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Glück, Christian Friedrich von: Verbesserungen und Zusätze zum ersten Bande des Glückischen Kommentars über die Pandecten. Für die Besitzer der ersten Ausgabe. Erlangen, 1798.

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bindlichkeit, es muß folglich die Handlung selbst, insofern es ihr
an dieser Form fehlt, ohne rechtliche Wirkung seyn. Man stelle
sich z. B. den Fall vor, daß ein Gesetz die schriftliche Errichtung
bey einer gewissen Art der Verträge dergestalt befohlen hätte,
daß in Ermangelung eines schriftlichen Aufsatzes der ganze Ver-
trag unverbindlich seyn solle. Ist hingegen das letztere, so läßt
sich nicht behaupten, daß die Handlung darum nichtig sey, weil
die vorgeschriebene Form nicht beobachtet worden ist 8). Z. B.
wenn die Gesetze vorschreiben, daß vor der Trauung die Pro-
clamation geschehen solle, so ziehet deswegen doch die Unter-
lassung derselben an und für sich die Nichtigkeit der Ehe keines-
weges nach sich, wenn ihr sonst kein Hinderniß entgegenstehet 9).
Wenn ferner nach den Landesgesetzen Contracte über unbeweg-
liche Güter gerichtlich bestätiget werden sollen, so ist doch der
geschlossene Contract an sich selbst, auch vor erfolgter Bestäti-
gung, unter den Contrahenten wenigstens soweit verbindlich, daß
auf die Bestätigung geklagt werden kann 10). Da übrigens
Keinem die Nichtbefolgung einer gesetzlichen Vorschrift zur Last
gelegt werden kann, der solche entweder nicht gewußt, auch nicht
wissen können, oder dem es wenigstens, ohne seine Schuld,
schlechterdings unmöglich war, dieselbe zu beobachten; so er-
fordert es die Billigkeit, unter solchen Umständen, des in An-

sehung
8) Mit diesen Grundsätzen des gemeinen Rechts stimmt auch das
allgemeine Gesetzbuch für die preußischen Staa-
ten
überein, in welchem es Th. 1. Tit. 3. §. 40. heißt: Aus
Verabsäumung der gesetzlichen Form einer Handlung folgt die
Nichtigkeit derselben nur alsdann, wenn das Gesetz die
Beobachtung dieser Form zur Gültigkeit der
Handlung ausdrücklich erfordert
. -- §. 41. Im
zweifelhaften Falle wird vermuthet, daß die Form einer Hand-
lung nur zur mehrern Gewißheit und Beglaubigung
derselben
vorgeschrieben worden.
9) S. Ge. Lud. boehmer Princip. iur. canon. §. 355. et 356.
in fin.
10) Rundens Grundsätze des allgemeinen teutschen Privat-
rechts §. 260.

bindlichkeit, es muß folglich die Handlung ſelbſt, inſofern es ihr
an dieſer Form fehlt, ohne rechtliche Wirkung ſeyn. Man ſtelle
ſich z. B. den Fall vor, daß ein Geſetz die ſchriftliche Errichtung
bey einer gewiſſen Art der Vertraͤge dergeſtalt befohlen haͤtte,
daß in Ermangelung eines ſchriftlichen Aufſatzes der ganze Ver-
trag unverbindlich ſeyn ſolle. Iſt hingegen das letztere, ſo laͤßt
ſich nicht behaupten, daß die Handlung darum nichtig ſey, weil
die vorgeſchriebene Form nicht beobachtet worden iſt 8). Z. B.
wenn die Geſetze vorſchreiben, daß vor der Trauung die Pro-
clamation geſchehen ſolle, ſo ziehet deswegen doch die Unter-
laſſung derſelben an und fuͤr ſich die Nichtigkeit der Ehe keines-
weges nach ſich, wenn ihr ſonſt kein Hinderniß entgegenſtehet 9).
Wenn ferner nach den Landesgeſetzen Contracte uͤber unbeweg-
liche Guͤter gerichtlich beſtaͤtiget werden ſollen, ſo iſt doch der
geſchloſſene Contract an ſich ſelbſt, auch vor erfolgter Beſtaͤti-
gung, unter den Contrahenten wenigſtens ſoweit verbindlich, daß
auf die Beſtaͤtigung geklagt werden kann 10). Da uͤbrigens
Keinem die Nichtbefolgung einer geſetzlichen Vorſchrift zur Laſt
gelegt werden kann, der ſolche entweder nicht gewußt, auch nicht
wiſſen koͤnnen, oder dem es wenigſtens, ohne ſeine Schuld,
ſchlechterdings unmoͤglich war, dieſelbe zu beobachten; ſo er-
fordert es die Billigkeit, unter ſolchen Umſtaͤnden, des in An-

