Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Glück, Christian Friedrich von: Versuch einer ausführlichen Erläuterung der Pandecten nach Hellfeld ein Commentar für meine Zuhörer. Erlangen, 1791.

Bild:
<< vorherige Seite

1. Buch. 6. Tit. §. 137. u. 138.
Vater zur Zeugnisses-Ablegung genöthiget werden; und
die Mutter ist so gut befugt, das Kind wegen einer
ihr zugefügten groben Verbal oder Real-Iniurie zu ent-
erben, als der Vater.

3) Beyden Eltern stehet das Recht zu, die Kinder
zu züchtigen 97). Diese Züchtigung des ungehorsamen
Kindes darf sich jedoch nie so weit erstrecken, daß selbi-
ges elend und siech geschlagen, mithin ein unbrauchbares
Mitglied der bürgerlichen Gesellschaft werde. Indeß muß
doch allemal präsumirt werden, daß die Eltern aus Ue-
bereilung und Nachläßigkeit gefehlet haben, wenn sie die
Gränzen der kindlichen Züchtigung überschritten haben
sollten, indem das Band der Liebe, welches Eltern und
Kinder zusammenknüpft, grobe und anhaltende Mißbräu-
che nicht vermuthen läßt. Daher darf die Obrigkeit we-
gen angeblicher Mißbräuche dieser Art nicht von Amts-
wegen inquiriren, und die Eltern zur Rechenschaft vor-
fordern: sie muß erwarten, bis das gemißhandelte Kind,
oder dessen Verwandte klagen; und so lange dies nicht
geschiehet, sind die Eltern allemal durch die gegründete
Präsumtion geschützt, daß sie aus gerechten Ursachen ge-
straft haben. Auch die Klage des Kindes ist nicht an-
ders anzuhören, als wenn sie sofort durch sichtbare Merk-
male der erlittenen Mißhandlung oder durch Zeugnisse
dargethan wird 98). In keinem Fall kann jedoch den
Eltern erlaubt werden, ordentliche Gefängnisse zur Be-
strafung der Kinder anzulegen, und eine richterliche Ge-
walt über sie auszuüben. Denn die Teutschen haben
nie dem Vater eine häusliche Gerichtsbarkeit über seine
Kinder eingeräumt 99). Wenn es demnach auf schärfe-

re
97) hommel cit. Diss. §. 69. rothhahn Diss. cit. de mat.
potestate in lib.
§. 46.
98) von Globig Preißschrift S. 93. u. f.
99) de selchow Elem. iuris germ. privati §. 489.

1. Buch. 6. Tit. §. 137. u. 138.
Vater zur Zeugniſſes-Ablegung genoͤthiget werden; und
die Mutter iſt ſo gut befugt, das Kind wegen einer
ihr zugefuͤgten groben Verbal oder Real-Iniurie zu ent-
erben, als der Vater.

3) Beyden Eltern ſtehet das Recht zu, die Kinder
zu zuͤchtigen 97). Dieſe Zuͤchtigung des ungehorſamen
Kindes darf ſich jedoch nie ſo weit erſtrecken, daß ſelbi-
ges elend und ſiech geſchlagen, mithin ein unbrauchbares
Mitglied der buͤrgerlichen Geſellſchaft werde. Indeß muß
doch allemal praͤſumirt werden, daß die Eltern aus Ue-
bereilung und Nachlaͤßigkeit gefehlet haben, wenn ſie die
Graͤnzen der kindlichen Zuͤchtigung uͤberſchritten haben
ſollten, indem das Band der Liebe, welches Eltern und
Kinder zuſammenknuͤpft, grobe und anhaltende Mißbraͤu-
che nicht vermuthen laͤßt. Daher darf die Obrigkeit we-
gen angeblicher Mißbraͤuche dieſer Art nicht von Amts-
wegen inquiriren, und die Eltern zur Rechenſchaft vor-
fordern: ſie muß erwarten, bis das gemißhandelte Kind,
oder deſſen Verwandte klagen; und ſo lange dies nicht
geſchiehet, ſind die Eltern allemal durch die gegruͤndete
Praͤſumtion geſchuͤtzt, daß ſie aus gerechten Urſachen ge-
ſtraft haben. Auch die Klage des Kindes iſt nicht an-
ders anzuhoͤren, als wenn ſie ſofort durch ſichtbare Merk-
male der erlittenen Mißhandlung oder durch Zeugniſſe
dargethan wird 98). In keinem Fall kann jedoch den
Eltern erlaubt werden, ordentliche Gefaͤngniſſe zur Be-
ſtrafung der Kinder anzulegen, und eine richterliche Ge-
walt uͤber ſie auszuuͤben. Denn die Teutſchen haben
nie dem Vater eine haͤusliche Gerichtsbarkeit uͤber ſeine
Kinder eingeraͤumt 99). Wenn es demnach auf ſchaͤrfe-

