Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Glück, Christian Friedrich von: Versuch einer ausführlichen Erläuterung der Pandecten nach Hellfeld ein Commentar für meine Zuhörer. Erlangen, 1790.

Bild:
<< vorherige Seite

1. Buch. 1. Tit.
kel, sondern ist auch in manchem Betracht sehr unzu-
länglich, und überhaupt unserm heutigen Rechtssystem
nicht mehr angemessen, indem die Römischen Juristen
in den oben angeführten Gesetzstellen nach Maßgabe des
Begrifs, welchen sie sich von einer Verbindlichkeit mach-
ten, bey Bestimmung der Entstehungsart derselben nur
lediglich die Quellen solcher Verbindlichkeiten angegeben,
welche würklich in den Gerichten eine Klage hervorbringen,
und daher der Verträge nicht erwähnen, weil aus
Verträgen an sich bey den Römern keine Klage ent-
stand 43). Wollen wir also eine vollständige Theorie
von den Entstehungsgründen der Verbindlichkeiten for-
miren, welche unserm heut zu Tage gangbaren Rechts-
system angemessen ist, so muß es meiner Meinung nach
auf folgende Art geschehen:

Verbindlichkeiten rühren entweder unmittelbar aus
Gesetzen her, oder sie gründen sich zunächst auf obliga-
torische Handlungen. Jene werden unmittelbare
Verbindlichkeiten (Obligationes immediatae seu ex legi-
bus
) diese aber mittelbare Verbindlichkeiten genennt.

Leztere sind nach Verschiedenheit der Handlungen,
die den nächsten Grund davon ausmachen, wiederum
mancherley und folgendergestalt näher zu bestimmen.

Sie entstehen entweder aus erlaubten, oder aus
unerlaubten Handlungen. Ist das erstere, so bestehen
diese entweder in einem acceptirten Versprechen, oder
in andern Arten erlaubter Handlungen. In ersterm
Fall haben wir Verbindlichkeiten aus den Ver-

trä-
43) Warum die Röm. Rechtsgelehrten die Hauptsumme der
bürgerlich vollkommenen Verbindlichkeiten, da wo keine
unerlaubte Handlung vorlag, auf Kontracte reducirt ha-
ben? hat Prof. Weber im angef. Buch. 1. Abth.
§. 8. vortreflich gezeigt.

1. Buch. 1. Tit.
kel, ſondern iſt auch in manchem Betracht ſehr unzu-
laͤnglich, und uͤberhaupt unſerm heutigen Rechtsſyſtem
nicht mehr angemeſſen, indem die Roͤmiſchen Juriſten
in den oben angefuͤhrten Geſetzſtellen nach Maßgabe des
Begrifs, welchen ſie ſich von einer Verbindlichkeit mach-
ten, bey Beſtimmung der Entſtehungsart derſelben nur
lediglich die Quellen ſolcher Verbindlichkeiten angegeben,
welche wuͤrklich in den Gerichten eine Klage hervorbringen,
und daher der Vertraͤge nicht erwaͤhnen, weil aus
Vertraͤgen an ſich bey den Roͤmern keine Klage ent-
ſtand 43). Wollen wir alſo eine vollſtaͤndige Theorie
von den Entſtehungsgruͤnden der Verbindlichkeiten for-
miren, welche unſerm heut zu Tage gangbaren Rechts-
ſyſtem angemeſſen iſt, ſo muß es meiner Meinung nach
auf folgende Art geſchehen:

Verbindlichkeiten ruͤhren entweder unmittelbar aus
Geſetzen her, oder ſie gruͤnden ſich zunaͤchſt auf obliga-
toriſche Handlungen. Jene werden unmittelbare
Verbindlichkeiten (Obligationes immediatae ſeu ex legi-
bus
) dieſe aber mittelbare Verbindlichkeiten genennt.

Leztere ſind nach Verſchiedenheit der Handlungen,
die den naͤchſten Grund davon ausmachen, wiederum
mancherley und folgendergeſtalt naͤher zu beſtimmen.

Sie entſtehen entweder aus erlaubten, oder aus
unerlaubten Handlungen. Iſt das erſtere, ſo beſtehen
dieſe entweder in einem acceptirten Verſprechen, oder
in andern Arten erlaubter Handlungen. In erſterm
Fall haben wir Verbindlichkeiten aus den Ver-