ſehung
8) Mit dieſen Grundſaͤtzen des gemeinen Rechts ſtimmt auch das
allgemeine Geſetzbuch fuͤr die preußiſchen Staa-
ten
uͤberein, in welchem es Th. 1. Tit. 3. §. 40. heißt: Aus
Verabſaͤumung der geſetzlichen Form einer Handlung folgt die
Nichtigkeit derſelben nur alsdann, wenn das Geſetz die
Beobachtung dieſer Form zur Guͤltigkeit der
Handlung ausdruͤcklich erfordert
. — §. 41. Im
zweifelhaften Falle wird vermuthet, daß die Form einer Hand-
lung nur zur mehrern Gewißheit und Beglaubigung
derſelben
vorgeſchrieben worden.
9) S. Ge. Lud. boehmer Princip. iur. canon. §. 355. et 356.
in fin.
10) Rundens Grundſaͤtze des allgemeinen teutſchen Privat-
rechts §. 260.
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[31/0039] bindlichkeit, es muß folglich die Handlung ſelbſt, inſofern es ihr an dieſer Form fehlt, ohne rechtliche Wirkung ſeyn. Man ſtelle ſich z. B. den Fall vor, daß ein Geſetz die ſchriftliche Errichtung bey einer gewiſſen Art der Vertraͤge dergeſtalt befohlen haͤtte, daß in Ermangelung eines ſchriftlichen Aufſatzes der ganze Ver- trag unverbindlich ſeyn ſolle. Iſt hingegen das letztere, ſo laͤßt ſich nicht behaupten, daß die Handlung darum nichtig ſey, weil die vorgeſchriebene Form nicht beobachtet worden iſt 8). Z. B. wenn die Geſetze vorſchreiben, daß vor der Trauung die Pro- clamation geſchehen ſolle, ſo ziehet deswegen doch die Unter- laſſung derſelben an und fuͤr ſich die Nichtigkeit der Ehe keines- weges nach ſich, wenn ihr ſonſt kein Hinderniß entgegenſtehet 9). Wenn ferner nach den Landesgeſetzen Contracte uͤber unbeweg- liche Guͤter gerichtlich beſtaͤtiget werden ſollen, ſo iſt doch der geſchloſſene Contract an ſich ſelbſt, auch vor erfolgter Beſtaͤti- gung, unter den Contrahenten wenigſtens ſoweit verbindlich, daß auf die Beſtaͤtigung geklagt werden kann 10). Da uͤbrigens Keinem die Nichtbefolgung einer geſetzlichen Vorſchrift zur Laſt gelegt werden kann, der ſolche entweder nicht gewußt, auch nicht wiſſen koͤnnen, oder dem es wenigſtens, ohne ſeine Schuld, ſchlechterdings unmoͤglich war, dieſelbe zu beobachten; ſo er- fordert es die Billigkeit, unter ſolchen Umſtaͤnden, des in An- ſehung 8) Mit dieſen Grundſaͤtzen des gemeinen Rechts ſtimmt auch das allgemeine Geſetzbuch fuͤr die preußiſchen Staa- ten uͤberein, in welchem es Th. 1. Tit. 3. §. 40. heißt: Aus Verabſaͤumung der geſetzlichen Form einer Handlung folgt die Nichtigkeit derſelben nur alsdann, wenn das Geſetz die Beobachtung dieſer Form zur Guͤltigkeit der Handlung ausdruͤcklich erfordert. — §. 41. Im zweifelhaften Falle wird vermuthet, daß die Form einer Hand- lung nur zur mehrern Gewißheit und Beglaubigung derſelben vorgeſchrieben worden. 9) S. Ge. Lud. boehmer Princip. iur. canon. §. 355. et 356. in fin. 10) Rundens Grundſaͤtze des allgemeinen teutſchen Privat- rechts §. 260.

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Zitationshilfe: Glück, Christian Friedrich von: Verbesserungen und Zusätze zum ersten Bande des Glückischen Kommentars über die Pandecten. Für die Besitzer der ersten Ausgabe. Erlangen, 1798, S. 31. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/glueck_pandecten01verbesserungen_1798/39>, abgerufen am 21.11.2024.