Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Görres, Joseph von: Teutschland und die Revolution. Koblenz, 1819.

Bild:
<< vorherige Seite

sichten nur die Rede seyn könnte, so würde sich bey
der Erörterung bald ergeben, daß sobald Jeder ihr
Recht geworden, der Streit sich von selber löst. Es
würde sich leicht darüber zu verständigen seyn, daß
die verschiednen Zeiten und Menschenalter im Leben
eines Volkes im Nacheinander eben so nothwendig und
unzertrennlich sich angehören, wie die verschiedenen
Institutionen und Persönlichkeiten im Nebeneinander
derselben Zeit, indem Diese den immanenten Staat,
Jene den permanenten miteinander bilden; und daß
also wie hier Pflichten und Rechte gegenseitig sind,
so auch dort zu den Rechten, die jede spätere Zeit
als Erbe überkommen, auch früher begründete Pflich¬
ten sich gesellen. Es würde sich ferner bald ermitteln,
daß, da jede Zeit ohngefähr das gleiche Maaß von
bildenden Kräften, wenn auch in Verschiednen ver¬
schieden vertheilt, zur Ausstattung erhalten, -- in¬
dem wenigstens eine Frühere auf eine Spätere nicht
mehr vererben kann, als sie selbst besitzt, -- auch
die Bildungen nach dem Maaße der aufgewendeten
Kräfte zu beachten sind; und daß, wenn spätere Zei¬
ten auf breiterem empirischem Grunde stehen, dafür
eine Frühere leicht in allem Höhern, Idealen ihr den
Vorrang ablaufen mag.

Wenn man jede Thätigkeit am sichersten an ihren
Früchten erkennen kann, dann wird die Geschichte
leicht belehren, welche Fülle das Mittelalter, und
zwar zu allermeist in Teutschland hervorgetrieben; wie
es aus demselben Onyx-Felsen, auf den sich die Kirche
gründet, um ihre Münster her die gothisch-byzantinische
Kaiserburg, ein anderes Montsalvaz, erhauen und gebaut;

ſichten nur die Rede ſeyn könnte, ſo würde ſich bey
der Erörterung bald ergeben, daß ſobald Jeder ihr
Recht geworden, der Streit ſich von ſelber löſt. Es
würde ſich leicht darüber zu verſtändigen ſeyn, daß
die verſchiednen Zeiten und Menſchenalter im Leben
eines Volkes im Nacheinander eben ſo nothwendig und
unzertrennlich ſich angehören, wie die verſchiedenen
Inſtitutionen und Perſönlichkeiten im Nebeneinander
derſelben Zeit, indem Dieſe den immanenten Staat,
Jene den permanenten miteinander bilden; und daß
alſo wie hier Pflichten und Rechte gegenſeitig ſind,
ſo auch dort zu den Rechten, die jede ſpätere Zeit
als Erbe überkommen, auch früher begründete Pflich¬
ten ſich geſellen. Es würde ſich ferner bald ermitteln,
daß, da jede Zeit ohngefähr das gleiche Maaß von
bildenden Kräften, wenn auch in Verſchiednen ver¬
ſchieden vertheilt, zur Ausſtattung erhalten, — in¬
dem wenigſtens eine Frühere auf eine Spätere nicht
mehr vererben kann, als ſie ſelbſt beſitzt, — auch
die Bildungen nach dem Maaße der aufgewendeten
Kräfte zu beachten ſind; und daß, wenn ſpätere Zei¬
ten auf breiterem empiriſchem Grunde ſtehen, dafür
eine Frühere leicht in allem Höhern, Idealen ihr den
Vorrang ablaufen mag.

Wenn man jede Thätigkeit am ſicherſten an ihren
Früchten erkennen kann, dann wird die Geſchichte
leicht belehren, welche Fülle das Mittelalter, und
zwar zu allermeiſt in Teutſchland hervorgetrieben; wie
es aus demſelben Onyx-Felſen, auf den ſich die Kirche
gründet, um ihre Münſter her die gothiſch-byzantiniſche
Kaiſerburg, ein anderes Montſalvaz, erhauen und gebaut;

