Geusau, Anton von: Reise Herrn Heinrich d. XI. durch Teutschland Franckr. u. Italien, [1740–1742].27 glauben, nahm sich aber vor, die Duchesse darüber zur Rede zu setzen.Und als darauf der Obriste Illustrissimo das Buch recommendirte, bestrafte sie ihn sehr ernstlich, daß er sich nicht schäme, sowol sich selbst mit Lesung solcher Bücher zu versündigen, als auch noch ein junges Gemüthe dazu zu verleiten: Es mache solches der catholischen Kirche bey einem Pro- testanten schlechten Credit, und solte ihn billig das Exempel Illustrissimi beschä- men, der als ein Mensch von 18 Jahren, viel andere und beßere Sentiments habe. Der Obrist versetzte darauf: que voulez vous donc, Madame, qu'il lise? Les vies des Saints? et les menteries qui sont la dedans? Sie antwortete: er könne moralische, historische und andere gute Bücher lesen; jener aber blieb bey dem Sentiment, daß man alles lesen müße, um von allen au fait zu seyn, was der Zeitlauf mit sich bringe. Er nennte auch den Titul des Buchs zu verschiedenen widerholten malen, um dem Ge- dächtniß Illustrissimi solchen recht einzudrücken, ohnerachtet dieselben ihr Sentiment von dergleichen Büchern, und daß sie weder dieses noch ein anders iemals lesen würden, offenhertzig declarirten. Nachdem er seinen Abschied genommen, wurde von der Beschaffenheit solcher Welt-Leute, und daß dergleichen Reden gar nichts außerordentliches, son- dern dem Systemati ihres Hertzens gemäß wären, noch manches gesprochen. Beyläuffig erzehlte auch der Marquis de Gardouge, daß vor wenig Tagen ein in Königlichen: Hof-Diensten stehender Monsieur de la Tournelle gestorben sey, der sich ein paar Jahre vorher von Hertzen bekehret, kurtz vor seinem Ende aber, pour marque de sa orage penitence, habe auf Aschen legen laßen, in welchem Zustande er einsmals gesaget, er sähe 3 Wege vor sich und sey ungewiß, welchen er gehen solle: bald darauf aber habe er weiter gesprochen: ein kleines Kind führe ihn den rechten Weg und sey er nunmehro außer allem Embarras, mit welchen Worten er verschieden. Endlich discourirte man noch von denen Predigern, welche bey ietziger Advents-Zeit sich würden hören laßen, da denn der Marquis von einem derselben urtheilte: qu' il prechoit fort bien, Si l'on pouvoit bien precher, sans dire un mot du bon Dieu. Den 30 November Unsre Vormittags Ausfarth nach dem Prevot des Marchands, 27 glauben, nahm sich aber vor, die Duchesse darüber zur Rede zu setzen.Und als darauf der Obriste Illustrissimo das Buch recommendirte, bestrafte sie ihn sehr ernstlich, daß er sich nicht schäme, sowol sich selbst mit Lesung solcher Bücher zu versündigen, als auch noch ein junges Gemüthe dazu zu verleiten: Es mache solches der catholischen Kirche bey einem Pro- testanten schlechten Credit, und solte ihn billig das Exempel Illustrissimi beschä- men, der als ein Mensch von 18 Jahren, viel andere und beßere Sentiments habe. Der Obrist versetzte darauf: que voulez vous donc, Madame, qu’il lise? Les vies des Saints? et les menteries qui sont la dedans? Sie antwortete: er könne moralische, historische und andere gute Bücher lesen; jener aber blieb bey dem Sentiment, daß man alles lesen müße, um von allen au fait zu seyn, was der Zeitlauf mit sich bringe. Er nennte auch den Titul des Buchs zu verschiedenen widerholten malen, um dem Ge- dächtniß Illustrissimi solchen recht einzudrücken, ohnerachtet dieselben ihr Sentiment von dergleichen Büchern, und daß sie weder dieses noch ein anders iemals lesen würden, offenhertzig declarirten. Nachdem er seinen Abschied genommen, wurde von der Beschaffenheit solcher Welt-Leute, und daß dergleichen Reden gar nichts außerordentliches, son- dern dem Systemati ihres Hertzens gemäß wären, noch manches gesprochen. Beyläuffig erzehlte auch der Marquis de Gardouge, daß vor wenig Tagen ein in Königlichen: Hof-Diensten stehender Monsieur de la Tournelle gestorben sey, der sich ein paar Jahre vorher von Hertzen bekehret, kurtz vor seinem Ende aber, pour marque de sa orage penitence, habe auf Aschen legen laßen, in welchem Zustande er einsmals gesaget, er sähe 3 Wege vor sich und sey ungewiß, welchen er gehen solle: bald darauf aber habe er weiter gesprochen: ein kleines Kind führe ihn den rechten Weg und sey er nunmehro außer allem Embarras, mit welchen Worten er verschieden. Endlich discourirte man noch von denen Predigern, welche bey ietziger Advents-Zeit sich würden hören laßen, da denn der Marquis von einem derselben urtheilte: qu‘ il prechoit fort bien, Si l’on pouvoit bien precher, sans dire un mot du bon Dieu. 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glauben, nahm sich aber vor, die Duchesse darüber zur Rede zu setzen.
