Glück, Christian Friedrich von: Versuch einer ausführlichen Erläuterung der Pandecten nach Hellfeld ein Commentar für meine Zuhörer. Erlangen, 1790.1. Buch. 1. Tit. Liebespflichten genennet 47). Daß diese Einthei-lung an sich gegründet sey, wird kein Vernünftiger läugnen, oder man müste behaupten, daß entweder al- le Pflichten ohne Unterschied erzwingbar, oder daß alle ohne Unterschied unvollkommene wären, welches beydes gleich lächerlich seyn würde. Wichtiger noch ist die Frage, welches die Quellen sind, woraus vollkommene Verbindlichkeiten entspringen? ich werde mich hiebey blos auf das positive Recht einschränken, um jenem Streit auszuweichen, welchen man hierüber im Natur- recht erhoben hat. Daß man, um vollkommene Verbind- lichkeiten von den unvollkommenen zu unterscheiden, nicht immer den Gegenstand derselben zum Augenmerk machen dürfe, wird mir, wie ich hoffe, ein jeder gern zugeben. Denn es kann ohne Zweifel durch Verträge, Vermächt- nisse und andere dergleichen Privatdispositionen etwas in Zwangspflicht verwandelt werden, was an sich nur Liebespflicht ist. Doch ich will noch allgemeiner davon handeln und diesen Gegenstand als Wirkung der posi- tiven Gesetze betrachten, welche hin und wieder dasje- nige, was an sich nur unerzwingliche Pflicht der Men- schenliebe seyn würde, als wirkliche Zwangspflicht be- handelt wissen wollen. Unsere Gesetzbücher enthalten genug Fälle, welche dieses ausser allen Zweifel setzen. Ist nicht zum Beispiel die Pflicht, eines Unmündigen Vormund zu seyn, ausser dem Staat Liebespflicht; nach Römischen Rechten aber erzwingbare Schuldig- 48) keit? 47) Wenn Paulus in L. 17. §. 3. D. commod. sagt, quod quaedam voluntatis et officii magis quam necessitatis sint, so zielet er unstreitig auf diesen Unterschied. 48) Die neuesten Schriften des Herrn von Reinhards,
und Herrn Oberappellations-Raths Höpfners sind ohne mein Anführen schon bekannt. 1. Buch. 1. Tit. Liebespflichten genennet 47). Daß dieſe Einthei-lung an ſich gegruͤndet ſey, wird kein Vernuͤnftiger laͤugnen, oder man muͤſte behaupten, daß entweder al- le Pflichten ohne Unterſchied erzwingbar, oder daß alle ohne Unterſchied unvollkommene waͤren, welches beydes gleich laͤcherlich ſeyn wuͤrde. Wichtiger noch iſt die Frage, welches die Quellen ſind, woraus vollkommene Verbindlichkeiten entſpringen? ich werde mich hiebey blos auf das poſitive Recht einſchraͤnken, um jenem Streit auszuweichen, welchen man hieruͤber im Natur- recht erhoben hat. Daß man, um vollkommene Verbind- lichkeiten von den unvollkommenen zu unterſcheiden, nicht immer den Gegenſtand derſelben zum Augenmerk machen duͤrfe, wird mir, wie ich hoffe, ein jeder gern zugeben. Denn es kann ohne Zweifel durch Vertraͤge, Vermaͤcht- niſſe und andere dergleichen Privatdispoſitionen etwas in Zwangspflicht verwandelt werden, was an ſich nur Liebespflicht iſt. Doch ich will noch allgemeiner davon handeln und dieſen Gegenſtand als Wirkung der poſi- tiven Geſetze betrachten, welche hin und wieder dasje- nige, was an ſich nur unerzwingliche Pflicht der Men- ſchenliebe ſeyn wuͤrde, als wirkliche Zwangspflicht be- handelt wiſſen wollen. Unſere Geſetzbuͤcher enthalten genug Faͤlle, welche dieſes auſſer allen Zweifel ſetzen. Iſt nicht zum Beiſpiel die Pflicht, eines Unmuͤndigen Vormund zu ſeyn, auſſer dem Staat Liebespflicht; nach Roͤmiſchen Rechten aber erzwingbare Schuldig- 48) keit? 47) Wenn Paulus in L. 17. §. 3. D. commod. ſagt, quod quaedam voluntatis et officii magis quam neceſſitatis ſint, ſo zielet er unſtreitig auf dieſen Unterſchied. 48) Die neueſten Schriften des Herrn von Reinhards,
und Herrn Oberappellations-Raths Hoͤpfners ſind ohne mein Anfuͤhren ſchon bekannt. <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <div n="3"> <p><pb facs="#f0058" n="38"/><fw place="top" type="header"><hi rendition="#fr">1. Buch. 1. Tit.</hi></fw><lb/><hi rendition="#g">Liebespflichten</hi> genennet <note place="foot" n="47)">Wenn Paulus <hi rendition="#aq">in <hi rendition="#i">L. 17.</hi> §. <hi rendition="#i">3. D. commod.</hi></hi> ſagt, <hi rendition="#aq">quod<lb/> quaedam <hi rendition="#i">voluntatis et officii</hi> magis quam <hi rendition="#i">neceſſitatis</hi> ſint,</hi><lb/> ſo zielet er unſtreitig auf dieſen Unterſchied.