leben und leben lassen, eingedenk, daß wir allzumal unsern Besitz als ein höheres Geschenk vorgefunden haben, und daß der, dem der Himmel ein Besseres verliehen, wohl auch außer der Facultät damit wuchern soll. Die Volksempirie in der Medizin, derb und ein- schneidend wie der Volkswitz, beide gern auf die Sa- burra sich werfend, sollte daher Gnade finden vor der medizinischen Eleganz der obern Stände. Es ist dabei ein unveräußerliches Recht, nach Willkühr über physi- sches Wohl und Weh seines eigenen Körpers zu verfü- gen, und mithin ein gegründeter Anspruch des Volkes, Unterricht zu empfangen, in dem was damit in Bezie- hung steht, um auch außer der Innung für sich selbst seines Lebens Gang reguliren zu können. Und in neun und neunzig Fällen auf hundert, wird eine Arz- ney aus dem vorliegenden Buche von einem nur einigermaßen auf sich selbst aufmerksamen Menschen sich verordnet, wenigstens eben so heilsam seyn, als eine Andere von dem Schlendrian der gewöhnlichen Aerzte auf geradewohl hin vorgeschriebene Kunstgerechte. Denn die Heilmittel des Samariters sind meist einfach, und im schlimmsten Falle unschädlich; Kräuter und inländische Gewächse, Hollunderschößlinge statt der Sennesblätter, Mastix, gewürzhafte Kräuter und er- weichende; von chemischen Bereitungen allein Spiesglas,
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leben und leben laſſen, eingedenk, daß wir allzumal unſern Beſitz als ein höheres Geſchenk vorgefunden haben, und daß der, dem der Himmel ein Beſſeres verliehen, wohl auch außer der Facultät damit wuchern ſoll. Die Volksempirie in der Medizin, derb und ein- ſchneidend wie der Volkswitz, beide gern auf die Sa- burra ſich werfend, ſollte daher Gnade finden vor der mediziniſchen Eleganz der obern Stände. Es iſt dabei ein unveräußerliches Recht, nach Willkühr über phyſi- ſches Wohl und Weh ſeines eigenen Körpers zu verfü- gen, und mithin ein gegründeter Anſpruch des Volkes, Unterricht zu empfangen, in dem was damit in Bezie- hung ſteht, um auch außer der Innung für ſich ſelbſt ſeines Lebens Gang reguliren zu können. Und in neun und neunzig Fällen auf hundert, wird eine Arz- ney aus dem vorliegenden Buche von einem nur einigermaßen auf ſich ſelbſt aufmerkſamen Menſchen ſich verordnet, wenigſtens eben ſo heilſam ſeyn, als eine Andere von dem Schlendrian der gewöhnlichen Aerzte auf geradewohl hin vorgeſchriebene Kunſtgerechte. Denn die Heilmittel des Samariters ſind meiſt einfach, und im ſchlimmſten Falle unſchädlich; Kräuter und inländiſche Gewächſe, Hollunderſchößlinge ſtatt der Sennesblätter, Maſtix, gewürzhafte Kräuter und er- weichende; von chemiſchen Bereitungen allein Spiesglas,
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leben und leben laſſen, eingedenk, daß wir allzumal
unſern Beſitz als ein höheres Geſchenk vorgefunden
haben, und daß der, dem der Himmel ein Beſſeres
verliehen, wohl auch außer der Facultät damit wuchern
ſoll. Die Volksempirie in der Medizin, derb und ein-
ſchneidend wie der Volkswitz, beide gern auf die Sa-
burra ſich werfend, ſollte daher Gnade finden vor der
mediziniſchen Eleganz der obern Stände. Es iſt dabei
ein unveräußerliches Recht, nach Willkühr über phyſi-
ſches Wohl und Weh ſeines eigenen Körpers zu verfü-
gen, und mithin ein gegründeter Anſpruch des Volkes,
Unterricht zu empfangen, in dem was damit in Bezie-
hung ſteht, um auch außer der Innung für ſich ſelbſt
ſeines Lebens Gang reguliren zu können. Und in
neun und neunzig Fällen auf hundert, wird eine Arz-
ney aus dem vorliegenden Buche von einem nur
einigermaßen auf ſich ſelbſt aufmerkſamen Menſchen
ſich verordnet, wenigſtens eben ſo heilſam ſeyn, als
eine Andere von dem Schlendrian der gewöhnlichen
Aerzte auf geradewohl hin vorgeſchriebene Kunſtgerechte.
Denn die Heilmittel des Samariters ſind meiſt einfach,
und im ſchlimmſten Falle unſchädlich; Kräuter und
inländiſche Gewächſe, Hollunderſchößlinge ſtatt der
Sennesblätter, Maſtix, gewürzhafte Kräuter und er-
weichende; von chemiſchen Bereitungen allein Spiesglas,
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Görres, Joseph: Die teutschen Volksbücher. Heidelberg, 1807, S. 33. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/goerres_volksbuecher_1807/51>, abgerufen am 21.11.2024.
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