<TEI>
  <text>
    <body>
      <p><pb facs="#f0142" n="134"/>
&#x017F;ichten nur die Rede &#x017F;eyn könnte, &#x017F;o würde &#x017F;ich bey<lb/>
der Erörterung bald ergeben, daß &#x017F;obald Jeder ihr<lb/>
Recht geworden, der Streit &#x017F;ich von &#x017F;elber lö&#x017F;t. Es<lb/>
würde &#x017F;ich leicht darüber zu ver&#x017F;tändigen &#x017F;eyn, daß<lb/>
die ver&#x017F;chiednen Zeiten und Men&#x017F;chenalter im Leben<lb/>
eines Volkes im Nacheinander eben &#x017F;o nothwendig und<lb/>
unzertrennlich &#x017F;ich angehören, wie die ver&#x017F;chiedenen<lb/>
In&#x017F;titutionen und Per&#x017F;önlichkeiten im Nebeneinander<lb/>
der&#x017F;elben Zeit, indem Die&#x017F;e den immanenten Staat,<lb/>
Jene den permanenten miteinander bilden; und daß<lb/>
al&#x017F;o wie hier Pflichten und Rechte gegen&#x017F;eitig &#x017F;ind,<lb/>
&#x017F;o auch dort zu den Rechten, die jede &#x017F;pätere Zeit<lb/>
als Erbe überkommen, auch früher begründete Pflich¬<lb/>
ten &#x017F;ich ge&#x017F;ellen. Es würde &#x017F;ich ferner bald ermitteln,<lb/>
daß, da jede Zeit ohngefähr das gleiche Maaß von<lb/>
bildenden Kräften, wenn auch in Ver&#x017F;chiednen ver¬<lb/>
&#x017F;chieden vertheilt, zur Aus&#x017F;tattung erhalten, &#x2014; in¬<lb/>
dem wenig&#x017F;tens eine Frühere auf eine Spätere nicht<lb/>
mehr vererben kann, als &#x017F;ie &#x017F;elb&#x017F;t be&#x017F;itzt, &#x2014; auch<lb/>
die Bildungen nach dem Maaße der aufgewendeten<lb/>
Kräfte zu beachten &#x017F;ind; und daß, wenn &#x017F;pätere Zei¬<lb/>
ten auf breiterem empiri&#x017F;chem Grunde &#x017F;tehen, dafür<lb/>
eine Frühere leicht in allem Höhern, Idealen ihr den<lb/>
Vorrang ablaufen mag.</p><lb/>
      <p>Wenn man jede Thätigkeit am &#x017F;icher&#x017F;ten an ihren<lb/>
Früchten erkennen kann, dann wird die Ge&#x017F;chichte<lb/>
leicht belehren, welche Fülle das Mittelalter, und<lb/>
zwar zu allermei&#x017F;t in Teut&#x017F;chland hervorgetrieben; wie<lb/>
es aus dem&#x017F;elben Onyx-Fel&#x017F;en, auf den &#x017F;ich die Kirche<lb/>
gründet, um ihre Mün&#x017F;ter her die gothi&#x017F;ch-byzantini&#x017F;che<lb/>
Kai&#x017F;erburg, ein anderes Mont&#x017F;alvaz, erhauen und gebaut;<lb/></p>
    </body>
  </text>
</TEI>
[134/0142] ſichten nur die Rede ſeyn könnte, ſo würde ſich bey der Erörterung bald ergeben, daß ſobald Jeder ihr Recht geworden, der Streit ſich von ſelber löſt. Es würde ſich leicht darüber zu verſtändigen ſeyn, daß die verſchiednen Zeiten und Menſchenalter im Leben eines Volkes im Nacheinander eben ſo nothwendig und unzertrennlich ſich angehören, wie die verſchiedenen Inſtitutionen und Perſönlichkeiten im Nebeneinander derſelben Zeit, indem Dieſe den immanenten Staat, Jene den permanenten miteinander bilden; und daß alſo wie hier Pflichten und Rechte gegenſeitig ſind, ſo auch dort zu den Rechten, die jede ſpätere Zeit als Erbe überkommen, auch früher begründete Pflich¬ ten ſich geſellen. Es würde ſich ferner bald ermitteln, daß, da jede Zeit ohngefähr das gleiche Maaß von bildenden Kräften, wenn auch in Verſchiednen ver¬ ſchieden vertheilt, zur Ausſtattung erhalten, — in¬ dem wenigſtens eine Frühere auf eine Spätere nicht mehr vererben kann, als ſie ſelbſt beſitzt, — auch die Bildungen nach dem Maaße der aufgewendeten Kräfte zu beachten ſind; und daß, wenn ſpätere Zei¬ ten auf breiterem empiriſchem Grunde ſtehen, dafür eine Frühere leicht in allem Höhern, Idealen ihr den Vorrang ablaufen mag. Wenn man jede Thätigkeit am ſicherſten an ihren Früchten erkennen kann, dann wird die Geſchichte leicht belehren, welche Fülle das Mittelalter, und zwar zu allermeiſt in Teutſchland hervorgetrieben; wie es aus demſelben Onyx-Felſen, auf den ſich die Kirche gründet, um ihre Münſter her die gothiſch-byzantiniſche Kaiſerburg, ein anderes Montſalvaz, erhauen und gebaut;

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/goerres_revolution_1819
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/goerres_revolution_1819/142
Zitationshilfe: Görres, Joseph von: Teutschland und die Revolution. Koblenz, 1819, S. 134. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/goerres_revolution_1819/142>, abgerufen am 21.11.2024.