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Görres, Joseph von: Teutschland und die Revolution. Koblenz, 1819.

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aufgesetzt, da wurde auch das ihnen als Mystizism,
revolutionäres Bestreben und Rückschritt in's dunkle
Mittelalter ausgelegt; und der Hof dem sie, ehrend
das alte Kaiserhaus, ihre Werke ausgestellt, verläug¬
nete sie vor dem schadenfrohen Ausland, das dafür
beider Theile gleich sehr spottete, und sie mußten
noch obenein von protestantischen und antiken Kunst-
Zeloten in allen teutschen Zeitungen sich mit mitleidi¬
gem Rathe zurechtgewiesen sehen.

Das Kreuz auf dem Schlachtfelde von Leipzig ist
umgerißen, und die Handlung hat wie billig ihre
Vertheidiger gefunden; da bey jeder Gränze ein ande¬
rer Patriotismus beginnt, hoffentlich bald durch eigne
Mauth gehütet, so hat Sachsen ein unwidersprechliches
Recht auf den Seinigen. Napoleon halten sie am Fel¬
sen festgebunden, damit der alte blinde Simson nicht etwa
entrinne, und die Säulen des faulen europäischen Staats¬
gebändes nochmal fassend, unter den Trümmern des
Hauses, auf dem die Caphthorim und Philistin sitzen,
sie mit sich begrabe. Seine Institutionen stehen noch
Alle wohlbehalten, seine Ideen sind hochgeehrt; seine
Münze, nur mit schlechtem Zusatze legirt, ist in Scheide¬
münze umgeprägt. Frankreich pflegt die Freyheit, die
wir ihm gebracht, wir haben zum Lohne seine alte
Dienstbarkeit uns mit nach Hause genommen.

Was wir früher in der sogenannten Begeisterung
gesprochen und gethan, sind leicht verzeihliche Jugend¬
sünden, bey denen unser Gedächtniß nur mit Geschä¬
migkeit verweilt. Die aber jetzt noch leben wollen in
den Ideen dieser Zeit; die starr und eigensinnig sich
nicht fügen mögen der Wandelbarkeit der Dinge,

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aufgeſetzt, da wurde auch das ihnen als Myſtizism,
revolutionäres Beſtreben und Rückſchritt in's dunkle
Mittelalter ausgelegt; und der Hof dem ſie, ehrend
das alte Kaiſerhaus, ihre Werke ausgeſtellt, verläug¬
nete ſie vor dem ſchadenfrohen Ausland, das dafür
beider Theile gleich ſehr ſpottete, und ſie mußten
noch obenein von proteſtantiſchen und antiken Kunſt-
Zeloten in allen teutſchen Zeitungen ſich mit mitleidi¬
gem Rathe zurechtgewieſen ſehen.

Das Kreuz auf dem Schlachtfelde von Leipzig iſt
umgerißen, und die Handlung hat wie billig ihre
Vertheidiger gefunden; da bey jeder Gränze ein ande¬
rer Patriotismus beginnt, hoffentlich bald durch eigne
Mauth gehütet, ſo hat Sachſen ein unwiderſprechliches
Recht auf den Seinigen. Napoleon halten ſie am Fel¬
ſen feſtgebunden, damit der alte blinde Simſon nicht etwa
entrinne, und die Säulen des faulen europäiſchen Staats¬
gebändes nochmal faſſend, unter den Trümmern des
Hauſes, auf dem die Caphthorim und Philiſtin ſitzen,
ſie mit ſich begrabe. Seine Inſtitutionen ſtehen noch
Alle wohlbehalten, ſeine Ideen ſind hochgeehrt; ſeine
Münze, nur mit ſchlechtem Zuſatze legirt, iſt in Scheide¬
münze umgeprägt. Frankreich pflegt die Freyheit, die
wir ihm gebracht, wir haben zum Lohne ſeine alte
Dienſtbarkeit uns mit nach Hauſe genommen.

Was wir früher in der ſogenannten Begeiſterung
geſprochen und gethan, ſind leicht verzeihliche Jugend¬
ſünden, bey denen unſer Gedächtniß nur mit Geſchä¬
migkeit verweilt. Die aber jetzt noch leben wollen in
den Ideen dieſer Zeit; die ſtarr und eigenſinnig ſich
nicht fügen mögen der Wandelbarkeit der Dinge,

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[99/0107] aufgeſetzt, da wurde auch das ihnen als Myſtizism, revolutionäres Beſtreben und Rückſchritt in's dunkle Mittelalter ausgelegt; und der Hof dem ſie, ehrend das alte Kaiſerhaus, ihre Werke ausgeſtellt, verläug¬ nete ſie vor dem ſchadenfrohen Ausland, das dafür beider Theile gleich ſehr ſpottete, und ſie mußten noch obenein von proteſtantiſchen und antiken Kunſt- Zeloten in allen teutſchen Zeitungen ſich mit mitleidi¬ gem Rathe zurechtgewieſen ſehen. Das Kreuz auf dem Schlachtfelde von Leipzig iſt umgerißen, und die Handlung hat wie billig ihre Vertheidiger gefunden; da bey jeder Gränze ein ande¬ rer Patriotismus beginnt, hoffentlich bald durch eigne Mauth gehütet, ſo hat Sachſen ein unwiderſprechliches Recht auf den Seinigen. Napoleon halten ſie am Fel¬ ſen feſtgebunden, damit der alte blinde Simſon nicht etwa entrinne, und die Säulen des faulen europäiſchen Staats¬ gebändes nochmal faſſend, unter den Trümmern des Hauſes, auf dem die Caphthorim und Philiſtin ſitzen, ſie mit ſich begrabe. Seine Inſtitutionen ſtehen noch Alle wohlbehalten, ſeine Ideen ſind hochgeehrt; ſeine Münze, nur mit ſchlechtem Zuſatze legirt, iſt in Scheide¬ münze umgeprägt. Frankreich pflegt die Freyheit, die wir ihm gebracht, wir haben zum Lohne ſeine alte Dienſtbarkeit uns mit nach Hauſe genommen. Was wir früher in der ſogenannten Begeiſterung geſprochen und gethan, ſind leicht verzeihliche Jugend¬ ſünden, bey denen unſer Gedächtniß nur mit Geſchä¬ migkeit verweilt. Die aber jetzt noch leben wollen in den Ideen dieſer Zeit; die ſtarr und eigenſinnig ſich nicht fügen mögen der Wandelbarkeit der Dinge, 7*

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Zitationshilfe: Görres, Joseph von: Teutschland und die Revolution. Koblenz, 1819, S. 99. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/goerres_revolution_1819/107>, abgerufen am 21.11.2024.