Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Gessert, Ferdinand: Ueber den Begriff und die Wichtigkeit der Schulzucht besonders für die Volksschulen. Münster, 1826.

Bild:
<< vorherige Seite

geistiger Art sei, wie diejenige Liebe, die wir ver-
langen. Er hat dabei zunächst bloß Sachen in sei-
nem Gegenstand, die Liebe Menschen vielmehr. Er
kann selbstsüchtig sein, daher auch eifersüchtig und
mißtrauisch; die wahre Liebe ist immer demüthig
und uneigennützig. Er hat wol Muth aber nicht
Geduld; er will gern wirken, nur leiden nicht; die
Liebe ist so groß im Ertragen als im Unternehmen.
Er zeigt ein schönes Werk, die Liebe auch, viel
Größeres aber zugleich, eine veredelte Seele. Man
gedenke wie der Apostel Paulus die Liebe schildert.
Es hat also keine Noth, daß aus ihr der Fleiß in
guten Werken, der Fleiß für jegliche Tugend, der
Fleiß zu halten die Einigkeit im Geist durch das
Band des Friedens wie bei jedem Menschen, der sie
erlangt, so auch bei dem Schüler von selbst und
nothwendig kommen wird; und was von Fleiß außer
dieser Liebe liegt, müssen wir zu seiner Ausbildung
eher wegschaffen als begehren, ob es schon Werth
haben mag für das gemeine Leben. -- Wollen wir
nun gar den Fleiß mit der Frömmigkeit zusammen
stellen, so fehlt uns ganz der Vergleichungspunkt;
wir können nur die Unähnlichkeit beider nachweisen.
Sie liegen in ganz verschiedener Richtung. Der
Fleiß sucht erst ein höheres Leben; die Frömmigkeit
ist nichts anders als die Annahme desselben. Jener
will Lohn; diese gibt Dank. Jener ist ungewiß,
ob er das erreicht, was er begehrt, ungewiß ebenso,
ob erreicht es auch sei; die Frömmigkeit hat über
beides die allergrößte Gewißheit, denn was sie hält,
das hat sie von Gott. Demnach wie viel Ehre wir

geiſtiger Art ſei, wie diejenige Liebe, die wir ver-
langen. Er hat dabei zunaͤchſt bloß Sachen in ſei-
nem Gegenſtand, die Liebe Menſchen vielmehr. Er
kann ſelbſtſuͤchtig ſein, daher auch eiferſuͤchtig und
mißtrauiſch; die wahre Liebe iſt immer demuͤthig
und uneigennuͤtzig. Er hat wol Muth aber nicht
Geduld; er will gern wirken, nur leiden nicht; die
Liebe iſt ſo groß im Ertragen als im Unternehmen.
Er zeigt ein ſchoͤnes Werk, die Liebe auch, viel
Groͤßeres aber zugleich, eine veredelte Seele. Man
gedenke wie der Apoſtel Paulus die Liebe ſchildert.
Es hat alſo keine Noth, daß aus ihr der Fleiß in
guten Werken, der Fleiß fuͤr jegliche Tugend, der
Fleiß zu halten die Einigkeit im Geiſt durch das
Band des Friedens wie bei jedem Menſchen, der ſie
erlangt, ſo auch bei dem Schuͤler von ſelbſt und
nothwendig kommen wird; und was von Fleiß außer
dieſer Liebe liegt, muͤſſen wir zu ſeiner Ausbildung
eher wegſchaffen als begehren, ob es ſchon Werth
haben mag fuͤr das gemeine Leben. — Wollen wir
nun gar den Fleiß mit der Froͤmmigkeit zuſammen
ſtellen, ſo fehlt uns ganz der Vergleichungspunkt;
wir koͤnnen nur die Unaͤhnlichkeit beider nachweiſen.
Sie liegen in ganz verſchiedener Richtung. Der
Fleiß ſucht erſt ein hoͤheres Leben; die Froͤmmigkeit
iſt nichts anders als die Annahme deſſelben. Jener
will Lohn; dieſe gibt Dank. Jener iſt ungewiß,
ob er das erreicht, was er begehrt, ungewiß ebenſo,
ob erreicht es auch ſei; die Froͤmmigkeit hat uͤber
beides die allergroͤßte Gewißheit, denn was ſie haͤlt,
das hat ſie von Gott. Demnach wie viel Ehre wir