traͤ-
43) Warum die Roͤm. Rechtsgelehrten die Hauptſumme der
buͤrgerlich vollkommenen Verbindlichkeiten, da wo keine
unerlaubte Handlung vorlag, auf Kontracte reducirt ha-
ben? hat Prof. Weber im angef. Buch. 1. Abth.
§. 8. vortreflich gezeigt.
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <div n="3">
            <p><pb facs="#f0052" n="32"/><fw place="top" type="header"><hi rendition="#fr">1. Buch. 1. Tit.</hi></fw><lb/>
kel, &#x017F;ondern i&#x017F;t auch in manchem Betracht &#x017F;ehr unzu-<lb/>
la&#x0364;nglich, und u&#x0364;berhaupt un&#x017F;erm heutigen Rechts&#x017F;y&#x017F;tem<lb/>
nicht mehr angeme&#x017F;&#x017F;en, indem die Ro&#x0364;mi&#x017F;chen Juri&#x017F;ten<lb/>
in den oben angefu&#x0364;hrten Ge&#x017F;etz&#x017F;tellen nach Maßgabe des<lb/>
Begrifs, welchen &#x017F;ie &#x017F;ich von einer Verbindlichkeit mach-<lb/>
ten, bey Be&#x017F;timmung der Ent&#x017F;tehungsart der&#x017F;elben nur<lb/>
lediglich die Quellen &#x017F;olcher Verbindlichkeiten angegeben,<lb/>
welche wu&#x0364;rklich in den Gerichten eine Klage hervorbringen,<lb/>
und daher der <hi rendition="#g">Vertra&#x0364;ge</hi> nicht erwa&#x0364;hnen, weil aus<lb/>
Vertra&#x0364;gen an &#x017F;ich bey den Ro&#x0364;mern keine Klage ent-<lb/>
&#x017F;tand <note place="foot" n="43)">Warum die Ro&#x0364;m. Rechtsgelehrten die Haupt&#x017F;umme der<lb/>
bu&#x0364;rgerlich vollkommenen Verbindlichkeiten, da wo keine<lb/>
unerlaubte Handlung vorlag, auf Kontracte reducirt ha-<lb/>
ben? hat Prof. Weber <hi rendition="#g">im angef. Buch. 1. Abth.</hi><lb/>
§. 8. vortreflich gezeigt.</note>. Wollen wir al&#x017F;o eine voll&#x017F;ta&#x0364;ndige Theorie<lb/>
von den Ent&#x017F;tehungsgru&#x0364;nden der Verbindlichkeiten for-<lb/>
miren, welche un&#x017F;erm heut zu Tage gangbaren Rechts-<lb/>
&#x017F;y&#x017F;tem angeme&#x017F;&#x017F;en i&#x017F;t, &#x017F;o muß es meiner Meinung nach<lb/>
auf folgende Art ge&#x017F;chehen:</p><lb/>
            <p>Verbindlichkeiten ru&#x0364;hren entweder unmittelbar aus<lb/>
Ge&#x017F;etzen her, oder &#x017F;ie gru&#x0364;nden &#x017F;ich zuna&#x0364;ch&#x017F;t auf obliga-<lb/>
tori&#x017F;che Handlungen. Jene werden <hi rendition="#g">unmittelbare</hi><lb/>
Verbindlichkeiten (<hi rendition="#i"><hi rendition="#aq">Obligationes immediatae &#x017F;eu ex legi-<lb/>
bus</hi></hi>) die&#x017F;e aber <hi rendition="#g">mittelbare</hi> Verbindlichkeiten genennt.</p><lb/>
            <p>Leztere &#x017F;ind nach Ver&#x017F;chiedenheit der Handlungen,<lb/>
die den na&#x0364;ch&#x017F;ten Grund davon ausmachen, wiederum<lb/>
mancherley und folgenderge&#x017F;talt na&#x0364;her zu be&#x017F;timmen.</p><lb/>
            <p>Sie ent&#x017F;tehen entweder aus erlaubten, oder aus<lb/>
unerlaubten Handlungen. I&#x017F;t das er&#x017F;tere, &#x017F;o be&#x017F;tehen<lb/>
die&#x017F;e entweder in einem acceptirten Ver&#x017F;prechen, oder<lb/>
in andern Arten erlaubter Handlungen. In er&#x017F;term<lb/>
Fall haben wir <hi rendition="#g">Verbindlichkeiten aus den Ver-</hi><lb/>
<fw place="bottom" type="catch"><hi rendition="#g">tra&#x0364;-</hi></fw><lb/></p>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[32/0052] 1. Buch. 1. Tit. kel, ſondern iſt auch in manchem Betracht ſehr unzu- laͤnglich, und uͤberhaupt unſerm heutigen Rechtsſyſtem nicht mehr angemeſſen, indem die Roͤmiſchen Juriſten in den oben angefuͤhrten Geſetzſtellen nach Maßgabe des Begrifs, welchen ſie ſich von einer Verbindlichkeit mach- ten, bey Beſtimmung der Entſtehungsart derſelben nur lediglich die Quellen ſolcher Verbindlichkeiten angegeben, welche wuͤrklich in den Gerichten eine Klage hervorbringen, und daher der Vertraͤge nicht erwaͤhnen, weil aus Vertraͤgen an ſich bey den Roͤmern keine Klage ent- ſtand 43). Wollen wir alſo eine vollſtaͤndige Theorie von den Entſtehungsgruͤnden der Verbindlichkeiten for- miren, welche unſerm heut zu Tage gangbaren Rechts- ſyſtem angemeſſen iſt, ſo muß es meiner Meinung nach auf folgende Art geſchehen: Verbindlichkeiten ruͤhren entweder unmittelbar aus Geſetzen her, oder ſie gruͤnden ſich zunaͤchſt auf obliga- toriſche Handlungen. Jene werden unmittelbare Verbindlichkeiten (Obligationes immediatae ſeu ex legi- bus) dieſe aber mittelbare Verbindlichkeiten genennt. Leztere ſind nach Verſchiedenheit der Handlungen, die den naͤchſten Grund davon ausmachen, wiederum mancherley und folgendergeſtalt naͤher zu beſtimmen. Sie entſtehen entweder aus erlaubten, oder aus unerlaubten Handlungen. Iſt das erſtere, ſo beſtehen dieſe entweder in einem acceptirten Verſprechen, oder in andern Arten erlaubter Handlungen. In erſterm Fall haben wir Verbindlichkeiten aus den Ver- traͤ- 43) Warum die Roͤm. Rechtsgelehrten die Hauptſumme der buͤrgerlich vollkommenen Verbindlichkeiten, da wo keine unerlaubte Handlung vorlag, auf Kontracte reducirt ha- ben? hat Prof. Weber im angef. Buch. 1. Abth. §. 8. vortreflich gezeigt.

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/glueck_pandecten01_1790
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/glueck_pandecten01_1790/52
Zitationshilfe: Glück, Christian Friedrich von: Versuch einer ausführlichen Erläuterung der Pandecten nach Hellfeld ein Commentar für meine Zuhörer. Erlangen, 1790, S. 32. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/glueck_pandecten01_1790/52>, abgerufen am 24.11.2024.