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Glück, Christian Friedrich von: Versuch einer ausführlichen Erläuterung der Pandecten nach Hellfeld ein Commentar für meine Zuhörer. Erlangen, 1791.

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1. Buch. 5. Tit. §. 116.
Tages eben so wenig, als die Lehre der Decretalen, daß
ein Eheverlöbniß durch die darauf erfolgte fleischliche Ver-
mischung auch ohne Trauung in eine wahre Ehe verwan-
delt werde 96), statt 97); mithin können Stellen des römi-
schen und kanonischen Rechts, die sich auf jene Lehren
lediglich beziehen, auf unsere Zeiten nicht mehr angewen-
det werden. Es sind auch wirklich die für die gegensei-
rige Meinung angeführte Gesetzstellen dieser letztern Be-
hauptung gar nicht entgegen, sie unterstützen dieselben
vielmehr noch bündiger. Denn in beyden oben angeführ-
ten Texten sowohl dem cap. 12. X. Qui filii sint legitimi
als der L. 22. C. de nupt. liegt der Satz zum Grunde,
daß nur aus gültiger Ehe ein rechtmäsiges Kind gebohren
werde. Es war in beyden Texten die Frage von der
Rechtmäsigkeit der Geburt eines Kindes. Diese hing von
der Gültigkeit der Ehe seiner Eltern ab; und weil diesel-
be durch Zeugen außer allen Zweifel gesetzt werden konn-
te, so wurde für das Kind erkannt. Hier ist also von
keinen Brautkindern die Rede 98). Aber verdient denn

doch
96) Cap. 15. 30. 32. X. de sponsalib.
97) Hr. G. J. R. Böhmer in Princip. iur. canon. §. 362.
not. d.
und Car. Sebast. berardus in Commentar. in ius ec-
cles. univ. Tom. III. (Venet. 1778. 4.) Diss. II. Cap. IV.
Quaest. I.
auch Hofmann im Handbuch des teutschen Ehe-
rechts (Jena 1789.) VIII. Hauptst. §. 72 S. 233.
98) Merkwürdig sind die Worte des cap. 12. cit. receptis testi-
bus a filio eiusdem R. productis, quibus legitime comproba-
vit, praedictum R. matrem suam in capella S. Sergii adfidasse.
Adfidare
gehört zur barbarischen Latinität des mittlern Zeital-
ters, und bedeutet soviel als sich durch Zusage und gegebenes
Wort verbindlich machen. S. lindembrog in Glossario h v. In-
sonderheit aber hieß feminam adfidare in uxorem soviel als einem
Weibe die eheliche Treue versprechen. gonzalez ad cap. 2. X. de
con-

1. Buch. 5. Tit. §. 116.
Tages eben ſo wenig, als die Lehre der Decretalen, daß
ein Eheverloͤbniß durch die darauf erfolgte fleiſchliche Ver-
miſchung auch ohne Trauung in eine wahre Ehe verwan-
delt werde 96), ſtatt 97); mithin koͤnnen Stellen des roͤmi-
ſchen und kanoniſchen Rechts, die ſich auf jene Lehren
lediglich beziehen, auf unſere Zeiten nicht mehr angewen-
det werden. Es ſind auch wirklich die fuͤr die gegenſei-
rige Meinung angefuͤhrte Geſetzſtellen dieſer letztern Be-
hauptung gar nicht entgegen, ſie unterſtuͤtzen dieſelben
vielmehr noch buͤndiger. Denn in beyden oben angefuͤhr-
ten Texten ſowohl dem cap. 12. X. Qui filii ſint legitimi
als der L. 22. C. de nupt. liegt der Satz zum Grunde,
daß nur aus guͤltiger Ehe ein rechtmaͤſiges Kind gebohren
werde. Es war in beyden Texten die Frage von der
Rechtmaͤſigkeit der Geburt eines Kindes. Dieſe hing von
der Guͤltigkeit der Ehe ſeiner Eltern ab; und weil dieſel-
be durch Zeugen außer allen Zweifel geſetzt werden konn-
te, ſo wurde fuͤr das Kind erkannt. Hier iſt alſo von
keinen Brautkindern die Rede 98). Aber verdient denn

