Geusau, Anton von: Reise Herrn Heinrich d. XI. durch Teutschland Franckr. u. Italien, [1740–1742].345 mögl: gewesen, aus solchen Dingen neu-Testamentische Kirchen=Functionen zu machen. Eben diesen Vormittag wohne- ten wir noch einer Syrischen Meße bey, welche Nation be- kantermaßen sich zum Theil auch unter das Röml: Joch ge- beuget und hier ihre Kirche hat. Die Meße wird Syrisch gesungen, und der Gesang ist pitoiable, auch sind die übrigen Ceremonien von denen Röml: unterschieden, und gebrauchet man sonderl: anstatt der Meß-Klingel 2 Fahnen, deren Stöcke dichte mit Schellen besetzt sind, und welche durch 2 vor dem Altar stehende Geistliche, iedoch mit ziemlr modestie, hin und her beweget werden. Bey der Scala Santa war diesen Nachmittag große Andacht, und dieselbe viel zu enge, allen hinauf hutschen wol- lenden den nötigen Platz zu geben, daher denn der auf der heil: Treppe liegende Ablaß auch auf 2 von denen 4 Neben- Treppen mit extendiret war. Gedachte eigentl: Scala Santa ist von weißem Marmor, ietzt aber mit Bretern belegt, weil von denen vielen Millionen Knien, welche schon hinauf passi- ret, die Stufen so abgenutzet sind, daß es sehr schwer fallen würde, ohne solche Verkleidung hinauf zu kommen. Doch sind 2 Stellen auf dieser Treppe unbedeckt, und mit messing[unleserliches Material]nen Gitterwerck überzogen, weil etliche Bluts-Tropfen von un- serm gegeißelten und mit Dornen gecrönten Heylande darauf gefallen seyn sollen. Das lateinl: Gebet, welches nach überstiegener oder vielmehr überhutschter Treppe gesprochen werden soll, ist ohngefähr dieses Innhalts: domine Jesu, fac, vt sacra vestigia tua in hac scala digna venerant[unleserliches Material]es de [unleserliches Material]alio Sanctificationis gradu in alium provehamur. Oben auf der Treppe ist die bekannte Capelle Sancta Sanctorum genannt, darinn unzähliche Reliquien sind. Die vornehmste Raritaet aber ist ein Marien-Bild, von dem insgemein vorgegeben wird, daß solches durch die Engel gemahlet sey. Befände sichs also, so wären die Engel gewiß schlechte Mahler. Die von diesem Bilde vor der Capelle hängende schriftl: Nachricht giebt solches nicht recht deutlich zu erkennen, sondern besaget nur so viel, daß der bekannte Anastasius Bibliothecarius daßelbe akheiropoielon nenne, und daß es vor etln 100 Jahren mehr durch Engel= als durch Menschen=Hände aus der Terra Sancta 345 mögl: gewesen, aus solchen Dingen neu-Testamentische Kirchen=Functionen zu machen. Eben diesen Vormittag wohne- ten wir noch einer Syrischen Meße bey, welche Nation be- kantermaßen sich zum Theil auch unter das Röml: Joch ge- beuget und hier ihre Kirche hat. Die Meße wird Syrisch gesungen, und der Gesang ist pitoiable, auch sind die übrigen Ceremonien von denen Röml: unterschieden, und gebrauchet man sonderl: anstatt der Meß-Klingel 2 Fahnen, deren Stöcke dichte mit Schellen besetzt sind, und welche durch 2 vor dem Altar stehende Geistliche, iedoch mit ziemlr modestie, hin und her beweget werden. Bey der Scala Santa war diesen Nachmittag große Andacht, und dieselbe viel zu enge, allen hinauf hutschen wol- lenden den nötigen Platz zu geben, daher denn der auf der heil: Treppe liegende Ablaß auch auf 2 von denen 4 Neben- Treppen mit extendiret war. Gedachte eigentl: Scala Santa ist von weißem Marmor, ietzt aber mit Bretern belegt, weil von denen vielen Millionen Knien, welche schon hinauf passi- ret, die Stufen so abgenutzet sind, daß es sehr schwer fallen würde, ohne solche Verkleidung hinauf zu kommen. Doch sind 2 Stellen auf dieser Treppe unbedeckt, und mit messing[unleserliches Material]nen Gitterwerck überzogen, weil etliche Bluts-Tropfen von un- serm gegeißelten und mit Dornen gecrönten Heylande darauf gefallen seyn sollen. Das lateinl: Gebet, welches nach überstiegener oder vielmehr überhutschter Treppe gesprochen werden soll, ist ohngefähr dieses Innhalts: domine Jesu, fac, vt sacra vestigia tua in hac scala digna venerant[unleserliches Material]es de [unleserliches