Zeit, von idealen und realen Richtungen; sein gesun¬ der Menschenverstand und sein richtiger Takt und Naturinstinkt giebt ihm ein, daß er seinen alten Ver¬ hältnissen längst entwachsen ist; daß die Formen an sich erstorben, seinem erweiterten Leben längst zu enge geworden; er fühlt, daß wenn Jenen alternde Rechte aus grauen Zeiten zugekommen, in ihm junge grü¬ nende aufgestanden, die er in keine Weise aufgeben darf; er fühlt endlich, daß die Zeit gekommen, wo durchgängig ein neuer Vertrag zwischen den Classen der Gesellschaft abgeschlossen seyn muß. Wie nun auch in der Hitze des Streites die Streitenden, wechselseitig sich negirend, übertreiben mögen; müssen doch, da von einem Vertrage die Rede ist, die Vertragenden, sich zum Voraus die Fortdauer ihres Bestands ge¬ währen.
Mag man noch so sehr die Fürsten mit bestechen¬ den Lobsprüchen erheben, aber den Adel, als die al¬ lein Schwarzen anklagen; Jene werden sich nie im Ernste bereden lassen, daß ein Stand, dessen Rechte mit ihrer Legitimität auf demselben Grunde ruhen, ihnen wesentlich feindlich ist; der Adel aber, ohnehin durch sein Interesse gegen den Thron gezogen, nun auch vom dritten Stande gewaltsam abgetrieben, muß nothwendig mit beschleunigter Bewegung der Politik des Hofes sich ergeben; was sich praktisch auch jedes¬ mal in Bayern, Baden, Nassau und überall ausge¬ wiesen, sobald die leeren Maulfechtereyen nur erst zu einem wirklichen Resultate gedeihen sollten.
Von der andern Seite ist es auch ein heillos Werk und ein verwegenes Spiel, das jene Standesgenossen
Zeit, von idealen und realen Richtungen; ſein geſun¬ der Menſchenverſtand und ſein richtiger Takt und Naturinſtinkt giebt ihm ein, daß er ſeinen alten Ver¬ hältniſſen längſt entwachſen iſt; daß die Formen an ſich erſtorben, ſeinem erweiterten Leben längſt zu enge geworden; er fühlt, daß wenn Jenen alternde Rechte aus grauen Zeiten zugekommen, in ihm junge grü¬ nende aufgeſtanden, die er in keine Weiſe aufgeben darf; er fühlt endlich, daß die Zeit gekommen, wo durchgängig ein neuer Vertrag zwiſchen den Claſſen der Geſellſchaft abgeſchloſſen ſeyn muß. Wie nun auch in der Hitze des Streites die Streitenden, wechſelſeitig ſich negirend, übertreiben mögen; müſſen doch, da von einem Vertrage die Rede iſt, die Vertragenden, ſich zum Voraus die Fortdauer ihres Beſtands ge¬ währen.
Mag man noch ſo ſehr die Fürſten mit beſtechen¬ den Lobſprüchen erheben, aber den Adel, als die al¬ lein Schwarzen anklagen; Jene werden ſich nie im Ernſte bereden laſſen, daß ein Stand, deſſen Rechte mit ihrer Legitimität auf demſelben Grunde ruhen, ihnen weſentlich feindlich iſt; der Adel aber, ohnehin durch ſein Intereſſe gegen den Thron gezogen, nun auch vom dritten Stande gewaltſam abgetrieben, muß nothwendig mit beſchleunigter Bewegung der Politik des Hofes ſich ergeben; was ſich praktiſch auch jedes¬ mal in Bayern, Baden, Naſſau und überall ausge¬ wieſen, ſobald die leeren Maulfechtereyen nur erſt zu einem wirklichen Reſultate gedeihen ſollten.
