Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Görres, Joseph von: Teutschland und die Revolution. Koblenz, 1819.

Bild:
<< vorherige Seite

und Daseyn spiegelt; wenn ferner jeder der diesem
Volke eigentlich angehört, den allgemeinen Stammes¬
charakter trägt, und wie er durch das äußere Band
derselben Sprache Allen sich mitzutheilen weiß, so
durch ein Inneres der Sympathie sich in das Ganze
hineinfühlt und denkt: so muß auch was jede einzelne,
in sich geläuterte und geklärte Eigenthümlichkeit selbst¬
ständig in sich erzeugt, nothwendig dem harmonisch
seyn, was die Geschichte im Ganzen hervorgebracht;
sie wird die Geschichte nicht verschmähen, aber auch
bewußtlos handeln in ihrem Sinne.

Andrerseits werden die Historischen aus der Ge¬
schichte, die sie befragen, weder die Reformation noch
die Revolution ausschließen; eben weil sie erkennen,
daß immer in jeder besondern Geschichte die Ganze
wiederkehrt, und wie die Geschichte der Juden und
die der Griechen unter andern Umständen Die der
Teutschen ist, so die Englische Revolution die Fran¬
zösische. Beyde aber haben als die wesentlichste In¬
stitution eine Kammer der Gemeinen herausgeworfen,
gegen die eben auch das Mittelalter, in Italien schon
unter den ersten schwäbischen Kaisern in Teutschland
später gestrebt; und weil es sie nicht erlangt, darum
eben hauptsächlich hat das Reich im Abfalle der Schweiz,
im Kampfe der Städtebünde mit den Landesherren und
dem Adel, und später im Bauernkriege sich verbluten
müssen. Wie also in Gott alle Confessionen eins sind,
so beide Partheyen in der Idee des Vaterlandes und sie
sind vereinigt geblieben, so lange diese Idee, und die Be¬
geisterung, die sie zur Zeit der Befreyung in den Gemü¬
thern geweckt, nachgehalten, obgleich mit sichtbarer

und Daſeyn ſpiegelt; wenn ferner jeder der dieſem
Volke eigentlich angehört, den allgemeinen Stammes¬
charakter trägt, und wie er durch das äußere Band
derſelben Sprache Allen ſich mitzutheilen weiß, ſo
durch ein Inneres der Sympathie ſich in das Ganze
hineinfühlt und denkt: ſo muß auch was jede einzelne,
in ſich geläuterte und geklärte Eigenthümlichkeit ſelbſt¬
ſtändig in ſich erzeugt, nothwendig dem harmoniſch
ſeyn, was die Geſchichte im Ganzen hervorgebracht;
ſie wird die Geſchichte nicht verſchmähen, aber auch
bewußtlos handeln in ihrem Sinne.

Andrerſeits werden die Hiſtoriſchen aus der Ge¬
ſchichte, die ſie befragen, weder die Reformation noch
die Revolution ausſchließen; eben weil ſie erkennen,
daß immer in jeder beſondern Geſchichte die Ganze
wiederkehrt, und wie die Geſchichte der Juden und
die der Griechen unter andern Umſtänden Die der
Teutſchen iſt, ſo die Engliſche Revolution die Fran¬
zöſiſche. Beyde aber haben als die weſentlichſte In¬
ſtitution eine Kammer der Gemeinen herausgeworfen,
gegen die eben auch das Mittelalter, in Italien ſchon
unter den erſten ſchwäbiſchen Kaiſern in Teutſchland
ſpäter geſtrebt; und weil es ſie nicht erlangt, darum
eben hauptſächlich hat das Reich im Abfalle der Schweiz,
im Kampfe der Städtebünde mit den Landesherren und
dem Adel, und ſpäter im Bauernkriege ſich verbluten
müſſen. Wie alſo in Gott alle Confeſſionen eins ſind,
ſo beide Partheyen in der Idee des Vaterlandes und ſie
ſind vereinigt geblieben, ſo lange dieſe Idee, und die Be¬
geiſterung, die ſie zur Zeit der Befreyung in den Gemü¬
thern geweckt, nachgehalten, obgleich mit ſichtbarer

