ganze Leib mit einer Horndecke überzieht, zwischen den Achseln ausgenommen; wie er dann des Königs Gilibaldus Tochter, die ein Drache entführt, errettet, sie zur Ehe nimmt, und endlich vom grimmen Hagenwald an der Quelle erschlagen, und in der Folge durch seine Gattin gero- chen wird, das ist der Gegenstand des Romans. Die erste Hälfte desselben ist im Epos postulirt; die Be- werbung um Chriemhilde, des Königs Tochter, abwei- chend erzählt; der Tod Siegfrieds durch Hagene weiter ausgeführt, und dann die Rache durch die ganze Folge des Gedichtes, ebenfalls bedeutend abweichend durchge- führt. Wie die Sprache im Epos ist, so ist sie auch im Romane, einfältig, derb und gedrungen, aber im Romane natürlich kärglicher und minder inhaltsreich als im größeren Gedicht; die Darstellung erscheint in ihm ohne allen Schmuck, aber kräftig und gediegen; die Erzählung treuherzig und gläubig, und dabei ohne alle Prätension; der Kampf mit dem Drachen auf dem Dra- chenstein kräftig und Interesse erweckend dargestellt: das Ganze aber in der anspruchlosen, unmanierirten Form, in der es hier erscheint, erfreulich, und in seiner Unbe- fangenheit, wie unmittelbar aus einem starken, kräf- tigen, untergegangenen Leben aufgefaßt, und daher in seiner Art eines der besseren Volksbücher seiner Gat- tung.
ganze Leib mit einer Horndecke überzieht, zwiſchen den Achſeln ausgenommen; wie er dann des Königs Gilibaldus Tochter, die ein Drache entführt, errettet, ſie zur Ehe nimmt, und endlich vom grimmen Hagenwald an der Quelle erſchlagen, und in der Folge durch ſeine Gattin gero- chen wird, das iſt der Gegenſtand des Romans. Die erſte Hälfte deſſelben iſt im Epos poſtulirt; die Be- werbung um Chriemhilde, des Königs Tochter, abwei- chend erzählt; der Tod Siegfrieds durch Hagene weiter ausgeführt, und dann die Rache durch die ganze Folge des Gedichtes, ebenfalls bedeutend abweichend durchge- führt. Wie die Sprache im Epos iſt, ſo iſt ſie auch im Romane, einfältig, derb und gedrungen, aber im Romane natürlich kärglicher und minder inhaltsreich als im größeren Gedicht; die Darſtellung erſcheint in ihm ohne allen Schmuck, aber kräftig und gediegen; die Erzählung treuherzig und gläubig, und dabei ohne alle Prätenſion; der Kampf mit dem Drachen auf dem Dra- chenſtein kräftig und Intereſſe erweckend dargeſtellt: das Ganze aber in der anſpruchloſen, unmanierirten Form, in der es hier erſcheint, erfreulich, und in ſeiner Unbe- fangenheit, wie unmittelbar aus einem ſtarken, kräf- tigen, untergegangenen Leben aufgefaßt, und daher in ſeiner Art eines der beſſeren Volksbücher ſeiner Gat- tung.
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ganze Leib mit einer Horndecke überzieht, zwiſchen den
Achſeln ausgenommen; wie er dann des Königs Gilibaldus
Tochter, die ein Drache entführt, errettet, ſie zur Ehe
nimmt, und endlich vom grimmen Hagenwald an der Quelle
erſchlagen, und in der Folge durch ſeine Gattin gero-
chen wird, das iſt der Gegenſtand des Romans. Die
erſte Hälfte deſſelben iſt im Epos poſtulirt; die Be-
werbung um Chriemhilde, des Königs Tochter, abwei-
chend erzählt; der Tod Siegfrieds durch Hagene weiter
ausgeführt, und dann die Rache durch die ganze Folge
des Gedichtes, ebenfalls bedeutend abweichend durchge-
führt. Wie die Sprache im Epos iſt, ſo iſt ſie auch
im Romane, einfältig, derb und gedrungen, aber im
Romane natürlich kärglicher und minder inhaltsreich
als im größeren Gedicht; die Darſtellung erſcheint in
ihm ohne allen Schmuck, aber kräftig und gediegen; die
Erzählung treuherzig und gläubig, und dabei ohne alle
Prätenſion; der Kampf mit dem Drachen auf dem Dra-
chenſtein kräftig und Intereſſe erweckend dargeſtellt: das
Ganze aber in der anſpruchloſen, unmanierirten Form,
in der es hier erſcheint, erfreulich, und in ſeiner Unbe-
fangenheit, wie unmittelbar aus einem ſtarken, kräf-
tigen, untergegangenen Leben aufgefaßt, und daher
in ſeiner Art eines der beſſeren Volksbücher ſeiner Gat-
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Görres, Joseph: Die teutschen Volksbücher. Heidelberg, 1807, S. 95. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/goerres_volksbuecher_1807/113>, abgerufen am 24.11.2024.
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