Material]alio Sanctificationis gradu in alium provehamur. Oben auf der Treppe ist die bekannte Capelle Sancta Sanctorum genannt, darinn unzähliche Reliquien sind. Die vornehmste Raritaet aber ist ein Marien-Bild, von dem insgemein vorgegeben wird, daß solches durch die Engel gemahlet sey. Befände sichs also, so wären die Engel gewiß schlechte Mahler. Die von diesem Bilde vor der Capelle hängende schriftl: Nachricht giebt solches nicht recht deutlich zu erkennen, sondern besaget nur so viel, daß der bekannte Anastasius Bibliothecarius daßelbe ἀχειροποίηlον nenne, und daß es vor etln 100 Jahren mehr durch Engel= als durch Menschen=Hände aus der Terra Sancta <TEI> <text> <body> <div type="letter"> <div type="diaryEntry"> <p><pb facs="#f0704"/><fw type="folNum" place="top">345</fw><lb/> mögl: gewesen, aus solchen Dingen neu-Testamentische Kirchen=<lb/> Functionen zu machen. Eben diesen Vormittag wohne-<lb/> ten wir noch einer Syrischen Meße bey, welche Nation be-<lb/> kantermaßen sich zum Theil auch unter das Röml: Joch ge-<lb/> beuget und hier ihre Kirche hat. 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Functionen zu machen. Eben diesen Vormittag wohne-
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kantermaßen sich zum Theil auch unter das Röml: Joch ge-
beuget und hier ihre Kirche hat. Die Meße wird Syrisch gesungen,
und der Gesang ist pitoiable, auch sind die übrigen Ceremonien
von denen Röml: unterschieden, und gebrauchet man sonderl:
anstatt der Meß-Klingel 2 Fahnen, deren Stöcke dichte mit
Schellen besetzt sind, und welche durch 2 vor dem Altar stehende
Geistliche, iedoch mit ziemlr modestie, hin und her beweget
werden. Bey der Scala Santa war diesen Nachmittag große
Andacht, und dieselbe viel zu enge, allen hinauf hutschen wol-
lenden den nötigen Platz zu geben, daher denn der auf
der heil: Treppe liegende Ablaß auch auf 2 von denen 4 Neben-
Treppen mit extendiret war. Gedachte eigentl: Scala Santa
ist von weißem Marmor, ietzt aber mit Bretern belegt, weil
von denen vielen Millionen Knien, welche schon hinauf passi-
ret, die Stufen so abgenutzet sind, daß es sehr schwer fallen
würde, ohne solche Verkleidung hinauf zu kommen. Doch sind
2 Stellen auf dieser Treppe unbedeckt, und mit messingnen
Gitterwerck überzogen, weil etliche Bluts-Tropfen von un-
serm gegeißelten und mit Dornen gecrönten Heylande
darauf gefallen seyn sollen. Das lateinl: Gebet, welches
nach überstiegener oder vielmehr überhutschter Treppe gesprochen
werden soll, ist ohngefähr dieses Innhalts: domine Jesu, fac,
vt sacra vestigia tua in hac scala digna venerantes de alio
Sanctificationis gradu in alium provehamur. Oben auf der
Treppe ist die bekannte Capelle Sancta Sanctorum genannt,
darinn unzähliche Reliquien sind. Die vornehmste Raritaet
aber ist ein Marien-Bild, von dem insgemein vorgegeben
wird, daß solches durch die Engel gemahlet sey. Befände sichs
also, so wären die Engel gewiß schlechte Mahler. Die von
diesem Bild vor der Capelle hängende schriftl: Nachricht
giebt solches nicht recht deutlich zu erkennen, sondern besaget
nur so viel, daß der bekannte Anastasius Bibliothecarius
daßelbe ἀχειροποίηlον nenne, und daß es vor etln 100 Jahren
mehr durch Engel= als durch Menschen=Hände aus der Terra Sancta
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Saskia Jungmann, Nikolas Schröder, Andreas Lewen: Mitarbeit
Thüringer Staatskanzlei: Projektförderer
Thüringer Universitäts- und Landesbibliothek Jena: Bilddigitalisierung von Editionsvorlage und deren Abschrift sowie Bereitstellung der Digitalisate
