Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Glück, Christian Friedrich von: Versuch einer ausführlichen Erläuterung der Pandecten nach Hellfeld ein Commentar für meine Zuhörer. Erlangen, 1791.

Bild:
<< vorherige Seite

1. Buch. 6. Tit. §. 137. u. 138.
gewissen Schritten folgende Kind, wenigstens bis nach
zurückgelegten vierten Jahre, der alleinigen Aufsicht und
Pflege der Mutter zu überlassen; weil der Vater nur
dann erst seine Erziehung, seinen Unterricht anfangen
kann, wenn die Sprachorgane und mit selbigen die Ver-
standskräfte sich entwickeln. Ihr gebührt auch die Erzie-
hung der Töchter, in soweit solche die besonderen weib-
lichen Geschäfte in sich faßt; und wenn darüber zwischen
Vater und Mutter Streit entstehet, so ist die Präsum-
tion für die Mutter, so lange der Vater nicht darthun
kann, daß es ihr an Kräften oder an Willen fehle, ihrer
Obliegenheit ein Genüge zu leisten 85). Dahingegen kann
die Mutter bey den übrigen Angelegenheiten der Töchter
sowohl, als bey der Erziehung der Söhne, insonderheit
wenn es auf den wichtigsten Schritt von beyden, wo-
durch sie das väterliche Haus verlassen, ankommt, nur
als Rathgeberin auftreten: dem Vater gebührt die Ent-
scheidung; und die Obrigkeit darf den Widerspruch der
Mutter in einem solchen Fall nicht achten, so lange das
Kind selbst sich dem Willen des Vaters unterwirft 86).
Sollte aber das Kind auf Seiten der Mutter seyn; so
hat der Widerspruch von beyden allerdings so viel Ge-
wicht, daß der Richter zwischen selbigen und dem Vater
entscheiden muß 87). Da auch der Religionsunterricht
der Kinder ein sehr wichtiges Stück ihrer Erziehung ist,
so entstehet die Frage, in welcher Religion die Kinder
zu unterrichten, wenn die Eltern verschiedener Religion

sind
85) S. von Globig Preißschrift über die Gränzen der väter-
lichen Gewalt S. 99.
86) leyser meditat. ad Pandect. Spec. XVIII. med. 3.
87) von Globig Preißschrift S. 100.

1. Buch. 6. Tit. §. 137. u. 138.
gewiſſen Schritten folgende Kind, wenigſtens bis nach
zuruͤckgelegten vierten Jahre, der alleinigen Aufſicht und
Pflege der Mutter zu uͤberlaſſen; weil der Vater nur
dann erſt ſeine Erziehung, ſeinen Unterricht anfangen
kann, wenn die Sprachorgane und mit ſelbigen die Ver-
ſtandskraͤfte ſich entwickeln. Ihr gebuͤhrt auch die Erzie-
hung der Toͤchter, in ſoweit ſolche die beſonderen weib-
lichen Geſchaͤfte in ſich faßt; und wenn daruͤber zwiſchen
Vater und Mutter Streit entſtehet, ſo iſt die Praͤſum-
tion fuͤr die Mutter, ſo lange der Vater nicht darthun
kann, daß es ihr an Kraͤften oder an Willen fehle, ihrer
Obliegenheit ein Genuͤge zu leiſten 85). Dahingegen kann
die Mutter bey den uͤbrigen Angelegenheiten der Toͤchter
ſowohl, als bey der Erziehung der Soͤhne, inſonderheit
wenn es auf den wichtigſten Schritt von beyden, wo-
durch ſie das vaͤterliche Haus verlaſſen, ankommt, nur
als Rathgeberin auftreten: dem Vater gebuͤhrt die Ent-
ſcheidung; und die Obrigkeit darf den Widerſpruch der
Mutter in einem ſolchen Fall nicht achten, ſo lange das
Kind ſelbſt ſich dem Willen des Vaters unterwirft 86).
Sollte aber das Kind auf Seiten der Mutter ſeyn; ſo
hat der Widerſpruch von beyden allerdings ſo viel Ge-
wicht, daß der Richter zwiſchen ſelbigen und dem Vater
entſcheiden muß 87). Da auch der Religionsunterricht
der Kinder ein ſehr wichtiges Stuͤck ihrer Erziehung iſt,
ſo entſtehet die Frage, in welcher Religion die Kinder
zu unterrichten, wenn die Eltern verſchiedener Religion

