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Glück, Christian Friedrich von: Versuch einer ausführlichen Erläuterung der Pandecten nach Hellfeld ein Commentar für meine Zuhörer. Erlangen, 1791.

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De his, qui sui vel alieni iuris sunt.
erlernen solle. Denn diesem trauet man in einem sol-
chen Fall eine reifere Beurtheilungskraft zu, daß er bes-
ser wissen muß, als die Mutter, welches metier der
Neigung und dem Talent des Sohnes am angemessesten
ist. So lang nun Kinder in dem Zustande der Unmün-
digkeit sich befinden, müssen sie den Unterricht, welchen
die Eltern ihnen geben, das Gewerbe, wozu sie bestimmt
werden, ohne Widerrede annehmen, und dürfen sich
bey der Obrigkeit deßhalb nicht beschweren, weil man
ihnen die gehörige Beurtheilungskraft noch nicht zutrauen
kann. Allein haben sie die Mündigkeit erreicht, so darf
ihr Widerspruch bey der Wahl ihres künftigen Gewerbes
nicht ganz aus der Acht gelassen werden, weil darauf
das Glück des künftigen Bürgers, und dessen Mit-
wirkung zum allgemeinen Besten beruhet. Es muß we-
nigstens in solchem Fall über die Rechtmäßigkeit der Wei-
gerung von dem Richter geurtheilt werden 95). Wenn
Eltern dem Kinde den Unterricht vorenthalten, dessen
es bedarf, um dereinst, nach seinem Stande und sonstigen
Verhältnissen, als ein brauchbares Mitglied der bürger-
lichen Gesellschaft zu erscheinen, so kann das Kind darü-
ber bey der Obrigkeit Beschwerde führen, und letzere ist
befugt, diese Mißbräuche zu ahnden.

2) Beyde Eltern können gleiche Ehrerbietung von
den Kindern verlangen 96). Kinder werden daher so wenig
gegen den Vater als gegen die Mutter mit solchen Klagen
und Rechtsmitteln gehört, welche der schuldigen Ehrerbie-
tung zuwider laufen, wohin z. B. das Gesuch der Wieder-
herstellung in den vorigen Stand, insonderheit die Klage
des Betrugs, ferner der Eyd vor Gefährde (iuramentum
ealumniae
) und dergleichen zu rechnen sind. Auch dür-
fen die Kinder so wenig gegen die Mutter als gegen den

Va-
95) von Globig Preisschrift S. 112. 113.
96) hommel cit. Diss. de usu hod. pat. pot. Cap. III. §. 64--68.
P 2

De his, qui ſui vel alieni iuris ſunt.
erlernen ſolle. Denn dieſem trauet man in einem ſol-
chen Fall eine reifere Beurtheilungskraft zu, daß er beſ-
ſer wiſſen muß, als die Mutter, welches mêtier der
Neigung und dem Talent des Sohnes am angemeſſeſten
iſt. So lang nun Kinder in dem Zuſtande der Unmuͤn-
digkeit ſich befinden, muͤſſen ſie den Unterricht, welchen
die Eltern ihnen geben, das Gewerbe, wozu ſie beſtimmt
werden, ohne Widerrede annehmen, und duͤrfen ſich
bey der Obrigkeit deßhalb nicht beſchweren, weil man
ihnen die gehoͤrige Beurtheilungskraft noch nicht zutrauen
kann. Allein haben ſie die Muͤndigkeit erreicht, ſo darf
ihr Widerſpruch bey der Wahl ihres kuͤnftigen Gewerbes
nicht ganz aus der Acht gelaſſen werden, weil darauf
das Gluͤck des kuͤnftigen Buͤrgers, und deſſen Mit-
wirkung zum allgemeinen Beſten beruhet. Es muß we-
nigſtens in ſolchem Fall uͤber die Rechtmaͤßigkeit der Wei-
gerung von dem Richter geurtheilt werden 95). Wenn
Eltern dem Kinde den Unterricht vorenthalten, deſſen
es bedarf, um dereinſt, nach ſeinem Stande und ſonſtigen
Verhaͤltniſſen, als ein brauchbares Mitglied der buͤrger-
lichen Geſellſchaft zu erſcheinen, ſo kann das Kind daruͤ-
ber bey der Obrigkeit Beſchwerde fuͤhren, und letzere iſt
befugt, dieſe Mißbraͤuche zu ahnden.

