[Gessner, Christian Friedrich]: Die so nöthig als nützliche Buchdruckerkunst und Schriftgießerey. Bd. 1. Leipzig, 1740.Kurtzer Entwurf ältere glaubwürdige Geschichtschreiber entwedergar nichts wissen, oder das Gegentheil behaupten. Warum hätten selbige dieses verschwiegen, oder uns anders berichtet, wenn sich die Sache also befunden hätte? Man wird viele gegenseitige unverwerfliche Zeugnisse weiter unten antreffen, wenn ich von Mayntz reden werde, allwo sie, als an ihrem Ort vorkommen müssen. Mein Verdacht wächßt um ein merckliches, wenn ich bedencke, daß 2) Junius seine Erzehlung auf das blose Hörensagen einiger alten gemeinen Männer gebauet. Warum hat sich Junius nicht auch auf das Hörensagen einiger alten Weiber beruf- fen? Wenn man den fliegenden Erzehlungen der ge- meinen Leute Beyfall geben wollte, welche sie öfters von dem Ruhm ihrer Vorfahren uns vorzusagen pfle- gen; So würde man bald ein groses Helden-oder Hei- ligen-Lexicon verfertigen können, worinnen lauter Fa- beln vor Wahrheiten stehen würden. Jch kan 3) nicht zusammen reimen, woher es doch komme, daß diese Leute unter sich selbst nicht mit einander übereinstim- men bey was vor einer Gelegenheit diese Kunst erfunden worden. Junius spricht: Küster wäre beym Spa- tzierengehen darauf verfallen; Johann Walch (i) be- richtet uns, daß ihm Heinrich Schorus, ein Nieder- länder und Probst zu Surburg, erzehlet habe, es hät- ten die Patricii zu Harlem einsmals einen Kupferstich über Tisch betrachtet, und dabey die Anmerckung ge- macht, ob es nicht angehen sollte, daß man auf gleiche Weise gantze Wörter und Seiten stechen und abdru- cken könnte? Ein Diener von ihnen hätte dieses mit an- gehö- (i) In Decade Fahularum humani generis fortem adum-
brantium, Straßburg, 1609. 4. p. 180. Kurtzer Entwurf aͤltere glaubwuͤrdige Geſchichtſchreiber entwedergar nichts wiſſen, oder das Gegentheil behaupten. Warum haͤtten ſelbige dieſes verſchwiegen, oder uns anders berichtet, wenn ſich die Sache alſo befunden haͤtte? Man wird viele gegenſeitige unverwerfliche Zeugniſſe weiter unten antreffen, wenn ich von Mayntz reden werde, allwo ſie, als an ihrem Ort vorkommen muͤſſen. Mein Verdacht waͤchßt um ein merckliches, wenn ich bedencke, daß 2) Junius ſeine Erzehlung auf das bloſe Hoͤrenſagen einiger alten gemeinen Maͤnner gebauet. Warum hat ſich Junius nicht auch auf das Hoͤrenſagen einiger alten Weiber beruf- fen? Wenn man den fliegenden Erzehlungen der ge- meinen Leute Beyfall geben wollte, welche ſie oͤfters von dem Ruhm ihrer Vorfahren uns vorzuſagen pfle- gen; So wuͤrde man bald ein groſes Helden-oder Hei- ligen-Lexicon verfertigen koͤnnen, worinnen lauter Fa- beln vor Wahrheiten ſtehen wuͤrden. Jch kan 3) nicht zuſammen reimen, woher es doch komme, daß dieſe Leute unter ſich ſelbſt nicht mit einander uͤbereinſtim- men bey was vor einer Gelegenheit dieſe Kunſt erfunden worden. Junius ſpricht: Kuͤſter waͤre beym Spa- tzierengehen darauf verfallen; Johann Walch (i) be- richtet uns, daß ihm Heinrich Schorus, ein Nieder- laͤnder und Probſt zu Surburg, erzehlet habe, es haͤt- ten die Patricii zu Harlem einsmals einen Kupferſtich uͤber Tiſch betrachtet, und dabey die Anmerckung ge- macht, ob es nicht angehen ſollte, daß man auf gleiche Weiſe gantze Woͤrter und Seiten ſtechen und abdru- cken koͤnnte? Ein Diener von ihnen haͤtte dieſes mit an- gehoͤ- (i) In Decade Fahularum humani generis fortem adum-