ſind
85) S. von Globig Preißſchrift uͤber die Graͤnzen der vaͤter-
lichen Gewalt S. 99.
86) leyser meditat. ad Pandect. Spec. XVIII. med. 3.
87) von Globig Preißſchrift S. 100.
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <p><pb facs="#f0238" n="224"/><fw place="top" type="header">1. Buch. 6. Tit. §. 137. u. 138.</fw><lb/>
gewi&#x017F;&#x017F;en Schritten folgende Kind, wenig&#x017F;tens bis nach<lb/>
zuru&#x0364;ckgelegten vierten Jahre, der alleinigen Auf&#x017F;icht und<lb/>
Pflege der Mutter zu u&#x0364;berla&#x017F;&#x017F;en; weil der Vater nur<lb/>
dann er&#x017F;t &#x017F;eine Erziehung, &#x017F;einen Unterricht anfangen<lb/>
kann, wenn die Sprachorgane und mit &#x017F;elbigen die Ver-<lb/>
&#x017F;tandskra&#x0364;fte &#x017F;ich entwickeln. Ihr gebu&#x0364;hrt auch die Erzie-<lb/>
hung der To&#x0364;chter, in &#x017F;oweit &#x017F;olche die be&#x017F;onderen weib-<lb/>
lichen Ge&#x017F;cha&#x0364;fte in &#x017F;ich faßt; und wenn daru&#x0364;ber zwi&#x017F;chen<lb/>
Vater und Mutter Streit ent&#x017F;tehet, &#x017F;o i&#x017F;t die Pra&#x0364;&#x017F;um-<lb/>
tion fu&#x0364;r die Mutter, &#x017F;o lange der Vater nicht darthun<lb/>
kann, daß es ihr an Kra&#x0364;ften oder an Willen fehle, ihrer<lb/>
Obliegenheit ein Genu&#x0364;ge zu lei&#x017F;ten <note place="foot" n="85)">S. von <hi rendition="#g">Globig</hi> Preiß&#x017F;chrift u&#x0364;ber die Gra&#x0364;nzen der va&#x0364;ter-<lb/>
lichen Gewalt S. 99.</note>. Dahingegen kann<lb/>
die Mutter bey den u&#x0364;brigen Angelegenheiten der To&#x0364;chter<lb/>
&#x017F;owohl, als bey der Erziehung der So&#x0364;hne, in&#x017F;onderheit<lb/>
wenn es auf den wichtig&#x017F;ten Schritt von beyden, wo-<lb/>
durch &#x017F;ie das va&#x0364;terliche Haus verla&#x017F;&#x017F;en, ankommt, nur<lb/>
als Rathgeberin auftreten: dem Vater gebu&#x0364;hrt die Ent-<lb/>
&#x017F;cheidung; und die Obrigkeit darf den Wider&#x017F;pruch der<lb/>
Mutter in einem &#x017F;olchen Fall nicht achten, &#x017F;o lange das<lb/>
Kind &#x017F;elb&#x017F;t &#x017F;ich dem Willen des Vaters unterwirft <note place="foot" n="86)"><hi rendition="#aq"><hi rendition="#k">leyser</hi> meditat. ad Pandect. Spec. XVIII. med.</hi> 3.</note>.<lb/>
Sollte aber das Kind auf Seiten der Mutter &#x017F;eyn; &#x017F;o<lb/>
hat der Wider&#x017F;pruch von beyden allerdings &#x017F;o viel Ge-<lb/>
wicht, daß der Richter zwi&#x017F;chen &#x017F;elbigen und dem Vater<lb/>
ent&#x017F;cheiden muß <note place="foot" n="87)">von <hi rendition="#g">Globig</hi> Preiß&#x017F;chrift S. 100.</note>. Da auch der Religionsunterricht<lb/>
der Kinder ein &#x017F;ehr wichtiges Stu&#x0364;ck ihrer Erziehung i&#x017F;t,<lb/>
&#x017F;o ent&#x017F;tehet die Frage, in welcher Religion die Kinder<lb/>
zu unterrichten, wenn die Eltern ver&#x017F;chiedener Religion<lb/>
<fw place="bottom" type="catch">&#x017F;ind</fw><lb/></p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[224/0238] 1. Buch. 6. Tit. §. 137. u. 138. gewiſſen Schritten folgende Kind, wenigſtens bis nach zuruͤckgelegten vierten Jahre, der alleinigen Aufſicht und Pflege der Mutter zu uͤberlaſſen; weil der Vater nur dann erſt ſeine Erziehung, ſeinen Unterricht anfangen kann, wenn die Sprachorgane und mit ſelbigen die Ver- ſtandskraͤfte ſich entwickeln. Ihr gebuͤhrt auch die Erzie- hung der Toͤchter, in ſoweit ſolche die beſonderen weib- lichen Geſchaͤfte in ſich faßt; und wenn daruͤber zwiſchen Vater und Mutter Streit entſtehet, ſo iſt die Praͤſum- tion fuͤr die Mutter, ſo lange der Vater nicht darthun kann, daß es ihr an Kraͤften oder an Willen fehle, ihrer Obliegenheit ein Genuͤge zu leiſten 85). Dahingegen kann die Mutter bey den uͤbrigen Angelegenheiten der Toͤchter ſowohl, als bey der Erziehung der Soͤhne, inſonderheit wenn es auf den wichtigſten Schritt von beyden, wo- durch ſie das vaͤterliche Haus verlaſſen, ankommt, nur als Rathgeberin auftreten: dem Vater gebuͤhrt die Ent- ſcheidung; und die Obrigkeit darf den Widerſpruch der Mutter in einem ſolchen Fall nicht achten, ſo lange das Kind ſelbſt ſich dem Willen des Vaters unterwirft 86). Sollte aber das Kind auf Seiten der Mutter ſeyn; ſo hat der Widerſpruch von beyden allerdings ſo viel Ge- wicht, daß der Richter zwiſchen ſelbigen und dem Vater entſcheiden muß 87). Da auch der Religionsunterricht der Kinder ein ſehr wichtiges Stuͤck ihrer Erziehung iſt, ſo entſtehet die Frage, in welcher Religion die Kinder zu unterrichten, wenn die Eltern verſchiedener Religion ſind 85) S. von Globig Preißſchrift uͤber die Graͤnzen der vaͤter- lichen Gewalt S. 99. 86) leyser meditat. ad Pandect. Spec. XVIII. med. 3. 87) von Globig Preißſchrift S. 100.

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/glueck_pandecten02_1791
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/glueck_pandecten02_1791/238
Zitationshilfe: Glück, Christian Friedrich von: Versuch einer ausführlichen Erläuterung der Pandecten nach Hellfeld ein Commentar für meine Zuhörer. Erlangen, 1791, S. 224. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/glueck_pandecten02_1791/238>, abgerufen am 23.11.2024.