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Glück, Christian Friedrich von: Versuch einer ausführlichen Erläuterung der Pandecten nach Hellfeld ein Commentar für meine Zuhörer. Erlangen, 1790.

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1. Buch. 1. Tit.
gene Unwissenheit weder Glauben noch Aufmerksam-
keit 32). Diese Regel ist hier allgemein, und selbst
die Persohnen, denen sonst die Gesetze in Ansehung
der Unwissenheit des bürgerlichen Rechts einige Nach-
sicht bewilligen, z. B. Frauenzimmer, Soldaten u. d.
können nicht davon ausgenommen werden 33). In-
zwischen ist jedoch hierbey alles richterliche Ermessen
nicht auszuschliessen, sondern es kann unterweilen die
vorgeschüzte Unwissenheit allerdings sodann zu einer
Entschuldigung gereichen, und, wenn insonderheit
von Strafgesetzen die Rede ist, eine Milderung der
Strafe bewirken, wenn sie durch wahrscheinliche
Gründe bestärkt und unterstüzt werden kann. Dahin
gehört, wenn der Verbrecher zu der Zeit, da das
Gesez publicirt worden, vielleicht lange Zeit abwesend
gewesen seyn solte; oder erst neulich das Bürgerrecht
an einem Orte erhalten habe; oder Beispiele vorhan-
den seyn möchten, daß die Strenge des Gesetzes
nicht angewendet worden; oder wenn überhaupt der
Inhalt des Gesetzes von dergleichen Art von Leuten,
als der Uebertreter desselben ist, nicht leicht hat ge-
faßt werden können, z. B. wenn der Mensch von
Natur stupide ist. Was nun im Gegentheil die
Fremden anbelangt, so vermuthet man zwar nach
der Regel, daß sie die Gesetze des Orts, wo sie
sich
32) Und zwar theils ob L. 12. C. de iur. et fact. ignorant.
theils ob supinam, qua id ius facile cognoscere po-
tuerunt, ignorantiam,
wie de boehmer ad Carpzovium
P. III. Qu. 149. Obs.
4. S. 150. sagt. Siehe auch ley-
ser
Sp. 289. medit.
6.
33) Man vergleiche hier des H. Prof. Webers Abh. über
die Proceskosten, deren Vergütung
und Com-
pensation
. §. 8. und gaertner in meditat. pra-
cticis ad Pandect
. meditat.
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1. Buch. 1. Tit.
gene Unwiſſenheit weder Glauben noch Aufmerkſam-
keit 32). Dieſe Regel iſt hier allgemein, und ſelbſt
die Perſohnen, denen ſonſt die Geſetze in Anſehung
der Unwiſſenheit des buͤrgerlichen Rechts einige Nach-
ſicht bewilligen, z. B. Frauenzimmer, Soldaten u. d.
koͤnnen nicht davon ausgenommen werden 33). In-
zwiſchen iſt jedoch hierbey alles richterliche Ermeſſen
nicht auszuſchlieſſen, ſondern es kann unterweilen die
vorgeſchuͤzte Unwiſſenheit allerdings ſodann zu einer
Entſchuldigung gereichen, und, wenn inſonderheit
von Strafgeſetzen die Rede iſt, eine Milderung der
Strafe bewirken, wenn ſie durch wahrſcheinliche
Gruͤnde beſtaͤrkt und unterſtuͤzt werden kann. Dahin
gehoͤrt, wenn der Verbrecher zu der Zeit, da das
Geſez publicirt worden, vielleicht lange Zeit abweſend
geweſen ſeyn ſolte; oder erſt neulich das Buͤrgerrecht
an einem Orte erhalten habe; oder Beiſpiele vorhan-
den ſeyn moͤchten, daß die Strenge des Geſetzes
nicht angewendet worden; oder wenn uͤberhaupt der
Inhalt des Geſetzes von dergleichen Art von Leuten,
als der Uebertreter deſſelben iſt, nicht leicht hat ge-
faßt werden koͤnnen, z. B. wenn der Menſch von
Natur ſtupide iſt. Was nun im Gegentheil die
Fremden anbelangt, ſo vermuthet man zwar nach
der Regel, daß ſie die Geſetze des Orts, wo ſie
ſich
32) Und zwar theils ob L. 12. C. de iur. et fact. ignorant.
theils ob ſupinam, qua id ius facile cognoſcere po-
tuerunt, ignorantiam,
wie de boehmer ad Carpzovium
P. III. Qu. 149. Obſ.
4. S. 150. ſagt. Siehe auch ley-
ser
Sp. 289. medit.
6.
33) Man vergleiche hier des H. Prof. Webers Abh. uͤber
die Proceskoſten, deren Verguͤtung
und Com-
penſation
. §. 8. und gaertner in meditat. pra-
cticis ad Pandect
. meditat.
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[136/0156] 1. Buch. 1. Tit. gene Unwiſſenheit weder Glauben noch Aufmerkſam- keit 32). Dieſe Regel iſt hier allgemein, und ſelbſt die Perſohnen, denen ſonſt die Geſetze in Anſehung der Unwiſſenheit des buͤrgerlichen Rechts einige Nach- ſicht bewilligen, z. B. Frauenzimmer, Soldaten u. d. koͤnnen nicht davon ausgenommen werden 33). In- zwiſchen iſt jedoch hierbey alles richterliche Ermeſſen nicht auszuſchlieſſen, ſondern es kann unterweilen die vorgeſchuͤzte Unwiſſenheit allerdings ſodann zu einer Entſchuldigung gereichen, und, wenn inſonderheit von Strafgeſetzen die Rede iſt, eine Milderung der Strafe bewirken, wenn ſie durch wahrſcheinliche Gruͤnde beſtaͤrkt und unterſtuͤzt werden kann. Dahin gehoͤrt, wenn der Verbrecher zu der Zeit, da das Geſez publicirt worden, vielleicht lange Zeit abweſend geweſen ſeyn ſolte; oder erſt neulich das Buͤrgerrecht an einem Orte erhalten habe; oder Beiſpiele vorhan- den ſeyn moͤchten, daß die Strenge des Geſetzes nicht angewendet worden; oder wenn uͤberhaupt der Inhalt des Geſetzes von dergleichen Art von Leuten, als der Uebertreter deſſelben iſt, nicht leicht hat ge- faßt werden koͤnnen, z. B. wenn der Menſch von Natur ſtupide iſt. Was nun im Gegentheil die Fremden anbelangt, ſo vermuthet man zwar nach der Regel, daß ſie die Geſetze des Orts, wo ſie ſich 32) Und zwar theils ob L. 12. C. de iur. et fact. ignorant. theils ob ſupinam, qua id ius facile cognoſcere po- tuerunt, ignorantiam, wie de boehmer ad Carpzovium P. III. Qu. 149. Obſ. 4. S. 150. ſagt. Siehe auch ley- ser Sp. 289. medit. 6. 33) Man vergleiche hier des H. Prof. Webers Abh. uͤber die Proceskoſten, deren Verguͤtung und Com- penſation. §. 8. und gaertner in meditat. pra- cticis ad Pandect. meditat. 10

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Zitationshilfe: Glück, Christian Friedrich von: Versuch einer ausführlichen Erläuterung der Pandecten nach Hellfeld ein Commentar für meine Zuhörer. Erlangen, 1790, S. 136. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/glueck_pandecten01_1790/156>, abgerufen am 24.11.2024.