re
97) hommel cit. Diſſ. §. 69. rothhahn Diſſ. cit. de mat.
poteſtate in lib.
§. 46.
98) von Globig Preißſchrift S. 93. u. f.
99) de selchow Elem. iuris germ. privati §. 489.
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <p><pb facs="#f0242" n="228"/><fw place="top" type="header">1. Buch. 6. Tit. §. 137. u. 138.</fw><lb/>
Vater zur Zeugni&#x017F;&#x017F;es-Ablegung geno&#x0364;thiget werden; und<lb/>
die Mutter i&#x017F;t &#x017F;o gut befugt, das Kind wegen einer<lb/>
ihr zugefu&#x0364;gten groben Verbal oder Real-Iniurie zu ent-<lb/>
erben, als der Vater.</p><lb/>
          <p>3) Beyden Eltern &#x017F;tehet das Recht zu, die Kinder<lb/>
zu zu&#x0364;chtigen <note place="foot" n="97)"><hi rendition="#aq"><hi rendition="#k">hommel</hi> cit. Di&#x017F;&#x017F;. §. 69. <hi rendition="#k">rothhahn</hi> Di&#x017F;&#x017F;. cit. de mat.<lb/>
pote&#x017F;tate in lib.</hi> §. 46.</note>. Die&#x017F;e Zu&#x0364;chtigung des ungehor&#x017F;amen<lb/>
Kindes darf &#x017F;ich jedoch nie &#x017F;o weit er&#x017F;trecken, daß &#x017F;elbi-<lb/>
ges elend und &#x017F;iech ge&#x017F;chlagen, mithin ein unbrauchbares<lb/>
Mitglied der bu&#x0364;rgerlichen Ge&#x017F;ell&#x017F;chaft werde. Indeß muß<lb/>
doch allemal pra&#x0364;&#x017F;umirt werden, daß die Eltern aus Ue-<lb/>
bereilung und Nachla&#x0364;ßigkeit gefehlet haben, wenn &#x017F;ie die<lb/>
Gra&#x0364;nzen der kindlichen Zu&#x0364;chtigung u&#x0364;ber&#x017F;chritten haben<lb/>
&#x017F;ollten, indem das Band der Liebe, welches Eltern und<lb/>
Kinder zu&#x017F;ammenknu&#x0364;pft, grobe und anhaltende Mißbra&#x0364;u-<lb/>
che nicht vermuthen la&#x0364;ßt. Daher darf die Obrigkeit we-<lb/>
gen angeblicher Mißbra&#x0364;uche die&#x017F;er Art nicht von Amts-<lb/>
wegen inquiriren, und die Eltern zur Rechen&#x017F;chaft vor-<lb/>
fordern: &#x017F;ie muß erwarten, bis das gemißhandelte Kind,<lb/>
oder de&#x017F;&#x017F;en Verwandte klagen; und &#x017F;o lange dies nicht<lb/>
ge&#x017F;chiehet, &#x017F;ind die Eltern allemal durch die gegru&#x0364;ndete<lb/>
Pra&#x0364;&#x017F;umtion ge&#x017F;chu&#x0364;tzt, daß &#x017F;ie aus gerechten Ur&#x017F;achen ge-<lb/>
&#x017F;traft haben. Auch die Klage des Kindes i&#x017F;t nicht an-<lb/>
ders anzuho&#x0364;ren, als wenn &#x017F;ie &#x017F;ofort durch &#x017F;ichtbare Merk-<lb/>
male der erlittenen Mißhandlung oder durch Zeugni&#x017F;&#x017F;e<lb/>
dargethan wird <note place="foot" n="98)">von <hi rendition="#g">Globig</hi> Preiß&#x017F;chrift S. 93. u. f.</note>. In keinem Fall kann jedoch den<lb/>
Eltern erlaubt werden, ordentliche Gefa&#x0364;ngni&#x017F;&#x017F;e zur Be-<lb/>
&#x017F;trafung der Kinder anzulegen, und eine richterliche Ge-<lb/>
