Glück, Christian Friedrich von: Versuch einer ausführlichen Erläuterung der Pandecten nach Hellfeld ein Commentar für meine Zuhörer. Erlangen, 1790.de Iustitia et Iure. folglich in einem solchen Falle keine völlige Freyheit dasey. Denn nur da, wo mit völliger Vernunft und Ueberlegung gehandelt wird, ist völlige Freyheit vorhan- den. Daher heißt nun eine Handlung im strengsten Verstande frey 100), welche nach vorhergegangener teiflicher Ueberlegung von jemanden ist unternommen wor- den, der das vollkommene Vermögen hatte, nach sei- nem gegenwärtigen Ideenzustande, das ist, nach dem Maaß seiner Erkänntniß das beste zu wählen 1). Dieses vorausgesezt, so entstehet nun die Frage, ob nur freye Handlungen allein, oder ob nicht auch unfreywillige, nicht freye Handlungen, denen Gesetzen des Staats un- terworfen seyn können? Man möchte letzteres beynahe glauben, wenn man beym Marcian in L. 2. D. de Legib. ließt, was der Redner Demosthen vom Ge- sez sagt: Lex est -- coercitio eorum, quae sponte, vel involuntarie delinquuntur. Was Wunder nun, wenn einige Rechtsgelehrte behauptet haben, daß ein Rasender zwar nicht bestraft werden könne, aber doch zur Vergütung des Schadens, den er angerichtet, aller- dings verbunden sey 2), sie meinen, daß dem Beschä- digten 100) Ist von Verbrechen die Rede, die mit solcher Ueb[er-] legung und völligen Freyheit sind verübet worden, so [ge]- brauchen unsere peinl. Rechte die Ausdrücke: fürsez[lich], muthwillig, geflissen. S. Peinl. Gerichtsord[nu]ng Carls des V. Art. 137. und 159. 1) S. Mart. Ehlers über die Lehre von der m[e]nsch- lichen Freyheit. (Dessau.) Höpfners Natur[r]echt. §. 3. u. 4. und Hofr. Feders Untersuchungen ü[be]r den menschlichen Willen. 2te Auflage. 2) Dies behaupten mencke ad Pandect. Li[b]. XLVII. Tit. 1. §. 14. schaumburg Compend. D[i]gestor. Lib. IX. Tit. 1. §. 3. schmidt Instit. iur. [c]iv. §. 423. hommel Rhapsod. Quaest. Obs 567. [vo]n Tevenar Versuch über die Rechtsgelahrheit[.] S. 58. E 4
de Iuſtitia et Iure. folglich in einem ſolchen Falle keine voͤllige Freyheit daſey. Denn nur da, wo mit voͤlliger Vernunft und Ueberlegung gehandelt wird, iſt voͤllige Freyheit vorhan- den. Daher heißt nun eine Handlung im ſtrengſten Verſtande frey 100), welche nach vorhergegangener teiflicher Ueberlegung von jemanden iſt unternommen wor- den, der das vollkommene Vermoͤgen hatte, nach ſei- nem gegenwaͤrtigen Ideenzuſtande, das iſt, nach dem Maaß ſeiner Erkaͤnntniß das beſte zu waͤhlen 1). Dieſes vorausgeſezt, ſo entſtehet nun die Frage, ob nur freye Handlungen allein, oder ob nicht auch unfreywillige, nicht freye Handlungen, denen Geſetzen des Staats un- terworfen ſeyn koͤnnen? Man moͤchte letzteres beynahe glauben, wenn man beym Marcian in L. 2. D. de Legib. ließt, was der Redner Demoſthen vom Ge- ſez ſagt: Lex eſt — coërcitio eorum, quae ſponte, vel involuntarie delinquuntur. Was Wunder nun, wenn einige Rechtsgelehrte behauptet haben, daß ein Raſender zwar nicht beſtraft werden koͤnne, aber doch zur Verguͤtung des Schadens, den er angerichtet, aller- dings verbunden ſey 2), ſie meinen, daß dem Beſchaͤ- digten 100) Iſt von Verbrechen die Rede, die mit ſolcher Ueb[er-] legung und voͤlligen Freyheit ſind veruͤbet worden, ſo [ge]- brauchen unſere peinl. Rechte die Ausdruͤcke: fuͤrſez[lich], muthwillig, gefliſſen. S. Peinl. Gerichtsord[nu]ng Carls des V. Art. 137. und 159. 1) S. Mart. Ehlers uͤber die Lehre von der m[e]nſch- lichen Freyheit. (Deſſau.) Hoͤpfners Natur[r]echt. §. 3. u. 4. und Hofr. Feders Unterſuchungen uͤ[be]r den menſchlichen Willen. 2te Auflage. 2) Dies behaupten mencke ad Pandect. Li[b]. XLVII. Tit. 1. §. 14. schaumburg Compend. D[i]geſtor. Lib. IX. Tit. 1. §. 3. schmidt Inſtit. iur. [c]iv. §. 423. hommel Rhapſod. Quaeſt. Obſ 567. [vo]n Tevenar Verſuch uͤber die Rechtsgelahrheit[.] S. 58. E 4
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den. Daher heißt nun eine Handlung im ſtrengſten
Verſtande frey 100), welche nach vorhergegangener
teiflicher Ueberlegung von jemanden iſt unternommen wor-
den, der das vollkommene Vermoͤgen hatte, nach ſei-
nem gegenwaͤrtigen Ideenzuſtande, das iſt, nach dem
Maaß ſeiner Erkaͤnntniß das beſte zu waͤhlen 1). Dieſes
vorausgeſezt, ſo entſtehet nun die Frage, ob nur freye
Handlungen allein, oder ob nicht auch unfreywillige,
nicht freye Handlungen, denen Geſetzen des Staats un-
terworfen ſeyn koͤnnen? Man moͤchte letzteres beynahe
glauben, wenn man beym Marcian in L. 2. D. de
Legib. ließt, was der Redner Demoſthen vom Ge-
ſez ſagt: Lex eſt — coërcitio eorum, quae ſponte,
vel involuntarie delinquuntur. Was Wunder nun,
wenn einige Rechtsgelehrte behauptet haben, daß ein
Raſender zwar nicht beſtraft werden koͤnne, aber doch
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100) Iſt von Verbrechen die Rede, die mit ſolcher Ueber-
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muthwillig, gefliſſen. S. Peinl. Gerichtsordnung
Carls des V. Art. 137. und 159.
1) S. Mart. Ehlers uͤber die Lehre von der menſch-
lichen Freyheit. (Deſſau.) Hoͤpfners Naturrecht.
§. 3. u. 4. und Hofr. Feders Unterſuchungen uͤber den
menſchlichen Willen. 2te Auflage.
2) Dies behaupten mencke ad Pandect. Lib. XLVII.
Tit. 1. §. 14. schaumburg Compend. Digeſtor.
Lib. IX. Tit. 1. §. 3. schmidt Inſtit. iur. civ. §. 423.
hommel Rhapſod. Quaeſt. Obſ 567. von Tevenar
Verſuch uͤber die Rechtsgelahrheit. S. 58.
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