Weitere Informationen:Das Endendum der vorliegenden Edition bildet das Tagebuch zur Kavalierstour des pietistischen Grafen Heinrich XI. Reuß zu Obergreiz (1722-1800) durch das Heilige Römische Reich deutscher Nation, Frankreich, die Schweiz, Italien und Österreich in den Jahren 1740–1742. Es besteht aus 443 Tagebucheinträgen auf 784 Seiten, die in 71 Briefen in die Heimat übersandt wurden. Verfasser des Tagebuchs ist der Köstritzer Hofmeister Anton von Geusau (1695–1749). Im Tagebuch bietet dieser nicht nur Einblicke in die international vernetzte Welt des Hochadels, sondern überliefert auch tiefgehende Einblicke in die wirtschaftlichen, sozialen, religiösen und politischen Entwicklungen in den besuchten Ländern. Dies ist vor allem für die im politischen System Europas stattfindenden Veränderungen relevant. So führte der Aufstieg Preußens zur Großmacht zu einer Neuordnung des europäischen Mächtesystems. In die Zeit seiner Kavalierstour fallen beispielsweise der Tod des Römisch-Deutschen Kaisers Karl VI. (1685–1740) und der sich daran anschließende Österreichische Erbfolgekrieg mit seinen Auswirkungen auf das europäische Mächtesystem. Besonders aufschlussreich sind die zahlreichen wiedergegebenen Gespräche zwischen den Reisenden und anderen Adligen, Geistlichen und Gelehrten zumeist katholischer Provenienz. Diese ermöglichen vielfältige Einblicke in die Gedanken- und Vorstellungswelt des Verfassers, seiner Mitreisenden und Gesprächspartner. Hieran werden Kontaktzonen für interkonfessionellen Austausch, aber auch Grenzen des Sag- oder Machbaren deutlich: Heinrich XI. und von Geusau waren pietistisch-fromme Lutheraner, die die auf der Reise gemachten Erfahrungen vor ihrem konfessionellen Erfahrungshintergrund spiegelten, werteten und einordneten Die Edition wurde zunächst mit Hilfe der virtuellen Forschungsumgebung FuD erstellt, die im Rahmen des Projektes Editionenportal Thüringen an der Thüringer Universitäts- und Landesbibliothek Jena (ThULB) implementiert wurde. Nach Einstellung dieses Infrastrukturprojekts fand eine Transformation des FuD-XML in das DTABf im Rahmen eines FAIR-Data-Stipendiums der NFDI4Memory statt. Die Digitalisierung des originalen Brieftagebuchs und einer zeitgenössischen Abschrift erfolgte über die ThULB. Die vorliegende Edition umfasst eine vorlagennahe und zeilengenaue Umschrift der kurrenten Handschrift in moderne lateinische Buchstaben. Eine gründliche Ersttranskription ist erfolgt; eine abschließende Kollationierung steht noch aus. Die XML-Daten umfassen zum gegenwärtigen Zeitpunkt zudem eine grundständige Strukturkodierung (Briefe, Tagebucheinträge, Kopfzeilen, Absätze, Seiten- und Zeilenwechsel) und eine TEI-konforme Auszeichnung grundlegender formal-textkritischer Phänomene (Hervorhebungen, Autorkorrekturen, editorische Konjekturen, Unlesbarkeiten, Abkürzungen mit Auflösungen). Abweichungen der zeitgenössische Abschrift vom originalen Autographen wurden bis dato nicht erfasst. Topographische Informationen der Autorkorrekturen wurden erfasst. Einrückungen am Zeilenbeginn und innerhalb von Zeilen wurden nicht wiedergegeben. Horizontale Leerräume wurden nicht genau, sondern als einfache Leerzeilen wiedergegeben. Für bisher 49 der insgesamt 71 Briefe wurden zudem die darin erwähnten inhaltlich-semantischen Entitäten (Personen/Körperschaften, Gruppen, Geografika, Ereignisse und Objekte (z.B. Bücher, Gebäude, Statuen, Karten, Gemälde etc.)) kodiert und unter Nutzung von GND-Verweisen identifiziert. Ein entsprechendes Register finden Sie auf Github, dort sind auch sämtliche Daten der Edition zu diesem Werk publiziert. Bogensignaturen: keine Angabe; Druckfehler: keine Angabe; fremdsprachliches Material: nicht markiert; Geminations-/Abkürzungsstriche: mnarkiert, expandiert; Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht markiert; i/j in Fraktur: Lautwert transkribiert; I/J in Fraktur: Lautwert transkribiert; Kolumnentitel: keine Angabe; Kustoden: keine Angabe; langes s (ſ): als s transkribiert; Normalisierungen: keine; rundes r (ꝛ): als r/et transkribiert; Seitenumbrüche markiert: ja; Silbentrennung: wie Vorlage; u/v bzw. U/V: Lautwert transkribiert; Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert; Vollständigkeit: vollständig erfasst; Zeichensetzung: DTABf-getreu; Zeilenumbrüche markiert: ja;
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