walt u&#x0364;ber &#x017F;ie auszuu&#x0364;ben. Denn die Teut&#x017F;chen haben<lb/>
nie dem Vater eine ha&#x0364;usliche Gerichtsbarkeit u&#x0364;ber &#x017F;eine<lb/>
Kinder eingera&#x0364;umt <note place="foot" n="99)"><hi rendition="#aq">de <hi rendition="#k">selchow</hi> Elem. iuris germ. privati</hi> §. 489.</note>. Wenn es demnach auf &#x017F;cha&#x0364;rfe-<lb/>
<fw place="bottom" type="catch">re</fw><lb/></p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[228/0242] 1. Buch. 6. Tit. §. 137. u. 138. Vater zur Zeugniſſes-Ablegung genoͤthiget werden; und die Mutter iſt ſo gut befugt, das Kind wegen einer ihr zugefuͤgten groben Verbal oder Real-Iniurie zu ent- erben, als der Vater. 3) Beyden Eltern ſtehet das Recht zu, die Kinder zu zuͤchtigen 97). Dieſe Zuͤchtigung des ungehorſamen Kindes darf ſich jedoch nie ſo weit erſtrecken, daß ſelbi- ges elend und ſiech geſchlagen, mithin ein unbrauchbares Mitglied der buͤrgerlichen Geſellſchaft werde. Indeß muß doch allemal praͤſumirt werden, daß die Eltern aus Ue- bereilung und Nachlaͤßigkeit gefehlet haben, wenn ſie die Graͤnzen der kindlichen Zuͤchtigung uͤberſchritten haben ſollten, indem das Band der Liebe, welches Eltern und Kinder zuſammenknuͤpft, grobe und anhaltende Mißbraͤu- che nicht vermuthen laͤßt. Daher darf die Obrigkeit we- gen angeblicher Mißbraͤuche dieſer Art nicht von Amts- wegen inquiriren, und die Eltern zur Rechenſchaft vor- fordern: ſie muß erwarten, bis das gemißhandelte Kind, oder deſſen Verwandte klagen; und ſo lange dies nicht geſchiehet, ſind die Eltern allemal durch die gegruͤndete Praͤſumtion geſchuͤtzt, daß ſie aus gerechten Urſachen ge- ſtraft haben. Auch die Klage des Kindes iſt nicht an- ders anzuhoͤren, als wenn ſie ſofort durch ſichtbare Merk- male der erlittenen Mißhandlung oder durch Zeugniſſe dargethan wird 98). In keinem Fall kann jedoch den Eltern erlaubt werden, ordentliche Gefaͤngniſſe zur Be- ſtrafung der Kinder anzulegen, und eine richterliche Ge- walt uͤber ſie auszuuͤben. Denn die Teutſchen haben nie dem Vater eine haͤusliche Gerichtsbarkeit uͤber ſeine Kinder eingeraͤumt 99). Wenn es demnach auf ſchaͤrfe- re 97) hommel cit. Diſſ. §. 69. rothhahn Diſſ. cit. de mat. poteſtate in lib. §. 46. 98) von Globig Preißſchrift S. 93. u. f. 99) de selchow Elem. iuris germ. privati §. 489.

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/glueck_pandecten02_1791
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/glueck_pandecten02_1791/242
Zitationshilfe: Glück, Christian Friedrich von: Versuch einer ausführlichen Erläuterung der Pandecten nach Hellfeld ein Commentar für meine Zuhörer. Erlangen, 1791, S. 228. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/glueck_pandecten02_1791/242>, abgerufen am 12.05.2024.