doch
96) Cap. 15. 30. 32. X. de ſponſalib.
97) Hr. G. J. R. Boͤhmer in Princip. iur. canon. §. 362.
not. d.
und Car. Sebaſt. berardus in Commentar. in ius ec-
cleſ. univ. Tom. III. (Venet. 1778. 4.) Diſſ. II. Cap. IV.
Quaeſt. I.
auch Hofmann im Handbuch des teutſchen Ehe-
rechts (Jena 1789.) VIII. Hauptſt. §. 72 S. 233.
98) Merkwuͤrdig ſind die Worte des cap. 12. cit. receptis teſti-
bus a filio eiusdem R. productis, quibus legitime comproba-
vit, praedictum R. matrem ſuam in capella S. Sergii adfidaſſe.
Adfidare
gehoͤrt zur barbariſchen Latinitaͤt des mittlern Zeital-
ters, und bedeutet ſoviel als ſich durch Zuſage und gegebenes
Wort verbindlich machen. S. lindembrog in Gloſſario h v. In-
ſonderheit aber hieß feminam adfidare in uxorem ſoviel als einem
Weibe die eheliche Treue verſprechen. gonzalez ad cap. 2. X. de
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[108/0122] 1. Buch. 5. Tit. §. 116. Tages eben ſo wenig, als die Lehre der Decretalen, daß ein Eheverloͤbniß durch die darauf erfolgte fleiſchliche Ver- miſchung auch ohne Trauung in eine wahre Ehe verwan- delt werde 96), ſtatt 97); mithin koͤnnen Stellen des roͤmi- ſchen und kanoniſchen Rechts, die ſich auf jene Lehren lediglich beziehen, auf unſere Zeiten nicht mehr angewen- det werden. Es ſind auch wirklich die fuͤr die gegenſei- rige Meinung angefuͤhrte Geſetzſtellen dieſer letztern Be- hauptung gar nicht entgegen, ſie unterſtuͤtzen dieſelben vielmehr noch buͤndiger. Denn in beyden oben angefuͤhr- ten Texten ſowohl dem cap. 12. X. Qui filii ſint legitimi als der L. 22. C. de nupt. liegt der Satz zum Grunde, daß nur aus guͤltiger Ehe ein rechtmaͤſiges Kind gebohren werde. Es war in beyden Texten die Frage von der Rechtmaͤſigkeit der Geburt eines Kindes. Dieſe hing von der Guͤltigkeit der Ehe ſeiner Eltern ab; und weil dieſel- be durch Zeugen außer allen Zweifel geſetzt werden konn- te, ſo wurde fuͤr das Kind erkannt. Hier iſt alſo von keinen Brautkindern die Rede 98). Aber verdient denn doch 96) Cap. 15. 30. 32. X. de ſponſalib. 97) Hr. G. J. R. Boͤhmer in Princip. iur. canon. §. 362. not. d. und Car. Sebaſt. berardus in Commentar. in ius ec- cleſ. univ. Tom. III. (Venet. 1778. 4.) Diſſ. II. Cap. IV. Quaeſt. I. auch Hofmann im Handbuch des teutſchen Ehe- rechts (Jena 1789.) VIII. Hauptſt. §. 72 S. 233. 98) Merkwuͤrdig ſind die Worte des cap. 12. cit. receptis teſti- bus a filio eiusdem R. productis, quibus legitime comproba- vit, praedictum R. matrem ſuam in capella S. Sergii adfidaſſe. Adfidare gehoͤrt zur barbariſchen Latinitaͤt des mittlern Zeital- ters, und bedeutet ſoviel als ſich durch Zuſage und gegebenes Wort verbindlich machen. S. lindembrog in Gloſſario h v. In- ſonderheit aber hieß feminam adfidare in uxorem ſoviel als einem Weibe die eheliche Treue verſprechen. gonzalez ad cap. 2. X. de con-

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Zitationshilfe: Glück, Christian Friedrich von: Versuch einer ausführlichen Erläuterung der Pandecten nach Hellfeld ein Commentar für meine Zuhörer. Erlangen, 1791, S. 108. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/glueck_pandecten02_1791/122>, abgerufen am 12.05.2024.