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Görres, Joseph: Die teutschen Volksbücher. Heidelberg, 1807.

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wieder erlöschen sehen; die Constellationen führten
durch ihre wechselseitige Verbindung eine solche Periode
einer erhöhten Genialität des Gestirns herbei: auch im
Reiche der Geister ist ein solches Aufflammen eines
einzelnen Gottbegeisterten denkbar, daß tiefer in ihn
sich die Oberwelt herabsenkt, heller der Gedanken in
ihm zündet, und prophetisch ein Lichtstrahl die fernen,
dunkeln, ungebohrnen Zeiten schon enthüllt, und durch
freies Hingeben der Intelligenz in sie vorbildlich vom Welt-
geist hineingedacht wird, was erst später nachbildlich
in die Wirklichkeit eingebohren wird, so daß also der
gewöhnliche Gang des Denkens sich nun umkehrt, und
die Reflexion dem Gegenstande voreilt, statt daß sie
ihm im gemeinen Lauf der Dinge folgt. Wenn wir
dergleichen aedenken, dann wird unser Urtheil über
den Gegenstand vorsichtiger und bescheidner seyn.
Gerade die historische Weissagerei, die man einzig gelten
lassen will, ist, wenn sie über den Kreis, der unmittel-
bar den Weissagenden umschreibt, hinausgeht, so nichtig
wie die Meteorologie, weil beide von Millionen Fäden
nur Wenige beachten, Jene nämlich, die sie gerade
selber mit hineingesponnen haben. Allein auch sie in
Ehren, wenn sie sich nicht mit Vollendung brüstet,
und nur als ein nothwendiges Ziel aller geistigen Ent-
wickelung sich geltend macht.

wieder erlöſchen ſehen; die Conſtellationen führten
durch ihre wechſelſeitige Verbindung eine ſolche Periode
einer erhöhten Genialität des Geſtirns herbei: auch im
Reiche der Geiſter iſt ein ſolches Aufflammen eines
einzelnen Gottbegeiſterten denkbar, daß tiefer in ihn
ſich die Oberwelt herabſenkt, heller der Gedanken in
ihm zündet, und prophetiſch ein Lichtſtrahl die fernen,
dunkeln, ungebohrnen Zeiten ſchon enthüllt, und durch
freies Hingeben der Intelligenz in ſie vorbildlich vom Welt-
geiſt hineingedacht wird, was erſt ſpäter nachbildlich
in die Wirklichkeit eingebohren wird, ſo daß alſo der
gewöhnliche Gang des Denkens ſich nun umkehrt, und
die Reflexion dem Gegenſtande voreilt, ſtatt daß ſie
ihm im gemeinen Lauf der Dinge folgt. Wenn wir
dergleichen aedenken, dann wird unſer Urtheil über
den Gegenſtand vorſichtiger und beſcheidner ſeyn.
Gerade die hiſtoriſche Weiſſagerei, die man einzig gelten
laſſen will, iſt, wenn ſie über den Kreis, der unmittel-
bar den Weiſſagenden umſchreibt, hinausgeht, ſo nichtig
wie die Meteorologie, weil beide von Millionen Fäden
nur Wenige beachten, Jene nämlich, die ſie gerade
ſelber mit hineingeſponnen haben. Allein auch ſie in
Ehren, wenn ſie ſich nicht mit Vollendung brüſtet,
und nur als ein nothwendiges Ziel aller geiſtigen Ent-
wickelung ſich geltend macht.

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[239/0257] wieder erlöſchen ſehen; die Conſtellationen führten durch ihre wechſelſeitige Verbindung eine ſolche Periode einer erhöhten Genialität des Geſtirns herbei: auch im Reiche der Geiſter iſt ein ſolches Aufflammen eines einzelnen Gottbegeiſterten denkbar, daß tiefer in ihn ſich die Oberwelt herabſenkt, heller der Gedanken in ihm zündet, und prophetiſch ein Lichtſtrahl die fernen, dunkeln, ungebohrnen Zeiten ſchon enthüllt, und durch freies Hingeben der Intelligenz in ſie vorbildlich vom Welt- geiſt hineingedacht wird, was erſt ſpäter nachbildlich in die Wirklichkeit eingebohren wird, ſo daß alſo der gewöhnliche Gang des Denkens ſich nun umkehrt, und die Reflexion dem Gegenſtande voreilt, ſtatt daß ſie ihm im gemeinen Lauf der Dinge folgt. Wenn wir dergleichen aedenken, dann wird unſer Urtheil über den Gegenſtand vorſichtiger und beſcheidner ſeyn. Gerade die hiſtoriſche Weiſſagerei, die man einzig gelten laſſen will, iſt, wenn ſie über den Kreis, der unmittel- bar den Weiſſagenden umſchreibt, hinausgeht, ſo nichtig wie die Meteorologie, weil beide von Millionen Fäden nur Wenige beachten, Jene nämlich, die ſie gerade ſelber mit hineingeſponnen haben. Allein auch ſie in Ehren, wenn ſie ſich nicht mit Vollendung brüſtet, und nur als ein nothwendiges Ziel aller geiſtigen Ent- wickelung ſich geltend macht.

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Zitationshilfe: Görres, Joseph: Die teutschen Volksbücher. Heidelberg, 1807, S. 239. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/goerres_volksbuecher_1807/257>, abgerufen am 24.11.2024.