brantium, Straßburg, 1609. 4. p. 180. <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <p><pb facs="#f0060" n="24"/><fw place="top" type="header"><hi rendition="#b">Kurtzer Entwurf</hi></fw><lb/><hi rendition="#fr">aͤltere glaubwuͤrdige Geſchichtſchreiber entweder<lb/> gar nichts wiſſen, oder das Gegentheil behaupten</hi>.<lb/> Warum haͤtten ſelbige dieſes verſchwiegen, oder uns<lb/> anders berichtet, wenn ſich die Sache alſo befunden<lb/> haͤtte? Man wird viele gegenſeitige unverwerfliche<lb/> Zeugniſſe weiter unten antreffen, wenn ich von Mayntz<lb/> reden werde, allwo ſie, als an ihrem Ort vorkommen<lb/> muͤſſen. Mein Verdacht waͤchßt um ein merckliches,<lb/> wenn ich bedencke, daß 2) <hi rendition="#fr">Junius</hi> ſeine Erzehlung auf<lb/> das bloſe <hi rendition="#fr">Hoͤrenſagen einiger alten gemeinen<lb/> Maͤnner</hi> gebauet. Warum hat ſich <hi rendition="#fr">Junius</hi> nicht<lb/> auch auf das Hoͤrenſagen einiger alten Weiber beruf-<lb/> fen? Wenn man den fliegenden Erzehlungen der ge-<lb/> meinen Leute Beyfall geben wollte, welche ſie oͤfters<lb/> von dem Ruhm ihrer Vorfahren uns vorzuſagen pfle-<lb/> gen; So wuͤrde man bald ein groſes Helden-oder Hei-<lb/> ligen-Lexicon verfertigen koͤnnen, worinnen lauter Fa-<lb/> beln vor Wahrheiten ſtehen wuͤrden. Jch kan 3) nicht<lb/> zuſammen reimen, woher es doch komme, daß dieſe<lb/> Leute unter ſich ſelbſt nicht mit einander uͤbereinſtim-<lb/> men bey was vor einer Gelegenheit dieſe Kunſt erfunden<lb/> worden. <hi rendition="#fr">Junius</hi> ſpricht: <hi rendition="#fr">Kuͤſter</hi> waͤre beym Spa-<lb/> tzierengehen darauf verfallen; <hi rendition="#fr">Johann Walch</hi> <note place="foot" n="(i)"><hi rendition="#aq">In Decade Fahularum humani generis fortem adum-<lb/> brantium,</hi> Straßburg, 1609. 4. <hi rendition="#aq">p.</hi> 180.</note> <hi rendition="#fr">be-<lb/> richtet</hi> uns, daß ihm <hi rendition="#fr">Heinrich Schorus,</hi> ein Nieder-<lb/> laͤnder und Probſt zu Surburg, erzehlet habe, es haͤt-<lb/> ten die Patricii zu Harlem einsmals einen Kupferſtich<lb/> uͤber Tiſch betrachtet, und dabey die Anmerckung ge-<lb/> macht, ob es nicht angehen ſollte, daß man auf gleiche<lb/> Weiſe gantze Woͤrter und Seiten ſtechen und abdru-<lb/> cken koͤnnte? Ein Diener von ihnen haͤtte dieſes mit an-<lb/> <fw place="bottom" type="catch">gehoͤ-</fw><lb/></p> </div> </div> </body> </text> </TEI> [24/0060]
Kurtzer Entwurf
aͤltere glaubwuͤrdige Geſchichtſchreiber entweder
gar nichts wiſſen, oder das Gegentheil behaupten.
Warum haͤtten ſelbige dieſes verſchwiegen, oder uns
anders berichtet, wenn ſich die Sache alſo befunden
haͤtte? Man wird viele gegenſeitige unverwerfliche
Zeugniſſe weiter unten antreffen, wenn ich von Mayntz
reden werde, allwo ſie, als an ihrem Ort vorkommen
muͤſſen. Mein Verdacht waͤchßt um ein merckliches,
wenn ich bedencke, daß 2) Junius ſeine Erzehlung auf
das bloſe Hoͤrenſagen einiger alten gemeinen
Maͤnner gebauet. Warum hat ſich Junius nicht
auch auf das Hoͤrenſagen einiger alten Weiber beruf-
fen? Wenn man den fliegenden Erzehlungen der ge-
meinen Leute Beyfall geben wollte, welche ſie oͤfters
von dem Ruhm ihrer Vorfahren uns vorzuſagen pfle-
gen; So wuͤrde man bald ein groſes Helden-oder Hei-
ligen-Lexicon verfertigen koͤnnen, worinnen lauter Fa-
beln vor Wahrheiten ſtehen wuͤrden. Jch kan 3) nicht
zuſammen reimen, woher es doch komme, daß dieſe
Leute unter ſich ſelbſt nicht mit einander uͤbereinſtim-
men bey was vor einer Gelegenheit dieſe Kunſt erfunden
worden. Junius ſpricht: Kuͤſter waͤre beym Spa-
tzierengehen darauf verfallen; Johann Walch (i) be-
richtet uns, daß ihm Heinrich Schorus, ein Nieder-
laͤnder und Probſt zu Surburg, erzehlet habe, es haͤt-
ten die Patricii zu Harlem einsmals einen Kupferſtich
uͤber Tiſch betrachtet, und dabey die Anmerckung ge-
macht, ob es nicht angehen ſollte, daß man auf gleiche
Weiſe gantze Woͤrter und Seiten ſtechen und abdru-
cken koͤnnte? Ein Diener von ihnen haͤtte dieſes mit an-
gehoͤ-
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