<TEI>
  <text>
    <body>
      <p><pb facs="#f0098" n="90"/>
und Da&#x017F;eyn &#x017F;piegelt; wenn ferner jeder der die&#x017F;em<lb/>
Volke eigentlich angehört, den allgemeinen Stammes¬<lb/>
charakter trägt, und wie er durch das äußere Band<lb/>
der&#x017F;elben Sprache Allen &#x017F;ich mitzutheilen weiß, &#x017F;o<lb/>
durch ein Inneres der Sympathie &#x017F;ich in das Ganze<lb/>
hineinfühlt und denkt: &#x017F;o muß auch was jede einzelne,<lb/>
in &#x017F;ich geläuterte und geklärte Eigenthümlichkeit &#x017F;elb&#x017F;<lb/>
&#x017F;tändig in &#x017F;ich erzeugt, nothwendig dem harmoni&#x017F;ch<lb/>
&#x017F;eyn, was die Ge&#x017F;chichte im Ganzen hervorgebracht;<lb/>
&#x017F;ie wird die Ge&#x017F;chichte nicht ver&#x017F;chmähen, aber auch<lb/>
bewußtlos handeln in ihrem Sinne.</p><lb/>
      <p>Andrer&#x017F;eits werden die Hi&#x017F;tori&#x017F;chen aus der Ge¬<lb/>
&#x017F;chichte, die &#x017F;ie befragen, weder die Reformation noch<lb/>
die Revolution aus&#x017F;chließen; eben weil &#x017F;ie erkennen,<lb/>
daß immer in jeder be&#x017F;ondern Ge&#x017F;chichte die Ganze<lb/>
wiederkehrt, und wie die Ge&#x017F;chichte der Juden und<lb/>
die der Griechen unter andern Um&#x017F;tänden Die der<lb/>
Teut&#x017F;chen i&#x017F;t, &#x017F;o die Engli&#x017F;che Revolution die Fran¬<lb/>&#x017F;i&#x017F;che. Beyde aber haben als die we&#x017F;entlich&#x017F;te In¬<lb/>
&#x017F;titution eine Kammer der Gemeinen herausgeworfen,<lb/>
gegen die eben auch das Mittelalter, in Italien &#x017F;chon<lb/>
unter den er&#x017F;ten &#x017F;chwäbi&#x017F;chen Kai&#x017F;ern in Teut&#x017F;chland<lb/>
&#x017F;päter ge&#x017F;trebt; und weil es &#x017F;ie nicht erlangt, darum<lb/>
eben haupt&#x017F;ächlich hat das Reich im Abfalle der Schweiz,<lb/>
im Kampfe der Städtebünde mit den Landesherren und<lb/>
dem Adel, und &#x017F;päter im Bauernkriege &#x017F;ich verbluten<lb/>&#x017F;&#x017F;en. Wie al&#x017F;o in Gott alle Confe&#x017F;&#x017F;ionen eins &#x017F;ind,<lb/>
&#x017F;o beide Partheyen in der Idee des Vaterlandes und &#x017F;ie<lb/>
&#x017F;ind vereinigt geblieben, &#x017F;o lange die&#x017F;e Idee, und die Be¬<lb/>
gei&#x017F;terung, die &#x017F;ie zur Zeit der Befreyung in den Gemü¬<lb/>
thern geweckt, nachgehalten, obgleich mit &#x017F;ichtbarer<lb/></p>
    </body>
  </text>
</TEI>
[90/0098] und Daſeyn ſpiegelt; wenn ferner jeder der dieſem Volke eigentlich angehört, den allgemeinen Stammes¬ charakter trägt, und wie er durch das äußere Band derſelben Sprache Allen ſich mitzutheilen weiß, ſo durch ein Inneres der Sympathie ſich in das Ganze hineinfühlt und denkt: ſo muß auch was jede einzelne, in ſich geläuterte und geklärte Eigenthümlichkeit ſelbſt¬ ſtändig in ſich erzeugt, nothwendig dem harmoniſch ſeyn, was die Geſchichte im Ganzen hervorgebracht; ſie wird die Geſchichte nicht verſchmähen, aber auch bewußtlos handeln in ihrem Sinne. Andrerſeits werden die Hiſtoriſchen aus der Ge¬ ſchichte, die ſie befragen, weder die Reformation noch die Revolution ausſchließen; eben weil ſie erkennen, daß immer in jeder beſondern Geſchichte die Ganze wiederkehrt, und wie die Geſchichte der Juden und die der Griechen unter andern Umſtänden Die der Teutſchen iſt, ſo die Engliſche Revolution die Fran¬ zöſiſche. Beyde aber haben als die weſentlichſte In¬ ſtitution eine Kammer der Gemeinen herausgeworfen, gegen die eben auch das Mittelalter, in Italien ſchon unter den erſten ſchwäbiſchen Kaiſern in Teutſchland ſpäter geſtrebt; und weil es ſie nicht erlangt, darum eben hauptſächlich hat das Reich im Abfalle der Schweiz, im Kampfe der Städtebünde mit den Landesherren und dem Adel, und ſpäter im Bauernkriege ſich verbluten müſſen. Wie alſo in Gott alle Confeſſionen eins ſind, ſo beide Partheyen in der Idee des Vaterlandes und ſie ſind vereinigt geblieben, ſo lange dieſe Idee, und die Be¬ geiſterung, die ſie zur Zeit der Befreyung in den Gemü¬ thern geweckt, nachgehalten, obgleich mit ſichtbarer

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/goerres_revolution_1819
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/goerres_revolution_1819/98
Zitationshilfe: Görres, Joseph von: Teutschland und die Revolution. Koblenz, 1819, S. 90. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/goerres_revolution_1819/98>, abgerufen am 22.11.2024.