Thränen sah ich in die Zukunft hinaus, wenn ich die jungen Sprossen aufkeimen sah; ich will sie vor Unfall schüzen, ich will ihres Wachsthums warten, sprach ich, die Götter werden die Be- mühung segnen; sie werden empor wachsen, und herrliche Früchte tragen, und Bäume werden, die mein schwaches Alter in erquikenden Schat- ten nehmen. So sprach ich, und drükte sie an meine Brust, und izt sind sie voll Segen empor gewachsen, und nehmen mein graues Alter in er- quikenden Schatten; so wuchsen die Apfel Bäu- me, und die Birnen-Bäume, und die hohen Nuss- Bäume, die ich als Jüngling um die Hütte her gepflanzet habe, hoch empor; sie tragen die alten Aeste weit herum, und nehmen die kleine Woh- nung in erquikenden Schatten. Diss, diss war mein heftigster Gram, o Mirta! da du an meiner bebenden Brust, in meinen Armen sturbest. Zwölf male hat izt schon der Frühling dein Grab mit Blumen geschmükt; aber der Tag nahet, ein froher
Tag!
Thränen ſah ich in die Zukunft hinaus, wenn ich die jungen Sproſſen aufkeimen ſah; ich will ſie vor Unfall ſchüzen, ich will ihres Wachsthums warten, ſprach ich, die Götter werden die Be- mühung ſegnen; ſie werden empor wachſen, und herrliche Früchte tragen, und Bäume werden, die mein ſchwaches Alter in erquikenden Schat- ten nehmen. So ſprach ich, und drükte ſie an meine Bruſt, und izt ſind ſie voll Segen empor gewachſen, und nehmen mein graues Alter in er- quikenden Schatten; ſo wuchſen die Apfel Bäu- me, und die Birnen-Bäume, und die hohen Nuſs- Bäume, die ich als Jüngling um die Hütte her gepflanzet habe, hoch empor; ſie tragen die alten Aeſte weit herum, und nehmen die kleine Woh- nung in erquikenden Schatten. Diſs, diſs war mein heftigſter Gram, o Mirta! da du an meiner bebenden Bruſt, in meinen Armen ſturbeſt. Zwölf male hat izt ſchon der Frühling dein Grab mit Blumen geſchmükt; aber der Tag nahet, ein froher
Tag!
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Thränen ſah ich in die Zukunft hinaus, wenn ich
die jungen Sproſſen aufkeimen ſah; ich will ſie
vor Unfall ſchüzen, ich will ihres Wachsthums
warten, ſprach ich, die Götter werden die Be-
mühung ſegnen; ſie werden empor wachſen,
und herrliche Früchte tragen, und Bäume werden,
die mein ſchwaches Alter in erquikenden Schat-
ten nehmen. So ſprach ich, und drükte ſie an
meine Bruſt, und izt ſind ſie voll Segen empor
gewachſen, und nehmen mein graues Alter in er-
quikenden Schatten; ſo wuchſen die Apfel Bäu-
me, und die Birnen-Bäume, und die hohen Nuſs-
Bäume, die ich als Jüngling um die Hütte her
gepflanzet habe, hoch empor; ſie tragen die alten
Aeſte weit herum, und nehmen die kleine Woh-
nung in erquikenden Schatten. Diſs, diſs war
mein heftigſter Gram, o Mirta! da du an meiner
bebenden Bruſt, in meinen Armen ſturbeſt. Zwölf
male hat izt ſchon der Frühling dein Grab mit
Blumen geſchmükt; aber der Tag nahet, ein froher
Tag!
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[Geßner, Salomon]: Idyllen. Zürich, 1756, S. 64. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/gessner_idyllen_1756/69>, abgerufen am 16.02.2025.
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