Sie wandte sich mit mehrerm Vergnügen in das Herz ihres grossen Reiches, den Fränkischen und Obersächsischen Kreis, deren Einwohner sich mit einer weit zärtlichern Aussprache hören liessen. Ja sie gieng auch Ostwerts bis in die Pohlnischen Gränzen, und wunderte sich, daß ihr Geschlechte sich daselbst an der Stelle Sclavonischer Völker mit solchem Seegen ausgebreitet, und fast die alte Vormauer ihres Sitzes, den grossen Weichselstrom erreichet hat- te. Diese Ostlichen Einwohner ihres Reiches hatten der Sprache ihrer majestätischen Mutter viel Ehre gemacht, und es fast den Franken und Meißnern darinn zuvor gethan: So, daß sie auch oft von den- selben deswegen beneidet wurden. Selbst der Nordli- che Theil ihrer Unterthanen, die eigentlich so genannten Sächsischen Völker, hatten den Vorzug dieser Ober- ländischen Mundart ihrer Brüder erkannt, und be- mühten sich fast mit jenen in die Wette hochdeutsch zu reden und zu schreiben: Obwohl der grosse Haufe noch allezeit die Sprache seiner Voreltern, beyzube- halten geneigt schien.
Nichts gieng indessen dieser zärtlichen Mutter mehr zu Hertzen, als die hier und da bemerkte Unei- nigkeit in der Rechtschreibung. Sie fand, daß fast ein jeder Gelehrter sich eine eigene Gewohnheit mach- te, und kein einziger sich nach der Fürschrifft des an- dern richten wollte. Sie sahe wohl, daß nicht alle gleich recht hatten, und hätte sich ihres Mütterlichen Ansehens bedienen können, sie alle zu einerley Art zu verbinden. Allein sie wollte nicht so gewaltsam ver- fahren. Anfänglich meynte sie die Aussprache zur Richtschnur der Schrift zu machen: Wiewohl die grosse Ungleichheit derselben in verschiedenen Landschaften
ihr
Von der Rechtſchreibung.
Sie wandte ſich mit mehrerm Vergnuͤgen in das Herz ihres groſſen Reiches, den Fraͤnkiſchen und Oberſaͤchſiſchen Kreis, deren Einwohner ſich mit einer weit zaͤrtlichern Ausſprache hoͤren lieſſen. Ja ſie gieng auch Oſtwerts bis in die Pohlniſchen Graͤnzen, und wunderte ſich, daß ihr Geſchlechte ſich daſelbſt an der Stelle Sclavoniſcher Voͤlker mit ſolchem Seegen ausgebreitet, und faſt die alte Vormauer ihres Sitzes, den groſſen Weichſelſtrom erreichet hat- te. Dieſe Oſtlichen Einwohner ihres Reiches hatten der Sprache ihrer majeſtaͤtiſchen Mutter viel Ehre gemacht, und es faſt den Franken und Meißnern darinn zuvor gethan: So, daß ſie auch oft von den- ſelben deswegen beneidet wurden. Selbſt der Nordli- che Theil ihrer Unterthanen, die eigentlich ſo genannten Saͤchſiſchen Voͤlker, hatten den Vorzug dieſer Ober- laͤndiſchen Mundart ihrer Bruͤder erkannt, und be- muͤhten ſich faſt mit jenen in die Wette hochdeutſch zu reden und zu ſchreiben: Obwohl der groſſe Haufe noch allezeit die Sprache ſeiner Voreltern, beyzube- halten geneigt ſchien.
Nichts gieng indeſſen dieſer zaͤrtlichen Mutter mehr zu Hertzen, als die hier und da bemerkte Unei- nigkeit in der Rechtſchreibung. Sie fand, daß faſt ein jeder Gelehrter ſich eine eigene Gewohnheit mach- te, und kein einziger ſich nach der Fuͤrſchrifft des an- dern richten wollte. Sie ſahe wohl, daß nicht alle gleich recht hatten, und haͤtte ſich ihres Muͤtterlichen Anſehens bedienen koͤnnen, ſie alle zu einerley Art zu verbinden. Allein ſie wollte nicht ſo gewaltſam ver- fahren. Anfaͤnglich meynte ſie die Ausſprache zur Richtſchnur der Schrift zu machen: Wiewohl die groſſe Ungleichheit derſelben in verſchiedenen Landſchaften
ihr
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Von der Rechtſchreibung.
Sie wandte ſich mit mehrerm Vergnuͤgen in
das Herz ihres groſſen Reiches, den Fraͤnkiſchen und
Oberſaͤchſiſchen Kreis, deren Einwohner ſich mit einer
weit zaͤrtlichern Ausſprache hoͤren lieſſen. Ja ſie
gieng auch Oſtwerts bis in die Pohlniſchen Graͤnzen,
und wunderte ſich, daß ihr Geſchlechte ſich daſelbſt
an der Stelle Sclavoniſcher Voͤlker mit ſolchem
Seegen ausgebreitet, und faſt die alte Vormauer
ihres Sitzes, den groſſen Weichſelſtrom erreichet hat-
te. Dieſe Oſtlichen Einwohner ihres Reiches hatten
der Sprache ihrer majeſtaͤtiſchen Mutter viel Ehre
gemacht, und es faſt den Franken und Meißnern
darinn zuvor gethan: So, daß ſie auch oft von den-
ſelben deswegen beneidet wurden. Selbſt der Nordli-
che Theil ihrer Unterthanen, die eigentlich ſo genannten
Saͤchſiſchen Voͤlker, hatten den Vorzug dieſer Ober-
laͤndiſchen Mundart ihrer Bruͤder erkannt, und be-
muͤhten ſich faſt mit jenen in die Wette hochdeutſch
zu reden und zu ſchreiben: Obwohl der groſſe Haufe
noch allezeit die Sprache ſeiner Voreltern, beyzube-
halten geneigt ſchien.
Nichts gieng indeſſen dieſer zaͤrtlichen Mutter
mehr zu Hertzen, als die hier und da bemerkte Unei-
nigkeit in der Rechtſchreibung. Sie fand, daß faſt
ein jeder Gelehrter ſich eine eigene Gewohnheit mach-
te, und kein einziger ſich nach der Fuͤrſchrifft des an-
dern richten wollte. Sie ſahe wohl, daß nicht alle
gleich recht hatten, und haͤtte ſich ihres Muͤtterlichen
Anſehens bedienen koͤnnen, ſie alle zu einerley Art zu
verbinden. Allein ſie wollte nicht ſo gewaltſam ver-
fahren. Anfaͤnglich meynte ſie die Ausſprache zur
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[Gessner, Christian Friedrich]: Die so nöthig als nützliche Buchdruckerkunst und Schriftgießerey. Bd. 1. Leipzig, 1740, S. 82. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/gessner_buchdruckerkunst01_1740/311>, abgerufen am 22.11.2024.
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