</note>. Daß dieſe Einthei-<lb/> lung an ſich gegruͤndet ſey, wird kein Vernuͤnftiger<lb/> laͤugnen, oder man muͤſte behaupten, daß entweder al-<lb/> le Pflichten ohne Unterſchied erzwingbar, oder daß alle<lb/> ohne Unterſchied unvollkommene waͤren, welches beydes<lb/> gleich laͤcherlich ſeyn wuͤrde. Wichtiger noch iſt die<lb/> Frage, welches die Quellen ſind, woraus vollkommene<lb/> Verbindlichkeiten entſpringen? ich werde mich hiebey<lb/> blos auf das poſitive Recht einſchraͤnken, um jenem<lb/> Streit auszuweichen, welchen man hieruͤber im Natur-<lb/> recht erhoben hat. Daß man, um vollkommene Verbind-<lb/> lichkeiten von den unvollkommenen zu unterſcheiden, nicht<lb/> immer den Gegenſtand derſelben zum Augenmerk machen<lb/> duͤrfe, wird mir, wie ich hoffe, ein jeder gern zugeben.<lb/> Denn es kann ohne Zweifel durch Vertraͤge, Vermaͤcht-<lb/> niſſe und andere dergleichen Privatdispoſitionen etwas<lb/> in Zwangspflicht verwandelt werden, was an ſich nur<lb/> Liebespflicht iſt. Doch ich will noch allgemeiner davon<lb/> handeln und dieſen Gegenſtand als Wirkung der poſi-<lb/> tiven Geſetze betrachten, welche hin und wieder dasje-<lb/> nige, was an ſich nur unerzwingliche Pflicht der Men-<lb/> ſchenliebe ſeyn wuͤrde, als wirkliche Zwangspflicht be-<lb/> handelt wiſſen wollen. Unſere Geſetzbuͤcher enthalten<lb/> genug Faͤlle, welche dieſes auſſer allen Zweifel ſetzen.<lb/> Iſt nicht zum Beiſpiel die Pflicht, eines Unmuͤndigen<lb/> Vormund zu ſeyn, auſſer dem Staat Liebespflicht;<lb/> nach Roͤmiſchen Rechten aber erzwingbare Schuldig-<lb/> <fw place="bottom" type="catch">keit?</fw><lb/><note place="foot" n="48)">Die neueſten Schriften des Herrn von <hi rendition="#fr">Reinhards,</hi><lb/> und Herrn Oberappellations-Raths <hi rendition="#fr">Hoͤpfners</hi> ſind ohne<lb/> mein Anfuͤhren ſchon bekannt.</note><lb/></p> </div> </div> </div> </body> </text> </TEI> [38/0058]
1. Buch. 1. Tit.
Liebespflichten genennet 47). Daß dieſe Einthei-
lung an ſich gegruͤndet ſey, wird kein Vernuͤnftiger
laͤugnen, oder man muͤſte behaupten, daß entweder al-
le Pflichten ohne Unterſchied erzwingbar, oder daß alle
ohne Unterſchied unvollkommene waͤren, welches beydes
gleich laͤcherlich ſeyn wuͤrde. Wichtiger noch iſt die
Frage, welches die Quellen ſind, woraus vollkommene
Verbindlichkeiten entſpringen? ich werde mich hiebey
blos auf das poſitive Recht einſchraͤnken, um jenem
Streit auszuweichen, welchen man hieruͤber im Natur-
recht erhoben hat. Daß man, um vollkommene Verbind-
lichkeiten von den unvollkommenen zu unterſcheiden, nicht
immer den Gegenſtand derſelben zum Augenmerk machen
duͤrfe, wird mir, wie ich hoffe, ein jeder gern zugeben.
Denn es kann ohne Zweifel durch Vertraͤge, Vermaͤcht-
niſſe und andere dergleichen Privatdispoſitionen etwas
in Zwangspflicht verwandelt werden, was an ſich nur
Liebespflicht iſt. Doch ich will noch allgemeiner davon
handeln und dieſen Gegenſtand als Wirkung der poſi-
tiven Geſetze betrachten, welche hin und wieder dasje-
nige, was an ſich nur unerzwingliche Pflicht der Men-
ſchenliebe ſeyn wuͤrde, als wirkliche Zwangspflicht be-
handelt wiſſen wollen. Unſere Geſetzbuͤcher enthalten
genug Faͤlle, welche dieſes auſſer allen Zweifel ſetzen.
Iſt nicht zum Beiſpiel die Pflicht, eines Unmuͤndigen
Vormund zu ſeyn, auſſer dem Staat Liebespflicht;
nach Roͤmiſchen Rechten aber erzwingbare Schuldig-
keit?
48)
47) Wenn Paulus in L. 17. §. 3. D. commod. ſagt, quod
quaedam voluntatis et officii magis quam neceſſitatis ſint,
ſo zielet er unſtreitig auf dieſen Unterſchied.
48) Die neueſten Schriften des Herrn von Reinhards,
und Herrn Oberappellations-Raths Hoͤpfners ſind ohne
mein Anfuͤhren ſchon bekannt.
Suche im WerkInformationen zum Werk
Download dieses Werks
XML (TEI P5) ·
HTML ·
Text Metadaten zum WerkTEI-Header · CMDI · Dublin Core Ansichten dieser Seite
Voyant Tools ?Language Resource Switchboard?FeedbackSie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden. Kommentar zur DTA-AusgabeDieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.
|
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden. Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des § 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
2007–2024 Deutsches Textarchiv, Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften.
Kontakt: redaktion(at)deutschestextarchiv.de. |