Tag! da meine Gebeine zu den deinen werden hingelegt werden; vielleicht führt ihn die kom- mende Nacht herbey! O! ich seh es mit Lust, wie mein grauer Bart schneeweiss über meine Brust herunter wallt; ein herrliches Merkmal der Güte der Götter! Ja spiele mit dem weissen Haar auf meiner Brust, du kleiner Zephir, der du mich umhüpfest, er ist es so werth, als das goldne Haar des frohen Jünglings und die braunen Loken am Naken des aufblühenden Mädchens. O dieser Tag soll mir ein Tag der Freude seyn! ich will meine Kinder um mich her sammeln, bis auf den kleinen stammelnden Enkel, und will den Göttern opfern; hier vor meiner Hütte sey der Altar; ich will mein kahles Haupt umkränzen, und mein schwacher Arm soll die Leyer nehmen, und dann wollen wir, ich und meine Kinder, um den Al- tar her Loblieder singen; dann will ich Blumen über meine Tafel streuen, und unter frohen Ge- sprächen das Opferfleisch essen. So sprach Pale-
E
Tag! da meine Gebeine zu den deinen werden hingelegt werden; vielleicht führt ihn die kom- mende Nacht herbey! O! ich ſeh es mit Luſt, wie mein grauer Bart ſchneeweiſs über meine Bruſt herunter wallt; ein herrliches Merkmal der Güte der Götter! Ja ſpiele mit dem weiſſen Haar auf meiner Bruſt, du kleiner Zephir, der du mich umhüpfeſt, er iſt es ſo werth, als das goldne Haar des frohen Jünglings und die braunen Loken am Naken des aufblühenden Mädchens. O dieſer Tag ſoll mir ein Tag der Freude ſeyn! ich will meine Kinder um mich her ſammeln, bis auf den kleinen ſtammelnden Enkel, und will den Göttern opfern; hier vor meiner Hütte ſey der Altar; ich will mein kahles Haupt umkränzen, und mein ſchwacher Arm ſoll die Leyer nehmen, und dann wollen wir, ich und meine Kinder, um den Al- tar her Loblieder ſingen; dann will ich Blumen über meine Tafel ſtreuen, und unter frohen Ge- ſprächen das Opferfleiſch eſſen. So ſprach Pale-
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Tag! da meine Gebeine zu den deinen werden
hingelegt werden; vielleicht führt ihn die kom-
mende Nacht herbey! O! ich ſeh es mit Luſt, wie
mein grauer Bart ſchneeweiſs über meine Bruſt
herunter wallt; ein herrliches Merkmal der Güte
der Götter! Ja ſpiele mit dem weiſſen Haar auf
meiner Bruſt, du kleiner Zephir, der du mich
umhüpfeſt, er iſt es ſo werth, als das goldne Haar
des frohen Jünglings und die braunen Loken am
Naken des aufblühenden Mädchens. O dieſer
Tag ſoll mir ein Tag der Freude ſeyn! ich will
meine Kinder um mich her ſammeln, bis auf den
kleinen ſtammelnden Enkel, und will den Göttern
opfern; hier vor meiner Hütte ſey der Altar; ich
will mein kahles Haupt umkränzen, und mein
ſchwacher Arm ſoll die Leyer nehmen, und dann
wollen wir, ich und meine Kinder, um den Al-
tar her Loblieder ſingen; dann will ich Blumen
über meine Tafel ſtreuen, und unter frohen Ge-
ſprächen das Opferfleiſch eſſen. So ſprach Pale-
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[Geßner, Salomon]: Idyllen. Zürich, 1756, S. 65. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/gessner_idyllen_1756/70>, abgerufen am 16.02.2025.
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