eingerichtet werden als nach
dem Zuſtand des Gemeinweſens, dem ſie angehoͤrt. *)

*) Man ſicht hieraus, was von dem Satz zu halten iſt, der auch
in Lehrbuͤchern ſich findet: Die Volksſchule will Menſchen bilden.
Dieſe Erklaͤrung iſt offenbar ſo gemacht, daß ſie die Volksſchule
nur von den Schulen fuͤr Gelehrte, Handwerker u. ſ. w. unter-
ſcheiden ſoll; wer aber meinte, in derſelben ſei das Weſen der
Volksſchule ausgeſprochen, wie wuͤrde er eine Aufgabe ſich ſtel-
len, die unmoͤglich zu loͤſen iſt. Das Wort Menſch iſt ja ein
unerreichter Begriff, und wird es ſeyn, ſo lange die Welt ſteht!
Ja ob man meint ihn darin zu erfaſſen, daß man ſagt, der
Charakter der Volksſchule ſei um jenes Zwecks willen vorzuͤglich
religioͤs-moraliſch: iſt denn ſelbſt das Wort Chriſt erreichbar?
Euer Leben, ſagt die Schriſt, iſt verborgen mit Chriſto in Gott.
Zu dem, was von menſchlicher und chriſtlicher Wuͤrde in einer
Zeit und an einem Ort erkannt und erlangt iſt, kann man und
ſoll man die Jugend bilden, und thut es unwillkuͤhrlich. Die
Volksſchule kann alſo bei dem beſten Willen nichts anders bilden
als Volk d. h. Genoſſen einer beſtimmten buͤrgerlichen und reli-
gioͤſen Geſellſchaft nach dem Maße, das dieſelbe zu einer gewiſ-
ſen Zeit hat. Wollte ſie mehr thun, ſo muͤßte der Lehrer mit
ſeinen Schuͤlern nach Rouſſeau’s Lehre ſich losſagen von dem
Staat und der Kirche, worin er lebt; er wuͤrde dieſe dann aber
auch gewiß befeinden und vernichten helfen nach derſelben Lehre.
— Aber auch um die Volksſchule von andern zu unterſcheiden
taugt jene Erklaͤrung nicht. Denn will nicht jede Schule ſo gut
Menſchen bilden, und muß ſie es nicht thun eben ſo in beding-
ter Form wie die Volksſchule? Oder waͤre es ein Vorrecht der
letztern, wie ſeltſam iſt es, daß ſie es ſchafft durch diejenigen
Gegenſtaͤnde, worin ſie allein die Jugend uͤbt. Machen dieſe
denn gerade das Menſchenthum aus? Vielmehr ſie ſind die
Bedingungen des Volksthums.
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[15/0023] oder geringern Einfluß hat, macht man an die Schule ſchwerere oder leichtere Anſpruͤche. Daher ſind auch die Art und die Mannigfaltigkeit der Schulen der ſichere Maßſtab von dem Zuſtand der Bildung eines Volks; und wiederum kann eine Schule nicht anders gewuͤrdigt und eingerichtet werden als nach dem Zuſtand des Gemeinweſens, dem ſie angehoͤrt. *) *) Man ſicht hieraus, was von dem Satz zu halten iſt, der auch in Lehrbuͤchern ſich findet: Die Volksſchule will Menſchen bilden. Dieſe Erklaͤrung iſt offenbar ſo gemacht, daß ſie die Volksſchule nur von den Schulen fuͤr Gelehrte, Handwerker u. ſ. w. unter- ſcheiden ſoll; wer aber meinte, in derſelben ſei das Weſen der Volksſchule ausgeſprochen, wie wuͤrde er eine Aufgabe ſich ſtel- len, die unmoͤglich zu loͤſen iſt. Das Wort Menſch iſt ja ein unerreichter Begriff, und wird es ſeyn, ſo lange die Welt ſteht! Ja ob man meint ihn darin zu erfaſſen, daß man ſagt, der Charakter der Volksſchule ſei um jenes Zwecks willen vorzuͤglich religioͤs-moraliſch: iſt denn ſelbſt das Wort Chriſt erreichbar? Euer Leben, ſagt die Schriſt, iſt verborgen mit Chriſto in Gott. Zu dem, was von menſchlicher und chriſtlicher Wuͤrde in einer Zeit und an einem Ort erkannt und erlangt iſt, kann man und ſoll man die Jugend bilden, und thut es unwillkuͤhrlich. Die Volksſchule kann alſo bei dem beſten Willen nichts anders bilden als Volk d. h. Genoſſen einer beſtimmten buͤrgerlichen und reli- gioͤſen Geſellſchaft nach dem Maße, das dieſelbe zu einer gewiſ- ſen Zeit hat. Wollte ſie mehr thun, ſo muͤßte der Lehrer mit ſeinen Schuͤlern nach Rouſſeau’s Lehre ſich losſagen von dem Staat und der Kirche, worin er lebt; er wuͤrde dieſe dann aber auch gewiß befeinden und vernichten helfen nach derſelben Lehre. — Aber auch um die Volksſchule von andern zu unterſcheiden taugt jene Erklaͤrung nicht. Denn will nicht jede Schule ſo gut Menſchen bilden, und muß ſie es nicht thun eben ſo in beding- ter Form wie die Volksſchule? Oder waͤre es ein Vorrecht der letztern, wie ſeltſam iſt es, daß ſie es ſchafft durch diejenigen Gegenſtaͤnde, worin ſie allein die Jugend uͤbt. Machen dieſe denn gerade das Menſchenthum aus? Vielmehr ſie ſind die Bedingungen des Volksthums.

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Zitationshilfe: Gessert, Ferdinand: Ueber den Begriff und die Wichtigkeit der Schulzucht besonders für die Volksschulen. Münster, 1826, S. 15. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/gessert_schulzucht_1826/23>, abgerufen am 21.11.2024.