Und als darauf der Obriste Illmo das Buch recommendirte, bestrafte sie
ihn sehr ernstlich, daß er sich nicht schäme, sowol sich selbst mit Lesung
solcher Bücher zu versündigen, als auch noch ein junges Gemüthe dazu
zu verleiten: Es mache solches der catholischen Kirche bey einem Pro-
testanten schlechten Credit, und solte ihn billig das Exempel Illmi beschä-
men, der als ein Mensch von 18 Jahren, viel andere u. beßere
Sentiments habe. Der Obrist versetzte darauf: que voulez vous
donc, Madame, qu’il lise? Les vies des Saints? et les menteries
qui sont la dedans? Sie antwortete: er könne moralische, historische
und andere gute Bücher lesen; jener aber blieb bey dem Sentiment,
daß man alles lesen müße, um von allen au fait zu seyn,
was der Zeitlauf mit sich bringe. Er nennte auch den Titul
des Buchs zu verschiedenen widerholten malen, um dem Ge-
dächtniß Illmi solchen recht einzudrücken, ohnerachtet dieselben
ihr Sentiment von dergl: Büchern, und daß sie weder dieses noch
ein anders iemals lesen würden, offenhertzig declarirten. Nachdem
er seinen Abschied genommen, wurde von der Beschaffenheit solcher
Welt-Leute, und daß dergl: Reden gar nichts außerordentliches, son-
dern dem Systemati ihres Hertzens gemäß wären, noch manches
gesprochen. Beyläuffig erzehlte auch der Marquis de Gardouge,
daß vor wenig Tagen ein in Königl: Hof-Diensten stehender
Mr: de la Tournelle gestorben sey, der sich ein paar Jahre
vorher von Hertzen bekehret, kurtz vor seinem Ende aber, pour
marque de sa orage penitence, habe auf Aschen legen laßen,
in welchem Zustande er einsmals gesaget, er sähe 3 Wege
vor sich und sey ungewiß, welchen er gehen solle: bald darauf
aber habe er weiter gesprochen: ein kleines Kind führe ihn den
rechten Weg und sey er nunmehro außer allem Embarras,
mit welchen Worten er verschieden. Endlich discourirte man
noch von denen Predigern, welche bey ietziger Advents-Zeit
sich würden hören laßen, da denn der Marquis von einem
derselben urtheilte: qu‘ il prechoit fort bien, Si l’on
pouvoit bien precher, sans dire un mot du bon Dieu.