2) Beyde Eltern koͤnnen gleiche Ehrerbietung von
den Kindern verlangen 96). Kinder werden daher ſo wenig
gegen den Vater als gegen die Mutter mit ſolchen Klagen
und Rechtsmitteln gehoͤrt, welche der ſchuldigen Ehrerbie-
tung zuwider laufen, wohin z. B. das Geſuch der Wieder-
herſtellung in den vorigen Stand, inſonderheit die Klage
des Betrugs, ferner der Eyd vor Gefaͤhrde (iuramentum
ealumniae
) und dergleichen zu rechnen ſind. Auch duͤr-
fen die Kinder ſo wenig gegen die Mutter als gegen den

Va-
95) von Globig Preisſchrift S. 112. 113.
96) hommel cit. Diſſ. de uſu hod. pat. pot. Cap. III. §. 64—68.
P 2
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[227/0241] De his, qui ſui vel alieni iuris ſunt. erlernen ſolle. Denn dieſem trauet man in einem ſol- chen Fall eine reifere Beurtheilungskraft zu, daß er beſ- ſer wiſſen muß, als die Mutter, welches mêtier der Neigung und dem Talent des Sohnes am angemeſſeſten iſt. So lang nun Kinder in dem Zuſtande der Unmuͤn- digkeit ſich befinden, muͤſſen ſie den Unterricht, welchen die Eltern ihnen geben, das Gewerbe, wozu ſie beſtimmt werden, ohne Widerrede annehmen, und duͤrfen ſich bey der Obrigkeit deßhalb nicht beſchweren, weil man ihnen die gehoͤrige Beurtheilungskraft noch nicht zutrauen kann. Allein haben ſie die Muͤndigkeit erreicht, ſo darf ihr Widerſpruch bey der Wahl ihres kuͤnftigen Gewerbes nicht ganz aus der Acht gelaſſen werden, weil darauf das Gluͤck des kuͤnftigen Buͤrgers, und deſſen Mit- wirkung zum allgemeinen Beſten beruhet. Es muß we- nigſtens in ſolchem Fall uͤber die Rechtmaͤßigkeit der Wei- gerung von dem Richter geurtheilt werden 95). Wenn Eltern dem Kinde den Unterricht vorenthalten, deſſen es bedarf, um dereinſt, nach ſeinem Stande und ſonſtigen Verhaͤltniſſen, als ein brauchbares Mitglied der buͤrger- lichen Geſellſchaft zu erſcheinen, ſo kann das Kind daruͤ- ber bey der Obrigkeit Beſchwerde fuͤhren, und letzere iſt befugt, dieſe Mißbraͤuche zu ahnden. 2) Beyde Eltern koͤnnen gleiche Ehrerbietung von den Kindern verlangen 96). Kinder werden daher ſo wenig gegen den Vater als gegen die Mutter mit ſolchen Klagen und Rechtsmitteln gehoͤrt, welche der ſchuldigen Ehrerbie- tung zuwider laufen, wohin z. B. das Geſuch der Wieder- herſtellung in den vorigen Stand, inſonderheit die Klage des Betrugs, ferner der Eyd vor Gefaͤhrde (iuramentum ealumniae) und dergleichen zu rechnen ſind. Auch duͤr- fen die Kinder ſo wenig gegen die Mutter als gegen den Va- 95) von Globig Preisſchrift S. 112. 113. 96) hommel cit. Diſſ. de uſu hod. pat. pot. Cap. III. §. 64—68. P 2

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Zitationshilfe: Glück, Christian Friedrich von: Versuch einer ausführlichen Erläuterung der Pandecten nach Hellfeld ein Commentar für meine Zuhörer. Erlangen, 1791, S. 227. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/glueck_pandecten02_1791/241>, abgerufen am 12.05.2024.