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <p><pb facs="#f0053" n="45"/>
gei&#x017F;tiger Art &#x017F;ei, wie diejenige Liebe, die wir ver-<lb/>
langen. Er hat dabei zuna&#x0364;ch&#x017F;t bloß Sachen in &#x017F;ei-<lb/>
nem Gegen&#x017F;tand, die Liebe Men&#x017F;chen vielmehr. Er<lb/>
kann &#x017F;elb&#x017F;t&#x017F;u&#x0364;chtig &#x017F;ein, daher auch eifer&#x017F;u&#x0364;chtig und<lb/>
mißtraui&#x017F;ch; die wahre Liebe i&#x017F;t immer demu&#x0364;thig<lb/>
und uneigennu&#x0364;tzig. Er hat wol Muth aber nicht<lb/>
Geduld; er will gern wirken, nur leiden nicht; die<lb/>
Liebe i&#x017F;t &#x017F;o groß im Ertragen als im Unternehmen.<lb/>
Er zeigt ein &#x017F;cho&#x0364;nes Werk, die Liebe auch, viel<lb/>
Gro&#x0364;ßeres aber zugleich, eine veredelte Seele. Man<lb/>
gedenke wie der Apo&#x017F;tel Paulus die Liebe &#x017F;childert.<lb/>
Es hat al&#x017F;o keine Noth, daß aus ihr der Fleiß in<lb/>
guten Werken, der Fleiß fu&#x0364;r jegliche Tugend, der<lb/>
Fleiß zu halten die Einigkeit im Gei&#x017F;t durch das<lb/>
Band des Friedens wie bei jedem Men&#x017F;chen, der &#x017F;ie<lb/>
erlangt, &#x017F;o auch bei dem Schu&#x0364;ler von &#x017F;elb&#x017F;t und<lb/>
nothwendig kommen wird; und was von Fleiß außer<lb/>
die&#x017F;er Liebe liegt, mu&#x0364;&#x017F;&#x017F;en wir zu &#x017F;einer Ausbildung<lb/>
eher weg&#x017F;chaffen als begehren, ob es &#x017F;chon Werth<lb/>
haben mag fu&#x0364;r das gemeine Leben. &#x2014; Wollen wir<lb/>
nun gar den Fleiß mit der Fro&#x0364;mmigkeit zu&#x017F;ammen<lb/>
&#x017F;tellen, &#x017F;o fehlt uns ganz der Vergleichungspunkt;<lb/>
wir ko&#x0364;nnen nur die Una&#x0364;hnlichkeit beider nachwei&#x017F;en.<lb/>
Sie liegen in ganz ver&#x017F;chiedener Richtung. Der<lb/>
Fleiß &#x017F;ucht er&#x017F;t ein ho&#x0364;heres Leben; die Fro&#x0364;mmigkeit<lb/>
i&#x017F;t nichts anders als die Annahme de&#x017F;&#x017F;elben. Jener<lb/>
will Lohn; die&#x017F;e gibt Dank. Jener i&#x017F;t ungewiß,<lb/>
ob er das erreicht, was er begehrt, ungewiß eben&#x017F;o,<lb/>
ob erreicht es auch &#x017F;ei; die Fro&#x0364;mmigkeit hat u&#x0364;ber<lb/>
beides die allergro&#x0364;ßte Gewißheit, denn was &#x017F;ie ha&#x0364;lt,<lb/>
das hat &#x017F;ie von Gott. Demnach wie viel Ehre wir<lb/></p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[45/0053] geiſtiger Art ſei, wie diejenige Liebe, die wir ver- langen. Er hat dabei zunaͤchſt bloß Sachen in ſei- nem Gegenſtand, die Liebe Menſchen vielmehr. Er kann ſelbſtſuͤchtig ſein, daher auch eiferſuͤchtig und mißtrauiſch; die wahre Liebe iſt immer demuͤthig und uneigennuͤtzig. Er hat wol Muth aber nicht Geduld; er will gern wirken, nur leiden nicht; die Liebe iſt ſo groß im Ertragen als im Unternehmen. Er zeigt ein ſchoͤnes Werk, die Liebe auch, viel Groͤßeres aber zugleich, eine veredelte Seele. Man gedenke wie der Apoſtel Paulus die Liebe ſchildert. Es hat alſo keine Noth, daß aus ihr der Fleiß in guten Werken, der Fleiß fuͤr jegliche Tugend, der Fleiß zu halten die Einigkeit im Geiſt durch das Band des Friedens wie bei jedem Menſchen, der ſie erlangt, ſo auch bei dem Schuͤler von ſelbſt und nothwendig kommen wird; und was von Fleiß außer dieſer Liebe liegt, muͤſſen wir zu ſeiner Ausbildung eher wegſchaffen als begehren, ob es ſchon Werth haben mag fuͤr das gemeine Leben. — Wollen wir nun gar den Fleiß mit der Froͤmmigkeit zuſammen ſtellen, ſo fehlt uns ganz der Vergleichungspunkt; wir koͤnnen nur die Unaͤhnlichkeit beider nachweiſen. Sie liegen in ganz verſchiedener Richtung. Der Fleiß ſucht erſt ein hoͤheres Leben; die Froͤmmigkeit iſt nichts anders als die Annahme deſſelben. Jener will Lohn; dieſe gibt Dank. Jener iſt ungewiß, ob er das erreicht, was er begehrt, ungewiß ebenſo, ob erreicht es auch ſei; die Froͤmmigkeit hat uͤber beides die allergroͤßte Gewißheit, denn was ſie haͤlt, das hat ſie von Gott. Demnach wie viel Ehre wir

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/gessert_schulzucht_1826
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/gessert_schulzucht_1826/53
Zitationshilfe: Gessert, Ferdinand: Ueber den Begriff und die Wichtigkeit der Schulzucht besonders für die Volksschulen. Münster, 1826, S. 45. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/gessert_schulzucht_1826/53>, abgerufen am 23.11.2024.