Den 30 Novembr:
Unsre Vormittags Ausfarth nach dem Prevôt des Marchands,
um uns bey ihm vor den Plan von Paris zu bedancken, war
vergeblich, weil wir ihn nicht zu Hause antrafen. Die hiesige
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Saskia Jungmann, Nikolas Schröder, Andreas Lewen: Mitarbeit
Thüringer Staatskanzlei: Projektförderer
Thüringer Universitäts- und Landesbibliothek Jena: Bilddigitalisierung von Editionsvorlage und deren Abschrift sowie Bereitstellung der Digitalisate
Weitere Informationen:Das Endendum der vorliegenden Edition bildet das Tagebuch zur Kavalierstour des pietistischen Grafen Heinrich XI. Reuß zu Obergreiz (1722-1800) durch das Heilige Römische Reich deutscher Nation, Frankreich, die Schweiz, Italien und Österreich in den Jahren 1740–1742. Es besteht aus 443 Tagebucheinträgen auf 784 Seiten, die in 71 Briefen in die Heimat übersandt wurden. Verfasser des Tagebuchs ist der Köstritzer Hofmeister Anton von Geusau (1695–1749). Im Tagebuch bietet dieser nicht nur Einblicke in die international vernetzte Welt des Hochadels, sondern überliefert auch tiefgehende Einblicke in die wirtschaftlichen, sozialen, religiösen und politischen Entwicklungen in den besuchten Ländern. Dies ist vor allem für die im politischen System Europas stattfindenden Veränderungen relevant. So führte der Aufstieg Preußens zur Großmacht zu einer Neuordnung des europäischen Mächtesystems. In die Zeit seiner Kavalierstour fallen beispielsweise der Tod des Römisch-Deutschen Kaisers Karl VI. (1685–1740) und der sich daran anschließende Österreichische Erbfolgekrieg mit seinen Auswirkungen auf das europäische Mächtesystem. Besonders aufschlussreich sind die zahlreichen wiedergegebenen Gespräche zwischen den Reisenden und anderen Adligen, Geistlichen und Gelehrten zumeist katholischer Provenienz. Diese ermöglichen vielfältige Einblicke in die Gedanken- und Vorstellungswelt des Verfassers, seiner Mitreisenden und Gesprächspartner. Hieran werden Kontaktzonen für interkonfessionellen Austausch, aber auch Grenzen des Sag- oder Machbaren deutlich: Heinrich XI. und von Geusau waren pietistisch-fromme Lutheraner, die die auf der Reise gemachten Erfahrungen vor ihrem konfessionellen Erfahrungshintergrund spiegelten, werteten und einordneten Die Edition wurde zunächst mit Hilfe der virtuellen Forschungsumgebung FuD erstellt, die im Rahmen des Projektes Editionenportal Thüringen an der Thüringer Universitäts- und Landesbibliothek Jena (ThULB) implementiert wurde. Nach Einstellung dieses Infrastrukturprojekts fand eine Transformation des FuD-XML in das DTABf im Rahmen eines FAIR-Data-Stipendiums der NFDI4Memory statt. Die Digitalisierung des originalen Brieftagebuchs und einer zeitgenössischen Abschrift erfolgte über die ThULB. Die vorliegende Edition umfasst eine vorlagennahe und zeilengenaue Umschrift der kurrenten Handschrift in moderne lateinische Buchstaben. Eine gründliche Ersttranskription ist erfolgt; eine abschließende Kollationierung steht noch aus. Die XML-Daten umfassen zum gegenwärtigen Zeitpunkt zudem eine grundständige Strukturkodierung (Briefe, Tagebucheinträge, Kopfzeilen, Absätze, Seiten- und Zeilenwechsel) und eine TEI-konforme Auszeichnung grundlegender formal-textkritischer Phänomene (Hervorhebungen, Autorkorrekturen, editorische Konjekturen, Unlesbarkeiten, Abkürzungen mit Auflösungen). Abweichungen der zeitgenössische Abschrift vom originalen Autographen wurden bis dato nicht erfasst. Topographische Informationen der Autorkorrekturen wurden erfasst. Einrückungen am Zeilenbeginn und innerhalb von Zeilen wurden nicht wiedergegeben. Horizontale Leerräume wurden nicht genau, sondern als einfache Leerzeilen wiedergegeben. Für bisher 49 der insgesamt 71 Briefe wurden zudem die darin erwähnten inhaltlich-semantischen Entitäten (Personen/Körperschaften, Gruppen, Geografika, Ereignisse und Objekte (z.B. Bücher, Gebäude, Statuen, Karten, Gemälde etc.)) kodiert und unter Nutzung von GND-Verweisen identifiziert. Ein entsprechendes Register finden Sie auf Github, dort sind auch sämtliche Daten der Edition zu diesem Werk publiziert. Bogensignaturen: keine Angabe; Druckfehler: keine Angabe; fremdsprachliches Material: nicht markiert; Geminations-/Abkürzungsstriche: mnarkiert, expandiert; Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht markiert; i/j in Fraktur: Lautwert transkribiert; I/J in Fraktur: Lautwert transkribiert; Kolumnentitel: keine Angabe; Kustoden: keine Angabe; langes s (ſ): als s transkribiert; Normalisierungen: keine; rundes r (ꝛ): als r/et transkribiert; Seitenumbrüche markiert: ja; Silbentrennung: wie Vorlage; u/v bzw. U/V: Lautwert transkribiert; Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert; Vollständigkeit: vollständig erfasst; Zeichensetzung: DTABf-getreu; Zeilenumbrüche markiert: ja;
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