Von der andern Seite iſt es auch ein heillos Werk und ein verwegenes Spiel, das jene Standesgenoſſen
<TEI><text><body><p><pbfacs="#f0192"n="184"/>
Zeit, von idealen und realen Richtungen; ſein geſun¬<lb/>
der Menſchenverſtand und ſein richtiger Takt und<lb/>
Naturinſtinkt giebt ihm ein, daß er ſeinen alten Ver¬<lb/>
hältniſſen längſt entwachſen iſt; daß die Formen an<lb/>ſich erſtorben, ſeinem erweiterten Leben längſt zu enge<lb/>
geworden; er fühlt, daß wenn Jenen alternde Rechte<lb/>
aus grauen Zeiten zugekommen, in ihm junge grü¬<lb/>
nende aufgeſtanden, die er in keine Weiſe aufgeben<lb/>
darf; er fühlt endlich, daß die Zeit gekommen, wo<lb/>
durchgängig ein neuer Vertrag zwiſchen den Claſſen<lb/>
der Geſellſchaft abgeſchloſſen ſeyn muß. Wie nun auch<lb/>
in der Hitze des Streites die Streitenden, wechſelſeitig<lb/>ſich negirend, übertreiben mögen; müſſen doch, da<lb/>
von einem Vertrage die Rede iſt, die Vertragenden,<lb/>ſich zum Voraus die Fortdauer ihres Beſtands ge¬<lb/>
währen.</p><lb/><p>Mag man noch ſo ſehr die Fürſten mit beſtechen¬<lb/>
den Lobſprüchen erheben, aber den Adel, als die al¬<lb/>
lein Schwarzen anklagen; Jene werden ſich nie im<lb/>
Ernſte bereden laſſen, daß ein Stand, deſſen Rechte<lb/>
mit ihrer Legitimität auf demſelben Grunde ruhen,<lb/>
ihnen weſentlich feindlich iſt; der Adel aber, ohnehin<lb/>
durch ſein Intereſſe gegen den Thron gezogen, nun<lb/>
auch vom dritten Stande gewaltſam abgetrieben, muß<lb/>
nothwendig mit beſchleunigter Bewegung der Politik<lb/>
des Hofes ſich ergeben; was ſich praktiſch auch jedes¬<lb/>
mal in Bayern, Baden, Naſſau und überall ausge¬<lb/>
wieſen, ſobald die leeren Maulfechtereyen nur erſt zu<lb/>
einem wirklichen Reſultate gedeihen ſollten.</p><lb/><p>Von der andern Seite iſt es auch ein heillos Werk<lb/>
und ein verwegenes Spiel, das jene Standesgenoſſen<lb/></p></body></text></TEI>
[184/0192]
Zeit, von idealen und realen Richtungen; ſein geſun¬
der Menſchenverſtand und ſein richtiger Takt und
Naturinſtinkt giebt ihm ein, daß er ſeinen alten Ver¬
hältniſſen längſt entwachſen iſt; daß die Formen an
ſich erſtorben, ſeinem erweiterten Leben längſt zu enge
geworden; er fühlt, daß wenn Jenen alternde Rechte
aus grauen Zeiten zugekommen, in ihm junge grü¬
nende aufgeſtanden, die er in keine Weiſe aufgeben
darf; er fühlt endlich, daß die Zeit gekommen, wo
durchgängig ein neuer Vertrag zwiſchen den Claſſen
der Geſellſchaft abgeſchloſſen ſeyn muß. Wie nun auch
in der Hitze des Streites die Streitenden, wechſelſeitig
ſich negirend, übertreiben mögen; müſſen doch, da
von einem Vertrage die Rede iſt, die Vertragenden,
ſich zum Voraus die Fortdauer ihres Beſtands ge¬
währen.
Mag man noch ſo ſehr die Fürſten mit beſtechen¬
den Lobſprüchen erheben, aber den Adel, als die al¬
lein Schwarzen anklagen; Jene werden ſich nie im
Ernſte bereden laſſen, daß ein Stand, deſſen Rechte
mit ihrer Legitimität auf demſelben Grunde ruhen,
ihnen weſentlich feindlich iſt; der Adel aber, ohnehin
durch ſein Intereſſe gegen den Thron gezogen, nun
auch vom dritten Stande gewaltſam abgetrieben, muß
nothwendig mit beſchleunigter Bewegung der Politik
des Hofes ſich ergeben; was ſich praktiſch auch jedes¬
mal in Bayern, Baden, Naſſau und überall ausge¬
wieſen, ſobald die leeren Maulfechtereyen nur erſt zu
einem wirklichen Reſultate gedeihen ſollten.
Von der andern Seite iſt es auch ein heillos Werk
und ein verwegenes Spiel, das jene Standesgenoſſen
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Sie haben einen Fehler gefunden?
Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform
DTAQ melden.
Kommentar zur DTA-Ausgabe
Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend
gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien
von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem
DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.
Görres, Joseph von: Teutschland und die Revolution. Koblenz, 1819, S. 184. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/goerres_revolution_1819/192>, abgerufen am 17.07.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.